Obwohl die Stadt Düren (noch?) kein Klima-Bündnis-Mitglied ist, lädt sie alle Jahre wieder zum STADTRADELN ein. Die “Klimakampagne” soll Kommunen bei ihrem Ziel unterstützen, mehr Menschen zu mehr klimafreundlicher Mobilität zu bewegen. Auch in diesem Jahr…
Im Fokus stehen dabei – wie immer – die im Rahmen der Kampagne eingesparten CO2-Tonnen – gemessen an den geradelten Kilometern. Als Ansporn dient ein Wettbewerb, der mit ein paar Sachpreisen und dem Vergleich der erradelten Kilometer zwischen den gemeldeten Teams und Kommunen lockt.
Auch in 2024 ist die Stadt Düren vom 20. Juni bis zum 10. Juli 2024 wieder bei der Klimakampagne STADTRADELN dabei.
Quelle: Stadt Düren
Radeln für ein gutes Klima! Leiste auch Du Deinen persönlichen Beitrag zum Klimaschutz und radle mit! Sammle möglichst viele Kilometer für Dein Team und die gesamte Stadt Düren – Egal ob beruflich oder privat – Hauptsache CO2-frei unterwegs!
Jeder Kilometer zählt!

Klimaschutz vs. gefühlte Sicherheit und (nicht) vorhandene Infrastruktur
Eine grundsätzlich sehr gute Sache! Mit einem kleinen Haken: Niemand weiß, wie viele Tonnen CO2 während des STADTRADELNS tatsächlich eingespart werden, denn es wird ja gar nicht erfasst, wie viele Kilometer weniger Pkw aufgrund des STADTRADELNS gefahren wurden. Wie auch?
Wieviel weniger Elterntaxi-Fahrten gab es während (oder gar wegen) des STADTRADELNS? Welchen Anlass hätten Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen, weil Radfahren in Düren zu gefährlich ist, sie während des STADTRADELN-Zeitraums (guten Gewissens) mit dem Rad fahren zu lassen? Kohlendioxideinsparung?
Animiert das wettbewerbliche Kilometer-Sammeln aka CO2-Sparen eher zum etwas mehr Radfahren als man es eh schon tut, oder dazu, Alltagsstrecken, die üblicherweise per Auto gefahren werden, mit dem Rad zurückzulegen? Wen erreicht das STADTRADELN? Die Sowieso-Radahrer oder diejenigen, die selbst die kürzesten Strecken gewohnheitsmäßig mit dem Auto fahren?
Ganz ketzerisch könnte man sich auch die Frage stellen, ob mit der Fokussierung auf den Klimaschutz-Aspekt und die (angeblich) durch den Wettbewerb eingesparten Tonnen CO2 nicht auch die Verantwortlichkeit verschoben wird bzw. droht „verschleiert“ zu werden. Weg von Politik und Verwaltung, den eigentlich für die Steigerung der klimafreundlichen Mobilität Verantwortlichen. Hin zur Stadtgesellschaft bzw. zu jeder/m Einzelnen, der/die/das beim STADTRADELN ganz individuell dafür verantwortlich wird, “die Stadt” während der Kampagne beim CO2-Sparen zu unterstützen.
Zur Erinnerung: Wir haben in der Stadt Düren, im Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz NRW, im Nationalen Radverkehrsplan 3.0 etc. ziemlich konkrete, zahlenmäßige Ziele genau dazu beschlossen: Wieviel ÖPNV, Rad- und Fußverkehr und wieviel motorisierten Individualverkehr wollen wir eigentlich?
Sicherlich spielen Aktionen wir STADTRADELN eine (irgendwie positive) Rolle bei dem, was wir früher mal „Verkehrswende“ genannt haben. (Vorsicht: linksgrünideologieversiffter Kampfbegriff – sollte tunlichst vermieden werden!) Zur Rolle des Verkehrssektors im Klimaschutz-Klumpatsch ist auch schon viel gesagt, geschrieben und beschlossen worden.
Wer jedoch denkt, durch das STADTRADELN allein würde sich irgendwas an unserer Klimabillanz oder am Modal Split der Stadt Düren ändern, sollte sich entweder einem Realitäts-Check unterziehen oder Grußwortschreiber für STADTRADELN-Schirmherren werden.
Die Frage danach, welches „Surrounding“, welche Infrastruktur zum Radfahren einlädt oder vom Radfahren abschreckt, spielt im Rahmen des STADTRADELNS leider überhaupt keine Rolle. Obwohl sie in der Realität die absolut entscheidende Frage ist. Keine durchgehend sichere und im besten Fall komfortablere Infrastrukturangebote als für den Pkw-Verkehr = kein Interesse an Nutzung dieser Nicht-Infrastruktur! Kein Angebot = keine Nachfrage.
Lustigerweise sind es gerade die Apologeten des „freien Markts“, die einerseits eine möglichst autogerechte Innenstadt propagieren, und die andererseits bei jeder kleinsten Radverkehrsförderung am lautesten aufschreien und „argumentieren“, die bräuchte es doch überhaupt nicht, weil es ja gar keine Radfahrer gebe. Finde den Fehler.
Oder begehe ich da einen Denkfehler und es ist genau andersherum: Keine Nachfrage an Radfahren, also auch keine Angebotsschaffung notwendig? Dagegen spricht die Entwicklung des Fahrradbestands in Deutschland ebenso wie einigermaßen stabile Verkaufszahlen, die übrigens deutlich über denen bei Pkw (Neuzulassungen mit Trend zum Verbrenner) liegen.
Zyniker, die die Dürener Verkehrsverhältnisse aus der Fahrrad-Pespektive kennen, könnten das STADTRADELN sogar als Aufruf zur willentlichen Selbstgefährdung sehen… Interessierte Beobachter der Dürener Verkehrspolitik könnten hinter dem STADTRADELN außerdem Greenwashing vermuten, denn an dem tatsächlichen Willen, die “Mobilitätswende” vor Ort wirklich anzugehen und konsequent umzusetzen, bestehen durchaus berechtigte Zweifel – beispielsweise mit Blick auf die „konsequente Umsetzung“ unseres städtischen Verkehrskonzepts.

Wozu also STADTRADELN?
Ist alles gut, was den Radverkehr (angeblich, grundsätzlich, temporär, marginal, wie auch immer…) fördert? Oder ist da mehr Schein als Sein? Ist STADTRADELN ein Instrument für echte Veränderung oder letztendlich nur Instrumentalisierung zur Greenwashing-Beteiligung?
Ich persönlich bin da hin- und hergerissen und leide diesbezüglich unter massiver dissoziativer Identitätsstörung. Wer den Blog ein wenig verfolgt, wird meine kritische Haltung zum STADTRADELN mitbekommen haben. Die Bürgerinitiative ProRad aka ADFC-Ortsgruppe Düren beteiligt sich mal aktiv am STADTRADELN und schickt mal ein ProTest-Team an den Start, weil sie keine konsequente, den Beschlüssen, Gesetzen und Konzepten entsprechende Radverkehrsförderung vor Ort feststellen kann. Währenddessen prangt das ADFC-Logo auf der Unterstützer-Leiste des lokalen Stadtradeln-Flyers… Alles sehr diffus.
Richtig schizophren wird´s, wenn ich mich dieses Jahr gleichzeitig dienstlich (über das Dürener Sozialrad), als ADFC/ProRad-Aktiver, als Privat-Bloggender und aktiv Teilnehmender mit dem STADTRADELN beschäftige.
Eins ist zumindest klar: Der eigentliche STADTRADELN-Effekt könnte/sollte/müsste nicht auf dem CO2-Einspareffekt liegen, sondern darin, was selbst das Klimabündnis als STADTRADELN-Franchise-Vertreiber anmahnt.
Diese Kampagne ist eine einzigartige Möglichkeit, klimafreundliche Mobilität zu fördern, da sie direkt mit Mitgliedern der Kommunalparlamente in Kontakt tritt und sie auffordert, das Radwegenetz vor Ort selbst zu testen. Diese Politiker*innen können dann spezielle Verbesserungen umsetzen, die auf ihren Erfahrungen beruhen und das Fahrradfahren vor Ort wird so erleichtert.
Quelle: Klima-Bündnis
Mit der integrierten Meldeplattform RADar! ermöglicht STADTRADELN den Bürger*innen, Hinweise auf problematische oder fehlende Infrastrukturen zu geben. Zudem sind die Kommunen in die Lage versetzt, (mindestens) ergänzend zur eigenen Straßenkontrolle RADar! zur verbesserten Schwerpunktsetzung ihrer Tätigkeit als Straßenbaulastträger zu nutzen, sodass sie die Kontrolle ihrer Radinfrastruktur (in Teilen) in die Hände ihrer RadlerInnen legen. Die Kampagne stellt damit Kommunen ein Kommunikation-, Planungs- und Bürger*innenbeteiligungsinstrument zur Verfügung, das die Interessen der VerkehrsteilnehmerInnen mit Sicherheit im Straßenverkehr und Klimaschutz in Einklang bringt.
Bisher haben wir diese “einzigartige Möglichkeit” nicht wirklich so genutzt, wie es möglich und Sinn der Sache wäre. Eigentlich haben wir sie gar nicht genutzt. (Der Lerneffekt der Utrecht-Exkursion scheint derweil auch längst verpufft zu sein.) Die RADAR!-Meldefunktion wird es auch in diesem Jahr nicht geben. Aus nachvollziehbaren Gründen. Denn wirft man einen Blick auf all die Meldungen aus Zeiten, in denen es die Funktion während des STADTRADELNS mal gab, wird schnell klar, dass die Meldungen ja gar nicht bearbeitet werden können. Wer soll sich darum kümmern, in Strukturen, die auch personell komplett auf Instandhaltung und Förderung des innerstädtischen Autoverkehrs ausgelegt sind – bis hin zum politischen Mindset. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Siehe auch hier:
Auch die Tracking-Daten aus der STADTRADELN-App werden offensichtlich nicht für die Dürener Verkehrspolitik und -planung genutzt. Die Politik interessiert sich überhaupt nicht dafür oder hat sogar Angst davor. Das Fachamt würde bestimmt gerne, wenn entsprechende personelle Ressourcen vorhanden wären. Oder wenigstens ein politischer Auftrag. Ich mutmaße.
Bei aller Kritik und Fragwürdigkeiten sehe und betone ich auch die positiven Aspekte beim STADTRADELN. Das Gute zum Schluss…
Das Gute…
…an der Sache ist schon mal die Sache an sich. Der Zweck heiligt die Mittel. Es wird (nicht nur!) dem Radverkehr nicht schaden, wenn möglichst viele Leute möglichst viel mit dem Rad unterwegs sind. Egal ob zusätzlich oder anstatt per Pkw. Wäre schön und sinnvoll, wenn dieser Gedanke auch über den Kampagnen-Zeitraum und den Klimaschutz-Faktor hinaus wirksam wäre.
Auch dem Wettbewerbscharakter kann man durchaus Positives abGEWINNEN! Der scheint die Motivation zur Teilnahme deutlich zu steigern – nicht zuletzt bei der Dürener Schülerschaft. Viele Betriebe, Vereine usw. gründen Teams, um miteinander und gegeneinander Kilometer zu sammeln. Vielleicht fahren tatsächlich einige Leute öfter und mehr Rad und lassen deshalb vielleicht sogar ab und zu ihr Auto stehen – während des STADTRADELN-Zeitraums und darüber hinaus.
Neben dem vermehrten Radverkehr auf Dürener Straßen, wird es dank STADTRADELN vermutlich auch wieder (teil- und zeitweise) vermehrt Öffentlichkeitsarbeit pro Radverkehr bzw. klimafreundliche Mobilität geben. Gut so, denn von solcher Öffentlichkeitsarbeit gibt es deutlich weniger als vom Gejammer um die Unfähigkeit, “die Leute mitnehmen” zu können.





Äußerst positiv auch, dass die Verwaltung diesmal proaktiv auf „die Radfahrer-Szene“ zugegangen ist und in Kooperation mit dem Dürener Sozialrad zum (heutigen) STADTRADELN-Auftakt einen Info- und Reparatur-Stand in der Fußgängerzone auf die Beine gestellt hat. Hat einem nochmal bewusst gemacht, wieviele Leute (nicht nur) an einem Markttag per Rad in der City unterwegs sind. Das Interesse am Stand und an kleineren, dank städtischem „Sponsoring“ kostenlosen Reparaturen vor Ort war deutlich größer, als ich im Vorfeld vermutet hatte. Ständig wurden Räder aufgebockt und verarztet sowie angenehme Gespräche geführt. Eine gelungene Aktion, auf der man gut aufbauen kann! Ein großes Dankeschön an dieser Stelle!

In dem Zusammenhang ebenfalls sehr schön: Es wird wieder eine 1.5m-Abstandskampagne der Stadt geben. Hatte ich bisher ja eher kritisch betrachtet. Aber diesmal unter Beteiligung der (Kreis-) Polizei! Man munkelt, dass die Polizei nach dem „Hammer Modell“ Überholabstände kontrollieren wird. Endlich!!! Wie lange fordern wir das schon? Ich kann kaum glauben, dass es bald soweit sein soll. Fast noch weniger kann ich angesichts der Einfachheit in der Umsetzung glauben, dass es erst jetzt soweit sein soll. Was hat uns bisher gehindert? Naja, besser spät als nie!

Links:
Volle Transparenz: Mein aktueller Kurzstrecken-Pendler-STADTRADELN-Status im Alleine-Team radpendler-punkt-org:
Ältere Blogbeiträge zu “Stadtradeln” hier.
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