…oder: Die Tragödie des Allgemeinguts

Solange man als Autofahrer nicht selbst auf Parkplatzsuche ist, nimmt man sie eigentlich kaum wahr. Dabei dominieren sie das gesamte Stadtbild. Parkende Pkw! Man kann in der Innenstadt keine zehn Meter fahren, ohne ihnen zu begegnen, denn sie sind immer und überall da, allgegenwärtig – egal ob Tag oder Nacht, Frühling oder Winter, Pandemie oder nicht… Und wir haben uns an sie gewöhnt, ja wir wollen sie gar nicht mehr missen. Wir haben vielleicht gar nicht mehr die Vorstellungskraft, uns auszumalen, wie eine Innenstadt (fast) ohne sie aussehen könnte.


Der öffentliche Raum unserer Innenstadt ist fest in der Hand der Autofahrer. Besonders viel Fläche wird für Autos bereitgestellt, die nicht fahren. Entlang der eh schon Pkw-dominierten Straßen, auf großflächigen Parkplätzen, in mehrstöckigen Parkhäusern… Und natürlich überall dort, wo man eigentlich nicht parken darf, wie auf solchen Schutz-Streifchen, die noch übrig bleiben…
Straßenmalerei

Nicht schon wieder Falschparker…

Nein. Es geht heute mal um Richtigparker. Die sind eigentlich noch viel schlimmer! 😉

Über Falschparker gibt es ja bereits ein paar Gedanken, deshalb spare ich mir diese hier… Nur so viel: Es wurden tatsächlich mal ein paar Euro in den Haushalt 2020/21 gestellt, um das total „überlastete“ Amt für Recht und Ordnung ein wenig handlungsfähiger zu machen. Und um die Fehleinnahmen aus den Parkplatzkontrollen irgendwie wieder wettzumachen.

Und vielleicht werden ja demnächst auch noch die Schilder um- und abgehängt, die aufgrund der StVO-Novelle nicht mehr aktuell sind. Hat man wahrscheinlich in den letzten Wochen einfach vergessen. Ist ja noch Corona! Oder man hat geahnt (gewusst) *zwinkersmiley*, dass da irgendwie noch nicht das letzte Wort gesprochen ist… Denn da war doch noch eine Kleinigkeit: „Scheuers Vollbremsung: StVO-Novelle könnte in der Tonne landen“

Soll jetzt aber auch gar nicht das Thema sein, weil – wird eh nicht kontrolliert bei uns, also sei´s drum… Das grundsätzliche Problem sind sowieso nicht die bescheuerten Falschparker. Die sind wohl eher -ohne Beschönigung betreiben zu wollen – eine Folge und saftige Gratis-Beilage zum eigentlichen Brocken, den unsere Innenstadt tagtäglich schlucken muss. Beziehungsweise die Menschen, die sich dort aufhalten wollen und müssen. Das grundsätzliche Problem ist der öffentliche Raum, der nur autofahrenden, parkenden Menschen zur Verfügung gestellt wird, obwohl er eigentlich für Alle da sein sollte!


Quelle: pixabay, www.caniceus.de

Wie könnte das denn aussehen, wenn der gemeinsame Raum nicht nur den parkenden Pkw gehören würde. Und wenn der gesamte Verkehrsraum inklusive Straßen gerecht auf alle Nutzende verteilt würde? Oder noch besser: Wenn dieser anhand von umweltgerechten und menschenfreundlichen Zielen für eine lebenswerte Stadt der Zukunft radikal neu verteilt würde?

Wie sähe also so eine (fast) autofreie Innenstadt aus? Oder besser gesagt, wie würde sie sich anfühlen:? Denn nicht nur optisch würde sich am Bild „ein wenig“ ändern, wenn unsere Parkflächen mit Menschen, Pflanzen, Spiel- und Verweilflächen und Außengastronomie gefüllt wären. Mit lebendigen, sich bewegenden, kommunizierenden Wesen anstelle von herumstehenden Maschinen. Wir würden dies mit allen Sinnen wahrnehmen.

Man denke nur an den „Sound der Stadt“, wenn plötzlich Vögel und Kinder das „Hintergrund-Rauschen“ der Stadt erzeugen – nicht hupende Verbrenner. OK, klingt irgendwie pathetisch und immer „die armen Kinder“ für irgendwas herhalten zu lassen ist auch blöd, aber mal ehrlich: Städtebaulich planen wir doch für die nächsten Generationen. Also warum nicht schon jetzt deren Perspektiven und Wünsche mal ein bisschen mehr berücksichtigen? Ich höre da allerdings wenig an Forderungen nach Förderung und Beibehaltung des innerstädtischen Pkw-Parkraums. Ganz im Gegenteil…


Schilderwald anstatt echter Bäume!


Oder die Luftqualität? Wär´s nicht irgendwie schöner, wenn wir durch eine City flanieren könnten, in der wir uns nicht ständig zwischen Abgasschleudern hindurch schlängeln müssen? Weil ich die noch nicht hatte, instrumentalisiere ich noch unsere geliebten Hunde. Tiere und Randgruppen ziehen immer. Also: Denkt doch bitte auch mal an unsere Stadt-Hunde, die wir genau auf Auspuffhöhe durch die City ziehen!

Ich könnte ja noch die Behinderten (Düren als Stadt mit diversen Einrichtungen z.B. für Sehbehinderte) bezüglich des Themas Unfälle und Sicherheit ins Feld führen, aber mal genug mit der Instrumentalisierung.



Der Punkt ist: Wir brauchen viel weniger Pkw und Pkw-Parkplätze in unserer Innenstadt!

Ich denke, das Argument bedarf auch eigentlich relativ wenig Erklärung, da es offensichtlich ist und inzwischen selbst von der Autolobby vertreten wird. Die merken langsam auch, dass sie sich mit ewigen Verleugnungs-Strategien und augenscheinlichen Greenwashing-Kampagnen nur noch lächerlich machen ob der wissenschaftlichen Erkenntnisse und des öffentlichen Bewusstseins. Komisch nur, dass beim Thema „MIV in der Innenstadt“ so gut wie nichts passiert, obwohl es doch alle (inkl. Politik) besser wissen und wollen.


Abbildung: »Kommunale Verkehrswende: Städte sind Begegnungsräume.«
Quelle: www.weareplayground.com, Heinrich Böll Stiftung, Lizenz: CC-BY-NC-ND 4.0

Mal kurz zusammengefasst:

  • Der öffentliche Raum „gehört“ grundsätzlich allen gleichermaßen.
  • Der öffentliche Raum in unseren Innenstädten ist extrem knapp und lässt sich leider nicht beliebig erweitern.
  • Pkw verbrauchen enorm viel Platz verglichen mit Rad/Fuß/ÖPNV.
  • Pkw machen den knappen innerstädtischen Platz extrem unattraktiv (Optik, Nutzbarkeit).
  • Pkw nutzen den raren Platz extrem inneffizient (Standzeiten, ökonomische Bilanz).
  • Pkw nutzen den kaum vorhandenen Platz extrem kontraproduktiv (Umweltbelastungen plus deren Nebeneffekte, Parkplatzsuche, Falschparker, Staus…).
  • Pkw verringern die innerstädtische Verkehrs-Sicherheit und verursachen Unfälle, die tendenziell mehr Schaden verursachen als von Rad/Fuß verursachte Unfälle.
  • ÖPNV, Rad und Fuß verbrauchen sehr wenig Platz und nutzen diesen sehr effizient.
  • ÖPNV, Rad und Fuß steigern die Lebensqualität in der Innenstadt und werten die Stadt auf.
  • ÖPNV, Rad und Fuß verursachen vergleichsweise minimale Belastungen. Sie bringen durch positive Nebeneffekte sogar diverse gesamtgesellschaftliche Mehrwerte.
  • Mehr ÖPNV, Rad und Fuß in der Innenstadt = mehr Verkehrs-Sicherheit und weniger Verletzte und Tote (Vision Zero).


Leider wird Aufenthaltsqualität viel zu oft mit leichter und möglichst bequemer Erreichbarkeit per Pkw verwechselt oder städteplanerisch gleichgesetzt.

Da spukt noch ein ziemlicher Irrglaube in so manchen Köpfen von Planenden, Geschäftstreibenden und sogenannten Politikern herum. Höchst erstaunlich! Gerade die „konservativen“ und „christlichen“ Parteien scheinen zu meinen, es sei in unserem bürgerlichen Interesse lieber Parkplätze und Autofahrer-Privilegien zu erhalten als die Lebensqualität und den Lebensraum unserer Kinder (da sind sie wieder).

Es ist nicht wichtig, dass unsere Kinderin der „Stadt der kurzen Wege“ sicher zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule kommen. Es gibt ja schließlich gut ausgebaute Straßen, Parkplätze und sichere Eltern-Innenstadt-SUV-Taxis. Viel wichtiger ist der Schutz der Autofahrer-Bequemlichkeit. (Siehe auch hier.) Niemand sollte in der Innenstadt gezwungen sein, mehr als hundert Meter zu Fuß gehen zu müssen. Das ist die Maxime.


Grafik: Martin Randelhoff, www.zukunft-mobilitaet.netCC BY 3.0

Die Tragik der Allmende

Das Problem ist, dass das Problem ein systematisches ist. Wir befinden uns nämlich, was den öffentlichen Parkraum betrifft, mitten in der „Allmendeklemme“, aus der wir nicht wieder herauskommen. Denn so einfach das Prinzip, so schwierig ist anscheinend die Lösung.

Es gibt den öffentlichen Raum, der grundsätzlich für alle frei verfügbar sein sollte, der aber topographisch nur sehr begrenzt zur Verfügung steht. Besonders in der Innenstadt. Das führt quasi AUTOmatisch dazu, dass das Allgemeingut öffentlicher Raum nicht effizient von allen und zum Wohle aller genutzt werden kann.

Es findet eine ständige Übernutzung durch eine bestimmte, eh schon räumlich absolut privilegierte Personengruppe (Autofahrer), statt. Diese Übernutzung führt zu noch mehr Ineffizienz und letztendlich dazu, dass das gesamte System sowohl für die „nur indirekt“ Beteiligten (die Kinder, Hunde, Behinderten, Anwohner, Nicht-Autofahrer etc.) als auch für die eigentlichen Verursacher immer mehr vor die Wand fährt.

Quelle: wikipedia, Grafik: Bartz/Stockmar,
Clean mobility instead of dirty traffic
, Lizenz: CC BY-SA 4.0 This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Und nun? Einfach weiter so? Noch mehr Parkraum schaffen? Bessere Parkraumfluktuation durch mehr Parkplatz-Knöllchen? Freies Parken für E-Autos in der Innenstadt? Lächerlich niedrige Parkgebühren? Neue Umgehungsstraßen durch die City? Auf die Empathie der Autofahrenden hoffen? Auf zukünftige technische Innovationen und Digitalisierung setzen?

So wird das nichts! Wir brauchen dringend neue Park- und Lieferkonzepte, die das Ziel haben, möglichst viele innerstädtische Parkplätze abzubauen und umzuwidmen sowie Pkw- und insbesondere den Schwerlast-Verkehr aus unserer City raus halten!

Dazu braucht es wiederum mutige Politiker sowie ausreichend und kompetente Planende. Ich bin (zum Glück) kein Verkehrsplaner und mir fehlt da ganz offensichtlich der professionelle Sachverstand. Aber schon mit ein wenig allgemeinem Menschenverstand muss man doch resümieren, dass das, was wir jahrzehntelang geplant haben, nicht mehr den heutigen menschlichen Bedürfnissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Und damit ist explizit auch die dahinter liegende Denke gemeint, die noch tief in Politik und Verwaltung verwurzelt ist.

Ich plädiere dafür, unser geradezu religiöses Verhältnis zum Auto radikal gedanklich aufzubrechen und mal ein wenig Rationalität und Aufklärung einkehren zu lassen. Dann können wir langsam mal anfangen, vernünftige Pläne zu schmieden und umzusetzen. Solange wir nach wie vor denken und planen wie noch in den 1970ern wird das nichts werden.

Siehe auch: Die Rurstadt ist wie Amsterdam in den 70ern…


Immer noch nicht ausreichend Parkplätze? Hmm, vielleicht einfach zu viele Autos unterwegs?

Eigentlich läuft es immer wieder auf dasselbe leidige Thema hinaus: Alle wissen und wollen (angeblich), dass wir dringend eine Verkehrswende in Richtung Umweltverbund ÖPNV/Rad/Fuß hinbekommen. Aber kaum jemand traut sich, das auch mal in Beschlüsse zu gießen, die dann auch tatsächlich umgesetzt werden. Es wird ja noch nicht mal ordentlich versucht, diese Mammutaufgabe vernünftig zu kommunizieren – weder extern noch intern (drängt sich einem der Eindruck auf).

Hinzu kommt natürlich immer noch das hiesige Planungsrecht und die teutonischen Zwänge, denen unsere Verkehrsplanenden obsessiv, sklavisch, geradezu masochistisch unterworfen sind, und die sie angeblich fast handlungsunfähig machen, wenn mal was Gutes für Rad&Fuß angedacht ist.

Lobbyismus und Klüngeleien spielen natürlich auch eine nicht unwesentliche Rolle, die jetzt nicht unbedingt progressiv in Richtung Verkehrswende spielt. Die Ämter sind notorisch unter- (und fehl-?) besetzt, es sind grundsätzlich nie ausreichend Leute und Finanzmittel da. Selbst wenn es Fördertöpfe gibt wie im Kämmerer-Schlaraffenland – es ist ja niemand da, der die die Anträge schreiben könnte…

Der Mangel an vielen Stellen ist enorm. Ist nur leider jetzt gerade erst zufällig aufgefallen, sonst hätte man über all die Jahre ja mal bei Haushalts- und Stellenplanung nachjustieren können. Ist natürlich schwierig, wenn keiner richtig Bock dazu hat.

Wie schrieb ein lokalpolitisch Aktiver unlängst so treffend (sarkastisch):

“Ich würde sagen, wir schaffen Radverkehr einfach ab!“

Vielleicht gar keine so unpassende Idee, schaut man sich die aktuellen Planungen oder die Entwicklung der Pkw-Neuzulassungen an…

Neuzulassungen verharren auf Vorjahresniveau – in Deutschland wurden im Jahr 2019 rund 3,6 Millionen Personenkraftwagen neu zugelassen. Mehr Pkw wurden letztmalig im Jahr 2009 zugelassen.

Quelle: statista

Leider tut sich die Stadt etwas schwer mit der Erfassung und Herausgabe von Zahlen zur Verkehrsentwicklung. Vieles scheint einfach gar nicht vorzuliegen – wie beispielsweise die Entwicklung des Modals Splits. 2005 im Rahmen des Klimaschutzteilkonzeptes einmalig erfasst, danach nicht weiter drum gekümmert? Im Qualitätsmanagement gibt es so etwas wie Jahreszielplanungen und deren jährliche Überprüfung. Da geht es um die Messbarkeit und Dokumentation von Maßnahmen und Zielen. Eigentlich ganz hilfreich, wenn man seine Ziele auch ernsthaft erreichen will.



Parkende Pkw sind unantastbar (für Kinder, Politiker und Verwaltung)

Man muss sich das immer mal wieder vergegenwärtigen, um das Ausmaß überhaupt noch erkennen zu können. Der Gewöhnungseffekt ist enorm! Überall parken Pkw, das ist gesetzt, wird nicht hinterfragt, ist systemrelevant ohne Ende und unwiderruflich in unserer deutschen Autofahrer-Nationen-DNA hinterlegt.

Beispiel „auf der Straße spielen“: Kinder haben die dumme Angewohnheit, vor die Tür zu gehen, um dort zu spielen. Nun heißt „vor der Tür“ in unseren Städten meistens „auf die Straße“, weil die Lebensräume nun halt mal zubetoniert und auf den Pkw zentriert wurden. Der öffentliche Raum, den die Kinder zum Spielen vor der Haustür nutzen dürfen, beschränkt sich bei uns beispielsweise auf einen schmalen Gehweg, der nicht viel an Freispiel zulässt. Natürlich hält sich auch kein vernünftiges Kind, das in einer einigermaßen ruhigen Straße lebt, daran und nutzt die Straße. Um eine Runde mit dem Fußball zu kicken, die neuen Inline Skates auszuprobieren, neue Tricks auf dem Skateboard zu üben, die Straße mit Freunden zu bemalen, Fangen, Verstecken und Klingelmäuschen zu spielen… Was man halt so macht in dem entsprechenden Alter.

OK, zugegeben, die Pkw haben auch mir schon das ein oder andere gute Versteck ermöglicht, aber sonst? Ständig müssen alle aufpassen, dass ja nichts an die herumstehenden Autos kommt. Wir erziehen unsere Kinder eindringlichst, sich und ihr Spielgerät von den Autos fernzuhalten. Es könnte ja eine Beule verursacht werden. Ständig vermitteln wir das Bild, es sei es total normal, dass alle Räume mit parkenden Autos vollgestellt sind. Und als müssten wir die Autos vor unseren Kindern schützen, nicht umgekehrt. Irgendwo hatte ich mal ein paar Zeilen zu „Konditionierung“ geschrieben. Verkehrte Verkehrs-Welt!



Nochmal zurück zu den Argumenten contra Autos i der Innenstadt: Vergesst das alles bitte wieder, denn es gibt noch einem gesellschaftlich akzeptierten Trumpf, den besonders die Politik gerne ausspielt, wenn den Autofahrern einige ihrer maßlosen Privilegien „weggenommen“ werden sollen. Das unschlagbare Ass im Ärmel nennt sich „Arbeitsplätze“! Sch..ß was auf die üblichen Verdächtigen (Kinder, Behinderte, Hunde…)! Arbeitsplätze sind das Maß aller Dinge! Und das Totschlag-Argument schlechthin. Schließlich hängen ja auch an jedem innerstädtischen Parkplatz mindestens vier Arbeitsplätze.

Ist das wirklich so? Und falls ja – sind wir nicht schlau und fähig genug, das endlich mal zu ändern?


Hermann Knoflacher und sein „Gehzeug“
Quelle: Wikipedia / Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, TU Wien. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Österreich“ lizenziert.

Dass die Pkw uns jeden innerstädtischen Raum zum Leben und Atmen nehmen, ist so offensichtlich, so spürbar, dass es fast schon weh tut. Wenn nicht körperlich, dann zumindest bezüglich des gesunden Menschenverstandes. Wir sehen tatsächlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr – beziehungsweise die Ideen für eine lebenswerte Stadt vor lauter parkenden Autos nicht mehr…

Und dabei liegt die Lösung eigentlich auf der Hand und wird bereits von fortschrittlicheren Kommunen praktiziert: Pkw raus aus den Innenstädten! Umwidmung der innerstädtischen Parkflächen. Das mag jetzt etwas wohlfeil klingen. Zumal die Hindernisse für ein neues Denken pro Verkehrswende ja auch bekannt sind. Aber da hört´s dann irgendwann auch auf mit dem bürgerschaftlichen Engagement. Genauso wohlfeil heißt´s ja gerne aus Politik und Verwaltung „Wer sich beschwert und alles besser weiß, der muss auch Lösungen haben.“.

Sorry, da bin ich raus. Meine pöbelhafte Meinung, die auf ein wenig Praxiserfahrung und Recherche beruht, heißt: Pkw raus aus den Innenstädten! Ja, Anwohner, Handwerker, Liefer- und Notdienste etc. werden immer noch ausreichend Raum für das Funktionieren einer lebenswerten Stadt haben. Nur alles nicht unbedingt Notwendige wird „outgesourced“ und durch bessere und damit auch besser genutzte Alternativen ersetzt. Um den Rest sollen sich gefälligst Politik und Verwaltung kümmern, dafür sind sie ja schließlich da, wenn ich das richtig verstanden habe. Leider gefällt es Politikern oft besser, die Verkehrswende (mit teils drastischen Worten) in Sonntagsreden zu beschwören, als das alles auch mal in Gang zu bringen – in der Rolle als Gesetz-, Innovations- und Richtungs-Geber.


Die Zahlen muss man nicht noch einmal auf den Tisch legen, oder? Ich mach´s trotzdem…

Wer verbraucht wieviel Raum (Flächenstunden)?

Quelle: VCD-Positionspapier „Rückeroberung der Straße“

Kurzer Stau-Exkurs:
Nicht nur beim Parken stehen unsere Autos jeden Tag stundenlang nutzlos und kontraproduktiv herum. Selbst wenn sie gefahren werden, also theoretisch unterwegs sind, erzeugen Autofahrer ihren eigenen Stillstand. Und das nicht zu knapp!

Rund 1,5 Millionen Kilometer (!) Stau produzieren wir in Deutschland Jahr für Jahr mit unseren Pkw. Das ist eine Autoschlange, die ihren Würgegriff gut 35 mal um die Erde legt. Über 700.000 Staus und mehr als 520.000 Stau-Stunden jedes Jahr – allein in Deutschland! Über knapp ein Drittel der Stau-Kilometer dürfen wir uns übrigens allein in NRW freuen. Wir sind da ziemlich produktiv.

Selbst der ADAC, neben dem Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA), der wohl größte Pkw-Lobby-“Verein” Deutschlands, fordert inzwischen “mehr Autofahrer zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen”.



Update: Diesen gibt es noch am Seiteneingang der Marienkirche.
Die Pkw parken etwas komfortabler…

Und in der Realität? Die Stadt stellt den Autofahrern dauerhaft und umfangreich qualitativ hochwertige und viel zu günstige bis hin zu kostenlosen Parkplätzen zur Verfügung. Fragt aber mal eine Bürgerinitiative an, die gerne anlässlich des internationalen „Parking Days“ einen einzigen Pkw-Parkplatz für ein paar Stunden umwidmen möchte, um zu zeigen, wie der innerstädtische Platz besser genutzt werden könnte… Dann müssen die engagierten Bürger mit der Verwaltung kämpfen, um letztendlich gnädigerweise ein zugiges Park-Plätzchen (diese wurden dann übrigens in Gebäck-Form angeboten – anstatt kalter Blechbüchse auf Rädern) zugewiesen zu bekommen, an dem auch garantiert kein Mensch vorbei kommt.


Jos Nino Notz hat sich in seiner Arbeit „Die Privatisierung öffentlichen Raums durch parkende Kfz – Von der Tragödie einer Allmende – über Ursache, Wirkung und Legitimation einer gemeinwohlschädigenden Regulierungspraxis“ mit dem innerstädtischen „Parkplatz-Phänomen“ auseinandergesetzt. Ein aktualisierter Teil seiner Abschlussarbeit ist unter dem Link zu finden. Hieraus möchte ich gerne einige Zitate nennen. In seiner umfangreicheren Abschlussarbeit analysiert der Autor auch noch intensiv die (volkswirtschaftlichen) Kosten der Bereitstellung von Kfz-Stellplätzen.

Quelle: ,„Die Privatisierung öffentlichen Raums durch parkende Kfz – Von der Tragödie einer Allmende – über Ursache, Wirkung und Legitimation einer gemeinwohlschädigenden Regulierungspraxis“ (Jos Nino Notz, TU Berlin)

In diesem Teil der Arbeit sind insbesondere die Experteninterviews interessant, die zwar nicht besonders repräsentativ sind, allerdings einen schönen Blick hinter die Planungskulissen werfen und zeigen, wie das System an sich selbst scheitert. (Es kann sein, dass ich bei der Reihenfolge der Zitate etwas durcheinander gekommen bin. Spielt aber inhaltlich keine Rolle. Ich empfehle eh, den ganzen Text zu lesen.)

Befragt wurden:

  • Verkehrsplaner aus der Privatwirtschaft
  • Städtischer Abteilungsleiter für Stadtentwicklung und Umwelt
  • Stellvertretender Betzirksbürgermeister
  • Stadtplaner vom Deutschen Institut für Urbanistik

Es fällt auf, dass die Entwicklung der Flächeninanspruchnahme des ruhenden Kfz- Verkehrs im öffentlichen (Straßen-)Raum der Städte von den Experten weitestgehend gleich beschrieben wird, während jedoch die Vehemenz mit der der Status quo kritisiert wird, unterschiedlich stark ausgeprägt ist und bei den Praktikern aus dem Bereich der Verkehrsplanung und Fachverwaltung vergleichsweise milder ausfällt. (…)

Es wird deutlich, dass alle Experten den gewachsenen Status quo, wenn auch unterschiedlich stark, so doch als problematisch und insgesamt zu wenig kritisch hinterfragt ansehen. Die Ablehnung der Flächenansprüche des ruhenden Kfz- Verkehrs reicht von einer eher nüchternen, auf einzelne konkrete Probleme gerichteten Sichtweise der Akteure aus Verkehrsplanung und Fachverwaltung bis zu einer deutlich allgemeineren und umfassender systemorientierten Kritik von Seiten der Experten aus Bezirkspolitik und Stadtplanung.

Der Stadtplaner legt dar, dass andere Länder verkehrspolitisch immer vorausgingen (z. B. die Parkraumpolitik in Zürich), aber in Deutschland neue Ansätze nur mühselig und verzögert ankämen. Laut dem Bezirksbürgermeister sei Deutschland verkehrspolitisch rückständig (was Restriktionen gegenüber dem MIV in Städten betreffe), da man autoaffin sei, weil Entscheidungsträger oftmals antiquierte Vorstellungen hegten und zumal vor der Wende teilweise luxuriöse Verhältnisse in Bezug auf staatliche Leistungen geherrscht hätten.

Wieder sind es die Experten aus Bezirkspolitik und Stadtplanung, die Deutschland eine allgemeine Rückständigkeit in Bezug auf das verkehrspolitische Thema des Kfz- Verkehrs in der Stadt bescheinigen. Die Experten aus den Bereichen Verkehrsplanung und Fachverwaltung hingegen sehen in der vorherrschenden Situation eher Unzulänglichkeiten im Detail als eine grundlegend systemimmanente Verfehlung der Verkehrspolitik. (…)

Es wurde dargelegt, dass in Deutschland die Praxis der Bereitstellung öffentlichen Parkraums generell auf eine größtmögliche Befriedigung der Nachfrage nach Kfz- Stellplätzen ausgerichtet ist und keiner Zielorientierung in Hinblick auf eine Beschränkung des Kfz-Verkehrs folgt. Insofern ist eine Diskrepanz zwischen dem programmatischen Anspruch nach einer Reduzierung des Kfz-Verkehrs in Städten und der Wirklichkeit der Bereitstellung öffentlichen Parkraums festzustellen.

Die Menge und der (zumeist nicht vorhandene) Nutzungspreis des öffentlich bereitgestellten Angebotes an Kfz-Stellplätzen sind ökonomisch irrational und die gängige Praxis der Parkraumbereitstellung ist von daher insgesamt nicht marktgerecht. Aufgrund der zu geringen Preissetzung ist die Nachfrage vollkommen ungehemmt.

Das auf ihre Befriedigung hin ausgelegte Angebot ist aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ineffizient groß; die gesamte Nachfrage kann dennoch nicht befriedigt werden. Der öffentliche städtische (Straßen-)Raum wird in der Folge regelmäßig von ruhendem Kfz-Verkehr übernutzt und seine über das Parken hinausgehenden stadträumlichen Qualitäten und Funktionen werden vernachlässigt – es handelt sich um die klassische Tragödie der Allmende.

Kfz-Verkehr wird in seiner Attraktivität gefördert, während das für den Umweltverbund und lebensweltliche Nutzungen von Stadtstraßen oftmals das Gegenteil bedeutet. Die Kosten, Lasten und Schäden durch die Inanspruchnahme öffentlichen (Straßen-)Raumes durch parkende Kfz werden sozialisiert, der Nutzen aus Kfz-Stellplätzen wird hingegen privatisiert. Insofern bedeuten die heutige Normalität und Konditionen des ruhenden Kfz-Verkehrs in Deutschland einen Standard der unentgeltlichen Privatisierung öffentlichen Eigentums.

Durch die ineffizient übermäßige Bereitstellung öffentlichen Raumes zum Parken von Fahrzeugen werden andere Verkehrsarten, -teilnehmer_innen und (auch verkehrsfremde) Nutzungsbedürfnisse direkt eingeschränkt, behindert, konterkariert und zum Teil einem erhöhten Gefahrenpotential ausgesetzt. Die Behinderungen und Gefährdungen, die aus dem ruhenden Kfz-Verkehr resultieren, treffen insbesondere schwächere Verkehrsteilnehmer_innen.

Die resultierenden funktionalen Einschränkungen bezüglich des Straßenraumes sorgen dafür, dass ein ‚echter Gemeingebrauch‘ an Stadtstraßen für alle Bürger_innen oftmals nicht mehr möglich ist und treffen insbesondere sozial schwächere Bevölkerungsgruppen. Die gängige Bereitstellungspraxis stellt somit in vielerlei Hinsicht eine soziale Ungerechtigkeit dar und ist im Ergebnis dem Allgemeinwohl der (städtischen) Gesellschaft abträglich. (…)

Fazit

In der vorliegenden Arbeit ist aufgezeigt worden, dass der öffentliche Straßenraum in den Städten eine zunehmend essentielle Bedeutung für die (urbane) Lebensqualität in unserer Gesellschaft hat. Es ist dargelegt worden, dass eine unentgeltliche exklusive Inanspruchnahme dieser knappen Ressource öffentlichen Stadtraumes unter ökonomischen Gesichtspunkten vollkommen irrational ist. Es ist außerdem gezeigt worden, dass gerade der ruhende Kfz-Verkehr eine besonders ineffiziente Inanspruchnahme öffentlicher städtischer Straßenräume darstellt, gleichzeitig viele andere Nutzungsbedürfnisse konterkariert und in der Konsequenz zu sozialer Ungerechtigkeit führt. Folgerichtig ist festzustellen, dass die in Deutschland vorherrschende Bereitstellungspraxis öffentlichen Parkraums sozialpolitisch inakzeptabel und letztendlich gemeinwohlschädigend ist.

Dem gegenüber ist gezeigt worden, dass der bestehende Rechtsrahmen und die verwaltungsseitige Aufgabenverteilung in Deutschland zu einem weitgehenden Automatismus der Bereitstellung öffentlichen (Straßen-)Raumes für das Parken von Kfz führen und ein enormes Beharrungspotential institutionalisieren. Im Ergebnis erfolgt fortwährend eine fehlerhafte weiter-wie-bisher-Regulierung, die faktisch eine Priorisierung und Privilegierung des ruhenden Kfz-Verkehrs vor anderen Nutzungen bewirkt. Konsequenz dessen ist die gemeinwohlschädigende Übernutzung unserer urbanen Lebensräume durch parkende Kfz mit all den dargelegten negativen Auswirkungen für die Lebensqualität in unseren Städten.

Es sei betont, dass die Frage einer angemessenen Bereitstellung von Parkraum nicht nur die Flächenkonkurrenz einzelner Nutzungsanforderungen im knappen öffentlichen Stadtraum betrifft, sondern auch eine wesentliche Stellschraube zur Beeinflussung von Verkehrsverhalten und -realität insgesamt bietet. Über ein ganzheitliches Parkraumkonzept kann (bei ausreichender Überwachung und Ahndung von Verstößen) die Menge, Verteilung und Zusammensetzung (Verkehrszweck) des Kfz- Verkehrs differenziert gesteuert werden. Die Sichtbarkeit verschiedener Verkehrsträger im öffentlichen Raum suggeriert außerdem deren Stellenwert sowohl im Verkehrs- als auch im Wertesystem der Gesellschaft und beeinflusst dadurch die modale Orientierung der Menschen. Eine Stadt der kurzen Wege, mit Fokus auf Naherreichbarkeit, Nahmobilität und Lebensqualität, muss als solche an der Gestalt und Nutzbarkeit des öffentlichen Raumes eindeutig erkennbar sein und entsprechendes (Verkehrs-)Verhalten provozieren. Kfz-Stellplätze sind von daher nicht nur als notwendiger Ausgangs- und Endpunkt einer jeden Fahrt im MIV, sondern auch als primärer Ansatzpunkt einer zielorientierten Gestaltung und Regulierung von Verkehrssystem und Stadtstruktur insgesamt anzusehen.

Vor diesem Hintergrund ist offensichtlich, dass heute mehr denn je eine eklatante Notwendigkeit nach einer zeitgemäßen Regulierung unserer öffentlichen städtischen Straßenräume besteht, deren uneingeschränktes Oberziel die lebensräumliche Qualität der städtischen Umwelt sein muss. Es ist dies der Bedarf nach einem epochalen Wandel der Regulierungspraxis, der die Fehler, die Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen der Vergangenheit grundlegend ausmerzt und endlich wieder die Schönheit des Stadtbildes, die Nutzbarkeit der städtischen Straßenräume und somit die Erlebbarkeit der Stadt als Ganzes rekultiviert.

Jos Nino Notz
DIE PRIVATISIERUNG ÖFFENTLICHEN RAUMS DURCH PARKENDE KFZ

Zum Weiterlesen…

Mobilität von morgen – Das Auto hat ausgedient (taz.de)

Man wird die Wirtschaft umorganisieren müssen (zeit.de)

Verkehrsplaner im Interview: Manche Autofahrer haben geschrien, aus Verzweiflung (spiegel.de)

Der Mensch in der Falle (spiegel.de)

Das Auto macht uns total verrückt (zeit.de)

„Virus Auto – Die Geschichtehttps://www.freie-radios.net/35038 einer Zerstörung“: Audio-Interview mit Hermann Knoflacher (freie-radios.net)

Die Tragik des Allmende (Wikipedia)

Sanfte Mobilität (Wikipedia)


Quelle: Umwelt und Straßenverkehr
Hohe Mobilität – Umweltverträglicher Verkehr
Sondergutachten