Image/Cover: Olaf Kosinsky, 2020-08-18 Minister Volker Wissing by OlafKosinsky MG 3177,
Titled frame around the image by: radpendler.org, CC BY-SA 3.0 DE


Ich richte meine Verkehrspolitik an den tatsächlichen Begebenheiten aus, an Zahlen, Daten und Fakten und nicht an politischem Wunschdenken.

Volker Wissing (FDP), Bundesminister für digitales und verkehr

Gestalter oder Getriebener?

Volker Wissing (FDP) ist Realist. Seine Politik basiert auf tatsächlichen Begebenheiten, auf Zahlen, Daten und Fakten – nicht auf irgendeinem utopischen, politischem Wunschdenken!

Hmmm… Auf den ersten Blick liest sich das gar nicht mal so unvernünftig. Bei genauerem Hinsehen stellen sich allerdings einige Fragen.

Fallen „Prognosen“ etwa auch in die Kategorie „Zahlen, Daten, Fakten“?
Der Anlass des Statements ist schließlich die erste 30-Jahre-Langzeit-Prognose für einen Sektor (Verkehr), der sich massiv im Umbruch befindet und außerdem durch höchstmögliche innere und äußere Komplexität und Konnektivität mit anderen Sektoren (Energie, Arbeit, Wohnen, Bildung, Soziales, (EU-)Recht…) geprägt ist. Wie realistisch kann eine solche Prognose eigentlich sein und welches Gewicht sollte sie im Vergleich zu den gesellschaftlichen und politischen Zielen haben?

Was ist der Unterschied zwischen „politischem Wunschdenken“ und „politischen Zielen“?
Gibt es überhaupt einen Unterschied? Wissings Statement liest sich eher, als setze er reale politische Ziele und unrealistisches politisches Wunschdeken eins. Damit verabschiedet er die (teils eigenen) demokratisch beschlossenen politischen Ziele und Konzepte ins Reich der Phantasie & Utopie. Für Realpolitik ist der Status Quo das Maß der Dinge, nicht politische Überzeugung und demokratischer Beschluss.

Und was passiert, wenn statistische Prognosen zum Wunschdenken werden, aber nicht den (angeblichen) politischen Zielen entsprechen?
An diesem Punkt scheinen wir uns aktuell zu befinden. Die Verkehrswende ist beschlossene Sache, wir haben ein Klimaschutzgesetz, einen Nationalen Radverkehrsplan, Koalitionsverträge noch und nöcher – und vieles mehr. Unisono, wissenschaftlich unterstützt und parteiübergreifend wurde in all diesen Papieren beschlossen, den Modal Split so zu ändern, dass zukünftig weniger Kilometer per Pkw und Lkw gefahren werden, dafür umso mehr via ÖPNV, Fuß-, Rad- und Sharing-Verkehr sowie neuen Mikromobilitätsformen zurückgelegt werden sollen (müssen).

Dummerweise widerspricht die im März veröffentlichte Langzeit-Prognose des Verkehrsministeriums teilweise erschreckend deutlich den politischen Beschlüssen. Wer es sich en detail anschauen möchte, darf gerne hier nachlesen: „Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose“ (PDF) vs. Nationaler Radverkehrsplan 3.0.


Und jetzt? Welche Schlussfolgerung ziehen wir aus der offensichtlichen Diskrepanz zwischen daten- und faktenbasierter Verkehrs-Horror-Prognose einerseits und hehren Klimaschutz- und Mobilitätswende-Zielen andererseits?

Volker Wissing hat offenbar aufgegeben und sich gedanklich schon so weit von allen gesellschaftlichen und demokratisch beschlossenen politischen Zielen verabschiedet, dass sein Gestaltungswille Richtung „Null“ tendiert.

Und der Verkehrsclub VCD hat es ziemlich gut auf den Punkt gebracht:

Minister Wissing bastelt sich eine selbsterfüllende Prophezeiung: Steigende Zahlen aus der Verkehrsprognose dienen als Argument, vor allem die Straße weiter auszubauen. Und mit mehr Straßen sorgt er dafür, dass die Zahlen auch weiterhin steigen – was wiederum Bedarf an neuen Straßen nach sich zieht.

De facto sagt Wissing damit die Verkehrswende ab: Er ignoriert sämtliche Ziele, den Verkehr auf die Schiene zu verlagern, wie der Koalitionsvertrag sie vorsieht. Dabei kritisieren Verbände und Verkehrsexperten die Methodik der Verkehrsprognosen seit langem: Sie dienen lediglich dazu, Trends fortzuschreiben und die veraltete Auto-Fixierung zu zementieren.

Verkehrsprognose soll neue Straßen begründen – Wissing sagt Verkehrswende ab und begräbt den Klimaschutz, vcd.org

Hmmm… Wenn Wissing nicht an politische Ziele glaubt (Modal Shift), wieso sollten wir dann seinem Glauben an seine Prognosen mehr Glauben schenken?

Technologieoffenheit, Innovationsexpolsion und Künstliche Intelligenz

Immerhin sind sich Bundesverkehrsminister und Bundesdigitalminister, die sich jeden Morgen vor dem Badezimmerspiegel treffen, einig: Eigentlich braucht es nur ausreichend Vertrauen in die Innovationskraft und das sozial-ökologische Gewissen der erwiesenermaßen altruistischen und skandalfreien deutschen Automobilindustrie. Dazu maximale Technologieoffenheit bei allem, was irgendwie aus der Erde kommt und verbrannt werden kann. Und als katalysierendes Sahnehäubchen noch jede Menge energiesparende, transparente und sichere künstliche Intelligenz oben drauf.

Damit lassen sich jede Menge bis zu alle barrierefreien Bushaltestellen und Gehwege, neue ÖPNV-Linien, Radschnellwege, Parkraumkonzepte und all der Quatsch leicht einsparen auf dem Weg in die schöne neue, alte Welt der Mobilität.

Quelle: BMDV

Das Tempolimit abwürgen, aber mit „KI“ das Klima schützen wollen

Es klingt wie Satire, aber das Verkehrsministerium will jetzt Klimaschutz mit Künstlicher Intelligenz machen. Dabei würde ein bisschen mehr menschliche Intelligenz im Ministerium gegen die Klimakrise wirklich helfen. Ein Kommentar.

Netzpolitik.org

Die Frage, weshalb der sogenannte „Verkehrsminister“ offenbar ungestraft „Gesetzesbrecher“ genannt werden darf, soll uns in einem der nächsten Blogbeiträge beschäftigen. Hat irgendwas mit Klimaschutzgesetzen und Sofortprogrammen zu tun…


Kommentare und Quellen:

Noch mehr Autos und Straßen

Verkehrsexpertin wirft Wissing Ziellosigkeit vor

Quelle: swr.de