Dürener Delegation besucht die Fahrradstadt Utrecht

Demnächst unternehmen die Mitglieder des städtischen Mobilitäs- und Klimaschutz-Ausschusses eine Exkursion in die Niederlande. So wurde es zumindest angekündigt. Offenbar soll es nach Utrecht gehen. In die Stadt, die 132 Euro pro Bürger und Jahr für Radinfrastruktur ausgibt. Hier nutzen über 60 Prozent der Leute ihr Fahrrad, um in die Innenstadt zu fahren.

Zum Vergleich: Die Stadt Düren hat sich zum Ziel gesetzt, den Radverkehrsanteil von 10 Prozent (Stand: 2014) auf 15 Prozent bis 2025 zu erhöhen. Ob sie dieses Ziel erreichen wird, kann niemand sagen. Denn die entsprechenden Zahlen werden gar nicht erfasst und ausgewertet. Die städtischen Pro-Kopf-Ausgaben für Radverkehr/Pkw-Verkehr sind ebenfalls entweder nicht bekannt oder einfach nur kein Teil der verkehrs(partei)politischen Argumentation. Ich hatte irgendwann mal 2,55 Euro pro Einwohner/Jahr ausgerechnet.



Umso spannender wird es sein, wie der Bericht vom Utrecht-Besuch der Dürener Delegation ausfallen wird. Und natürlich welche konkreten Ideen für unsere demnächst „fahrradfreundliche Stadt“ *hüstel* mitgebracht werden. Kommt jetzt endlich der angekündigte Aufbruch? Das Unterhaken und der gemeinschaftliche Ruck in Richtung Mobilitätswende?

Falls es dem angekündigten Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik zuträglich ist, empfehle ich der Delegation zwecks Erkenntnisgewinn und Bewusstseinserweiterung auch (mindestens) einen Besuch in einem der zahlreichen, hervorragend per fiets erreichbaren Coffeeshops in Utrecht.



Niederländischer Standard –
Deutsche Utopie

Vermutlich sieht die Bilanz aber dann doch eher so oder so ähnlich aus:

  • Alles schön und gut – aber wir sind ja schließlich nicht in Holland.
  • Utrecht (und jede andere niederländische Stadt) ist mit Düren (und jeder anderen deutschen Stadt) leider überhaupt nicht vergleichbar. Sorry, ist so, kann man nix machen.
  • Damit hätten wir sowieso schon viel früher anfangen müssen – jetzt ist es eh zu spät dafür und wir lassen es lieber ganz bleiben.
  • Wir PolitikerX würden ja total gerne, aber die dumme Bevölkerung (oder der garstige Gesetzgeber) spielt da nicht mit! Wir schaffen es einfach nicht, das Wahlvieh mitzunehmen, obwohl wir es so unermüdlich mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen.
  • Hervorragende, gelingende Dinge abzuschauen ist sowieso nicht unser Ding. Wir nehmen den German Sonderweg: Den wenigen Radfahrenden möglichst viel Gutes tun (also ein paar Fahrradbügel und eine Fahrradstraße hier und da) und gleichzeitig dem motorisierten Individualverkehr sämtliche Privilegien erhalten (und ausbauen), die er sich so redlich verdient hat. Darüber diskutieren wir allerdings so lange, bis es wieder eine neue Welle der Gesetzgebung, Pkw-Antriebsoptionen, Energiegewinnungsformen, äußeren Umstände o.Ä. gibt, die uns veranlassen wird, die ganze Sache nochmal ganz neu denken und bewerten zu müssen.
  • Auf gar keinen Fall beweisen wir mal ein wenig Mut und probieren etwas aus, das wir selbst mit dem Rad in Utrecht be/erfahren haben. Wir verlieren uns lieber weiter in Ideologien und unendlichen, theoretischen Risiko-Folgenabschätzungsdiskussionen. (Obwohl wir noch nicht mal eigene Daten sammeln, um irgendwelche Folgen/Ergebnisse wirklich einschätzen zu können…)
  • Wir verlassen uns sowieso lieber auf Prognosen, die uns immer mehr Pkw- und Lkw-Verkehr versprechen, als auf die Verkehrswissenschaft, die uns aufzeigt, wie wir handeln müssten, wenn wir unsere eigentlichen Ziele erreichen wollten. Handeln? Ziele erreichen? Das kann doch nicht Aufgabe der Politik sein!

Aber vielleicht täusche ich mich. Auf jeden Fall wünsche ich der Dürener Delegation viel Spaß und gute, erkenntnisreiche Fahrten durch Utrecht!


Der Siegeszug des Fahrrads in Utrecht: Die Rad-Megacity
Radfahren in Utrecht ist eine Art Besuch im Paradies. Erkenntnisse über die Autorepublik Deutschland gibt es gratis dazu.


Mini-Exkursion Eindhoven

Eindhoven zählt wahrscheinlich nicht zu den Top-Cities für Radverkehr in den Niederlanden. Und mit Düren ist die 238.326-Einwohner-Stadt sowieso nicht vergleichbar. Siehe oben. Geschenkt. Trotzdem und weil ich übers Wochenende in Eindhoven sein durfte, folgen ein paar Eindrücke und (zwangsläufig) Vergleiche mit der Stadt, in der ich täglich unterwegs bin.

Sicher, schnell, komfortabel!

Ein paar Dinge fallen einem sofort auf, wenn man deutsche Städte als Radfahrer gewöhnt ist und plötzlich in den Niederlanden unterwegs ist. Ohne Übertreibung kann man sagen: Das sind zwei grundsätzlich verschiedene Welten! Ein paar wenige Beispiele…

Sicher: Durchgehende, meistens separierte und breite Wege

In den Niederlanden ist man eigentlich immer auf Radwegen unterwegs. Egal ob in Stadt, Dorf oder über Land. Meistens sind die Radwege baulich von der Pkw-Fahrbahn getrennt – sogar in Kreisverkehren – und fast immer sind sie breit und rot. Es gibt auch das, was wir als „Schutzstreifen“ bezeichnen – allerdings in etwas anderen Größendimensionen, als wir sie kennen.

Eine für deutsche City-Radler vollkommen neue Erfahrung. Das muss das sein, was in unseren Zukunfts-Konzepten immer als „durchgehendes Radvorrangrouten-Netz“ bezeichnet wird. In Düren beginnen wir gerade (2023!) mit der Umsetzung einer ersten solchen Route.


Schnell & komfortabel: Oberflächen, Ampelschaltungen, Vorfahrtsregeln…

Eine ebenso und damit zusammenhängende vollkommen andere Erfahrung ist der „Flow“ mit dem man per Rad unterwegs ist. Die zehn Kilometer von unserer Unterkunft bis mitten ins Zentrum von Eindhoven ließen sich fast ohne jeglichen Halt durch fahren. Absolut surreal, wenn man von zuhause ständiges Stop & Go gewöhnt ist.



Man hat (zumindest gefühlt) immer Vorfahrt und selbst Kreisverkehre machen richtig Spaß, weil man ungestört und konfliktfrei durch sie hindurch gleiten kann. Dass hier ein Autofahrer einen Radfahrer „übersieht“, ist qua Design nahezu ausgeschlossen. Überall Haifischzähne, alles sehr intuitiv, sicher und durchdacht!


Das nahtlose Fahren kommt Radfahrenden natürlich sehr entgegen – E-Bike hin oder her. Dass das so wunderbar funktioniert, liegt aber nicht nur an den durchgehenden Radwege-Netzen und deren hervorragendem Zustand.

Ampeln

Insbesondere die Ampelschaltungen sind eine reine Freude. Was bei uns nur dem Autoverkehr vorbehalten ist, ist in den Niederlanden Standard auf den Radwegen: Induktionsschleifen, die erkennen, wenn sich Radler nähern und deren Ampel möglichst schnell auf Grün schalten, falls nötig. Fühlt sich für einen deutschen Radfahrer erst mal wie Magie an, man gewöhnt sich aber sehr schnell und sehr gerne daran.

Angeblich soll die erste Dürener Radvorrangroute auch eine solche Ampel erhalten – natürlich an einer Stelle, an der es dem Pkw-Verkehr niemals auch nur ein bisschen weht tun könnte. Immerhin: Ein symbolischer Akt.

Überhaupt sind die Ampeln und Ampelschaltungen in den Niederlanden extrem fahrradfreundlich ausgelegt – stets auf Augenhöhe und meist mit Wartezeit-Anzeige. Push & Pull – zwei Fliegen mit einer Klappe…


Induktionsschleifen-Effekt aufgenommen in Den Bosch:
Weil Radfahrer kein stop-and-go mögen.

Außerorts fällt einem sofort auf, dass die vielen Hubbel durch Baumwurzeln und die vielen unterschiedlichen Beläge, die man aus Deutschland kennt, nicht vorhanden sind. Ohne sie zu vermissen, wundert man sich, ob die Holländer andere Bäume entlang von Radwegen pflanzen oder ob die besseren Beton (Ortbeton?) benutzen. Jedenfalls ist das Fahren auf niederländischen Radwegen in der Regel eine wahre Freude.

Und manchmal auch ein echtes Highlight…


Sternennacht (1889), Vincent Van Gogh, Lizenz: Dieses Werk ist gemeinfrei.

Außergewöhnlich: Van Gogh Path

Manchmal übertreiben es die Holländer einfach. Zumindest aus Sicht eines im Autoland Deutschland sozialisierten/indoktrinierten Beobachters. An einer Landstraße habe ich beispielsweise ein sehr offiziell anmutendes Schild mit folgender Botschaft gesehen (aber leider nicht fotografiert):

🚲 = ❤️

So etwas ist mir in Düren noch nie entgegen gekommen. Würde das deutsche Recht wahrscheinlich gar nicht zulassen.

Und dann das:
Inspiriert von Van Goghs „Sternennacht“ hat der niederländische Designer Daan Roosegaarde den „Van Gogh-Roosegaarde Fietspad“ kreiert, der im November 2014 anlässlich des folgenden Van Gogh-Jahres eröffnet wurde. Das war zwei Jahre bevor in Düren das wegweisende *hüstel* Verkehrskonzept für klimafreundliche Mobilität einstimmig im Stadtrat beschlossen wurde.

Wahrscheinlich würde dieser herrliche Radweg bei uns schon daran scheitern, dass er dazu animiert, im Dunkeln ohne Licht auf ihm zu fahren. Denn sobald man das Licht anschaltet, ist der Effekt weg. Ziemlich abgefahrene Sache. Die folgenden Bilder sind etwas aufgehellt. Es war stockduster.



Parken

Was bei uns das Hauptthema in Sachen Radverkehr zu sein scheint, ist in wahrscheinlich jeder niederländischen Stadt eine nicht weiter erwähnenswerte Selbstverständlichkeit: Fahrradparkplätze noch und nöcher – und Parkraumkonzepte für Pkw, die der ganzen Welt als Vorbild dienen. Ein paar Beispiel-Fotos sollen an dieser Stelle reichen, um das Thema Parkplätze nicht überzustrapazieren.


Mal sehen, welche Parkraum-Ideen die automobilindoktrinierte Düren-Delegation in Utrecht sammelt. Wahrscheinlich wird ganz stolz vom 1.000-Fahrradbügel-Programm und dem Neubau der 700-Stellplatz-Radstation im Innovationsquartier südlich der Bahn berichtet.



„Kurioses“

Während die Dürener CDU behauptet, „die Hälfte“, „ein Drittel“, „egal wieviele“ Radfahrende würden ständig ohne Licht herumfahren, erinnern niederländische Kommunen ihre Leute einfach freundlich daran, das Licht einzuschalten.

Während wir in der Zeitung von Müllhalden lesen, die Autofahrer entlang unserer Straßen verursachen, stellen die Niederländer einfach Drive-By-Throw-In-Mülleimer für Radler auf.

Während Rollifahrer und alle Anderen bei uns unzählige und ungezählte Barrieren auf Geh- und Radwegen in Kauf nehmen (müssen), bauen die Niederländer einfach Absenkungen da hin, wo sie notwendig sind. Und beschmieren ihre eigenen Geh- und Radwege mit politischen Botschaften. Skandalös! Nimmt man so etwa die Leute mit?


Off Topic

Unabhängig vom Radverkehr lohnt sich ein Besuch in der Design-Metropole Eindhoven immer mal wieder. Wir konnten beispielsweise noch den Eindhoven-Marathon miterleben. Ein paar weitere Eindrücke…

StreetArt Eindhoven


Kunst, Kultur, Kommerz…


Infos zum niederländischen Radverkehr: