Sachstand: Pkw-Diktatur

Schlappe 15.000 Kfz drängeln sich jeden Tag über Zollhaus- und Nordstraße durch Birkesdorf. Rechts und links entlang der gesamten Ortsdurchfahrt laden Parkplätze zum Autofahren bzw. Auto-Abstellen ein. Dazu gesellen sich massig private Stellplätze vor, neben und hinter allen Wohnhäusern und Geschäften.

Selbst die Gehwege wurden zu großen Teilen für den Kfz-Verkehr freigegeben. Überall, wo es irgendwie möglich scheint, dürfen Autos auf ihnen parken. Zollhaus- und Nordstraße sind von vorne bis hinten zugepflastert mit Parkbuchten und Parkplatz-Schildern. Sogar die wenigen Stellen, die nicht für Autofahrer reserviert sind, sind durch bzw. gegen sie blockiert. Entweder stehen dort Falschparker herum oder es wurden Poller aufgestellt – als letztes verzweifeltes Bollwerk gegen das allgegenwärtige Falschparken.

Um es zusammenzufassen: Die gesamte Ortsdurchfahrt wird komplett von Autos dominiert. Der Autoverkehr ist das zentrale, alles prägende und stadtplanerisch gestaltende Element für Zollhaus- und Nordstraße! Und für den gesamten Stadtteil!

Dies führt natürlich dazu, dass der ÖPNV, Fußgänger, Radfahrer, also alle, die nicht mit dem Auto unterwegs sind, miserable Verhältnisse für „ihre“ Verkehrsflächen vorfinden. Deren Flächen wurden schließlich dem Autoverkehr zugesprochen. Diese Verhältnisse zwingen Fußgänger und Radfahrer gefährlich auf die Pkw-Fahrbahn auszuweichen, sorgen für miserable Sichtverhältnisse für Schulkinder, verlangsamen das Busfahren… Und so weiter und so fort. Daraus folgen wiederum alle möglichen negativen Konsequenzen wie (Beinahe-) Unfälle, eingeschränkte Lebensqualität, Versagen bei Modal Shift-Zielen etc.

Nicht nur, dass der Autozentrismus den gesamten Stadtteil mit allen möglichen tagtäglichen Problemen durchdringt. Die Autoschneise quer durch den Stadtteil durchtrennt auch noch den ordentlichen Zugang zur Rur und das „Dorf“ als solches.

Und da haben wir noch nicht mal über die Raser gesprochen, die das toxische Infrastruktur-Desaster vervollständigen. Wir erinnern uns: Im März 2021 hat das Ordnungsamt aufgrund des (Alibi-)Antrags Entlastung der Anwohner der Nordstraße und Zollhausstraße genauer hingeschaut und festgestellt, dass innerhalb der Messwoche knapp die Hälfte (46,6%) der gemessenen Pkw zu schnell unterwegs waren. Wohlgemerkt: Mit mindestens 39 km/h statt 30 km/h – oder schneller.



Soll das alles so sein? Nein!

Schon in der oben erwähnten Stellungnahme des Ordnungsamts heißt es klipp und klar:

Anders als an anderen Standorten, wo neue Messstandorte eingerichtet werden, geht die Zahl der Ordnungswidrigkeiten an der Nordstraße bisher nicht zurück. (…)
Aus unserer Sicht ist eine Reduzierung der Geschwindigkeit allein durch verstärkte Messungen nicht zu erreichen. Nach unserer Auffassung sind dauerhafte bauliche Veränderungen auf lange Sicht die beste Möglichkeit eine nachhaltige Veränderung zu erreichen. (…)

Entlastung der Anwohner der Nordstraße und Zollhausstraße, Stellungnahme Ordnungsamt, 21.04.2021

Und so lange es diese baulichen Veränderungen nicht gibt, hoffen wir halt einfach weiter das Beste. Wird schon alles gut gehen. Zumindest für die Autoabhängigen…

Im ersten Teil dieser kleinen Blog-Serie zur Zollhaus- und Nordstraße, hatte ich bereits beschrieben, wie es eigentlich aussehen soll. Also nicht, wie ich mir das vorstelle, sondern wie die aktuelle Beschluss- und Informationslage dazu aussieht Anlass war damals, vor genau elf Monaten, dass mal wieder eine Bestandsaufnahme – diesmal in Form einer Machbarkeitsstudie – veröffentlicht wurde.


Die Machbarkeitsstudie und Öffentlichkeitsbeteiligung zur Neuordnung und Umgestaltung des Straßenraumes von Nord- und Zollhausstraße zwischen Hovener Straße und Veldener Straße in Düren Birkesdorf(MuÖzNuUdSvNuZzHSuVSiDB), Quelle: Stadt Düren

Die Machbarkeitsstudie bezieht sich wiederum auf unser ISEK, das Integrierte Stadtteilentwicklungskonzept für ein junges und modernes Birkesdorf. Das wird seit 2016 diskutiert, wurde im Oktober 2019 im Stadtrat beschlossen und konnte aufgrund fehlender Fördermittelzusagen (und ausbleibender Antragstellungen?) bis heute nicht in Angriff genommen werden. Stichwort „auf lange Sicht“…

Aber nun steht „dank“ des Kanalschadens auch in Birkesdorf eine Entscheidung an. Schließlich wird so eine Hauptachse nicht alle paar Jahre wieder aufgerissen.

Das ISEK ist und bleibt natürlich beschlossene Sache. Nicht nur das: „Das ISEK ist weiterhin der Handlungsrahmen für Politik, Verwaltung und die Akteure vor Ort. Es ist zudem die Grundlage für die Beantragung von Fördergeldern“, ist nach wie vor auf der Internetseite der Stadt zu lesen. Das ISEK gibt die mit Hilfe diverser Bürgerbeteiligungsverfahren erarbeitete politische Maxime vor, also die grundsätzliche Richtung, in die es verkehrspolitisch gehen soll.

Und gehen muss! Schließlich wäre es auch irgendwie paradox, wenn wir zugunsten des Pkw-Verkehrs und seiner Abstellmöglichkeiten geltendes Recht ignorieren würden und bewusst gegen die Vorschriften verstießen, die uns doch eigentlich in die Hände spielen bei der Umsetzung der eigens beschlossenen Konzepte. So verrückt kann man ja gar nicht sein. Über die neuen Regelwerke hatte ich bspw. hier und hier schon ein wenig berichtet.

Die Diskussion rund um die nun zu erwartenden Beschlüsse könnte ziemlich lustig werden. Ich stelle mir gerade vor, wie das Parkplatzerhaltungs-Konglomerat aus AfSFPCDU im (wieder mal) folgenden Bürgerbeteiligungsprozess „die Leute mitnimmt“ und ihnen erklärt, weshalb endlich Schluss ist mit der vom Konglomerat selbst Jahrzehnte lang ideologisch betriebenen Automobil-Bevorzugung. Auf die Argumentations-Akrobatik bin ich schon sehr gespannt. Einen ersten Vorgeschmack darauf (oder mal wieder die Abkehr von eigenen Beschlüssen), könnte die Bezirksausschusssitzung kommende Woche bringen. Mal sehen…

An dieser Stelle nur noch ein paar wenige, beliebig aneinander gereihte Zitate aus unserem zentralen Statteilentwicklungs- und Verkehrskonzept. Um nochmal zu vergegenwärtigen, wo es hingehen soll. Kann man sich und uns nicht oft genug ins Gedächtnis rufen:

6.5 Handlungsfeld C: Mobilität und Straßenraum
Die dringlichste Problemlage in Birkesdorf ist die sehr hohe verkehrliche Belastung des Stadtteils, vor allem auf den Haupterschließungsstraßen Zollhausstraße und Nordstraße. Staus, Wartezeiten, Lärm und Abgase belasten das Leben in der Stadtteilmitte. Der Autoverkehr in fahrender und ruhender Form dominiert die vielbefahrene Hauptachse, die auch von zahlreichen Durchgangsverkehren genutzt wird.

Die Nahmobilität in Birkesdorf gestaltet sich daher derzeit unattraktiv, beschwerlich und teilweise auch gefährlich. Das Radwegenetz ist lückenhaft. Die zentrale Achse Nordstraße/Zollhausstraße ist nur teilweise mit Schutzstreifen versehen. Auch andere Einfallstraßen und belebte Nebenstraßen haben keine Radwege. Für Fußgänger wirken sich die teils sehr schmalen Bürgersteige negativ auf die Wahrnehmung und Nutzbarkeit des öffentlichen Raums aus. Parkende Autos behindern regelmäßig die Wege von Menschen mit Rollatoren oder Kinderwagen. Auch in den Wohngebieten sind Verkehrsräume für Fuß- und Radverkehr oftmals gering, die Gebietsstraßen werden durch ruhenden Verkehr übernutzt. Dies wirkt sich besonders nachteilig in den engen Straßen im historischen Kern aus. (…)

Insgesamt ergeben sich trotz Birkesdorfs Eignung als „Stadt der kurzen Wege“ kaum Anreize, im Stadtteil zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Wesentliches Ziel der Erneuerung Birkesdorfs ist daher die deutliche Aufwertung der Straßenräume. Dies betrifft sowohl die zentrale Achse von Nord- und Zollhausstraße als auch die Straßen in den Wohngebieten.

Entwicklungsziele

  • Neuordnung und Umgestaltung der Querschnitte von Nord- und Zollhausstraße
  • Aufwertung und Belebung der zentralen Achse als „Urbane Achse“
  • Lösung der Verkehrsproblematik im Stadtteil, Reduzierung der Geschwindigkeiten, Verbesserung der Nahmobilität
  • Förderung des barrierefreien Fuß- und Radverkehrs, Erhöhung der Sicherheit von Fußgängern und Radfahrenden
  • Schaffung eines generationengerechten Zentrums durch Barrierefreiheit und Schulwegsicherung
  • Reduzierung der Kfz-Kurzstreckenfahrten im Binnenverkehr
  • Schaffung von Plätzen mit Verweilqualität Umfassende Begrünung der Straßen mit Mo- dellversuchen „Mobiles Grün“
  • Neuordnung des Parkens zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität und der Nahmobilität Reduzierung des Durchhgangsverkehrs (…)

Insgesamt betrachtet lässt sich aus der verkehrlichen Perspektive ein zentrales Leitziel ableiten: Eine signifikante Verkehrsentlastung im MIV wird sich nur dann einstellen, wenn sowohl im Bereich der Ortsdurchfahrt als auch in den Wohngebieten selbst sichere und komfortable straßenräumliche Bedingungen für den Fuß- und Radverkehr geschaffen werden. Erst dann werden die Bürger und Bürgerinnen mehr und mehr bereit sein, sich statt mit dem Autos als Kurzstreckenverkehrsmittel fußläufig oder mit dem Fahrrad zu bewegen. Düren-Birkesdorf bietet funktional alle Möglichkeiten als „Stadt der kurzen Wege“. (…)

„Die Bewohnerschaft selbst wünscht für die Hauptachse ein Gesamtverkehrskonzept, um sicherzustellen, dass Verkehre aus dem Zentrum nicht in die umliegenden Wohnquartiere verlagert und damit die Probleme verschoben werden. (…)

Das Parkraumkonzept ist zu Projektbeginn zu erstellen und liefert eine Grundlage für alle weiteren Planungen insbesondere für die Stadtteilmitte und Durchgangsstraße, aber auch in Bezug auf die Quartiere. (…)

ISEK Birkesdorf

Realität:


Eindeutig: So soll und kann es nicht weitergehen! Wir brauchen endlich einen Paradigmenwechsel!

Warum haben wir den eigentlich nicht schon längst?




Grundsatzbeschluss zur (Verkehrs-)Wende?

Reine Lippenbekenntnisse und verkehrspolitisches Greenwashing!

Ich fasse (nochmal) zusammen: Wir haben längst beschlossen, dass wir eine Mobilitätswende wollen und brauchen, damit die Stadt auch für zukünftige Generationen noch einigermaßen lebenswert bleibt – und hoffentlich zukünftig noch viel lebenswerter wird. Das gilt parteiübergreifend. Rechtsradikale, antidemokratische Verdachtsfälle und sonstige Spaßparteien mal ausgenommen.

Unser zentrales städtisches Mobilitätskonzept, das ebenfalls die (dort noch einigermaßen zaghaft formulierte) Mobilitätswende fordert und in vielen konkreten Maßnahmenvorschlägen beschreibt, wurde 2016 einstimmig im Stadtrat beschlossen. Mit Zielen bis 2025: Ein Prozent weniger Pkw pro Jahr und so weiter…

Seit dem 01.01.2022 haben wir ein ebenfalls parteiübergreifend beschlossenes Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz für Nordrheinwestfalen. In dessen Präambel wird ein Radverkehrsanteil von 25% am Gesamtverkehr als Ziel definiert…

Anfang Februar dieses Jahres hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter dem Motto „Fahrradland Deutschland“ die Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans per Umsetzungsgesetz gefordert. Also des Plans, der als NRVP 3.0 bereits seit 20 Jahren umgesetzt werden soll…

Laut Personenbeförderungsgesetz hätten wir bis zum 1. Januar 2022 unseren ÖPNV barrierefrei ausbauen müssen. So, wie es auch die UN-Behindertenkonvention und das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen vorsieht…

Der (nächste) Grundsatzbeschluss!

Was brauchen wir eigentlich noch, um endlich mal damit anzufangen, das umzusetzen, was wir seit Jahren in wohlfeilen politischen Reden, Beschlüssen und Konzepten aufgetischt bekommen? Wieviel Glaubwürdigkeit will die (lokale) Verkehrspolitik noch verlieren, bevor sie endlich anfängt, ihre (angeblichen) Ziele zu erreichen?

Ich weiß es: Es fehlte nur noch ein weiterer „Grundsatzbeschluss“!

Dieser liegt nun, gerade noch rechtzeitig zur Bezirksausschusssitzung kommende Woche, vor. Und er hat es (mal wieder) in sich! Zwar taucht nirgendwo das Wort Verkehrs- oder Mobilitätswende auf, aber das ist auch gar nicht nötig. Im Grunde wird eh nur wiedergekäut, was längst in oben erwähnten Pamphleten drin steht. All die Pkw-erzeugten Probleme, die illegalen Parkflächen, die jegliche Stadtteilentwicklung verunmöglichen, und so weiter.

Trotzdem lohnt es sich, die Beschlussvorlage der Verwaltung etwas genauer zu lesen. Denn nehmen wir all das ernst, was unsere parlamentarischen Vertreter (gendern lohnt an dieserStelle kaum) andauernd beschließen und uns erzählen, dann stellen sich einige Fragen. Davon will ich angesichts des ausufernden Textes aber nur mal eine (aus meiner Sicht die zentrale) Frage herauspicken:

Wo bleibt das Parkraumkonzept, das seinen Namen auch wirklich verdient?

In allen Verkehrskonzepten steht ein Parkraumkonzept an erster und vorderster Stelle. Was auch Sinn macht, sind die Parkflächen doch das (noch!) dominierende Kriterium unserer Städte und damit zwangsläufig die zentrale und unausweichliche Stellschraube für verkehrliche Veränderungen. Dicht gefolgt von Pkw-Fahrbahnen. Wer sich nicht an die Parkplätze ran traut, will entweder keine echte Veränderung haben, ist zu feige für echte (eigens beschlossene) Veränderung oder ist schlicht, ergreifend und nicht mehr politisch erreichbar in anachronistischen automobilen Ideologien verfangen.

Umso erstaunlicher, dass von einem echten Parkraumkonzept, so wie es ISEK, Machbarkeitsstudie etc. fordern, in der Beschlussvorlage nicht wirklich die Rede ist. Immer noch nicht!

Beschlussentwurf:
Die Verwaltung wird beauftragt, Kompensationsmaßnahmen für die entfallenen Stellplätze beispielsweise im Hinblick auf dezentrale, einzelne, kleinflächige Pkw-Stellplatzanlagen und/ oder gegebenenfalls einer zentralen Quartiersgarage zu betrachten. (…)

Die Entwicklung von Kompensationsaufgaben für den ruhenden Verkehr soll im Rahmen der Machbarkeitsuntersuchung erfolgen. Aus diesem Grund soll der bestehende Planungsauftrag entsprechend erweitert werden.

Umgestaltung Nordstraße / Zollhausstraße; hier: GrGrundsatzbeschluss (Entwurf)

„Kompensationsmaßnahmen für entfallene Stellplätze betrachten“… Was soll das heißen? Immerhin ist von dezentralen Stellplatzflächen und sogar einer Quartiersgarage (undenkbare Science Fiction) die Rede. Das zusammenhängende Parkraumkonzept für den gesamten Stadtteil sehe ich da allerdings noch lange nicht. Aber mal abwarten, was das beauftragte Planungsbüro sich einfallen lässt. Die halten sich – anders als die Politik – an die politischen und rechtlichen Vorgaben.

Bei „Grundsatzbeschlüssen“ sollte man aber sowieso immer skeptisch sein. Wäre nicht das erste Mal, dass große Dinge selbstgerecht und publikumswirksam beschlossen und verkündet worden wären, auf deren Umsetzung wir noch heute bzw. vergeblich warten.

Auf jeden Fall wird das Eis, auf dem sich die interfraktionelle, verkehrswenderevisionistische Weiter-so-Politik rechtlich und rhetorisch bewegt, immer dünner. Es bleibt spannend!


Teil III folgt…




Quelle: Polizei Düren, PRESSEPORTAL