Leider hat sich bei Nicht-FahrradfahrerInnen hartnäckig das Klischee des chaotischen Radfahrers verfestigt, der dauer-telefonierend freihändig ohne Licht und Bremsanlage auf der falschen Seite des Gehwegs mit 2 Promille ohne Helm unterwegs ist. Klar, diese Art von Chaoten erlebe ich leider auch immer wieder. Fahre ich als täglicher Radpendler mit dem „StVo-Scanner-Blick“ im Berufsverkehr durch die Stadt, stelle ich allerdings stattdessen regelmäßig fest:

– Autofahrende verstoßen viel häufiger gegen die Regeln als Radfahrende (und als sie selbst jemals denken würden),

– Radfahrende gefährden mit ihren Verstößen im Vergleich zum Auto öfter sich selbst anstatt Andere (die natürlich auch),

– die begangenen Verstöße bergen bei Autofahrenden deutlich mehr Gefährdungspotenzial als bei Radfahrenden,

– AutofahrerInnen beherrschen das korrekte Abstellen ihres Fahrzeuges eklatant schlechter als Radfahrende, obwohl sie ein Vielfaches an extra für sie im öffentlichen Raum bereitgestellten Flächen zur Verfügung haben. (Und die Fähigkeit zum korrekten (Ein-)Parken sogar in einer Fahrschule erlernt haben.)

Das sind aber alles „nur“ über die Jahre gesammelte, subjektive Wahrnehmungen eines täglichen Radpendlers – ohne jegliche statistische Relevanz. Dafür gibt es ja die offiziellen Unfallstatistiken. Und was sagen die?

Quelle: pixabay.de


Zitat: „Laut Statistischem Bundesamt waren von 2013 bis 2016 Pkw bei Zusammenstößen mit Fahrradfahrern zu 75 Prozent die Hauptverursacher. Bei Unfällen zwischen Lkw und Fahrrad waren die Lastkraftwagen sogar zu 80 Prozent die Hauptverursacher. Radfahrer sind insgesamt bei nur einem Drittel aller Unfälle mit weiteren Beteiligten die Hauptverursacher. Um die Unfälle zwischen Radfahrern bereinigt, sind Radler nur zu einem Viertel die Hauptverursacher von Unfällen mit anderen Verkehrsteilnehmern.“ Zitatende.

Quelle: https://www.adfc-bayern.de/news/article/schuld-hat-selten-der-radfahrer/

Die offizielle Statistik:
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle/unfaelle-zweirad-5462408187004.pdf?__blob=publicationFile

75% Autofahrer-Hauptschuld bei Zusammenstößen Fahrrad/Auto. (80% bei Fahrrad/Lkw). Ziemlich eindeutige Zahlen, die dem Klischee vom chaotischen Radler im Vergleich zum allzeit korrekten Verbrenner-Fahrer irgendwie widersprechen. Die meine tägliche Wahrnehmung aber voll und ganz bestätigen. Ich hatte das ja schon mal erwähnt: Allein aus Selbsterhaltungstrieb fahren wir Radler tendenziell eher regelkonformer, vorausschauender und rücksichtsvoller. So lebt´s sich einfach länger.

Zur Wahrheit gehört genauso, dass bei Zusammenstößen Fahrrad/Fußgänger die Radler zu knapp 60% hauptschuldig waren und bei den Kollisionen Fahrrad/Motorrad mit 53% knapp über der Hälfte lagen. Ist aber wahrscheinlich alles – genau wie Klimawandel, Luftverschmutzung etc. – nur Fake-News und linksradikale Verschwörungstheorie.

Quelle: pixabay.de

Dass die Radfahrenden unter diesen Zahlen besonders zu leiden haben, zeigen übrigens dann noch die (steigenden) Zahlen der verletzten und verwundeten Mitglieder dieser trotz alledem stetig wachsenden Spezies. Selbst mit der über Jahrzehnte schlechtesten Verkehrsplanung bekommt man sie einfach nicht ausgerottet…

Zitat: „Im Jahr 2018 verunglückten insgesamt 88.850 Radfahrer auf deutschen Straßen – das sind 11 Prozent mehr als noch 2017. Davon sind 10.225 Kinder, was einem Plus von fast 4 Prozent entspricht. 445 Radfahrer kamen 2018 im Straßenverkehr ums Leben, das ist eine Steigerung um 17 Prozent zum Vorjahr. Unter ihnen 21 Kinder – sechs von diesen tödlich verunglückten Kindern starben durch rechtsabbiegende Lkw.
Quelle: https://www.radfahren.de/story/unfallzahlen-2018-fahrradunfaelle-nehmen-zu/

Angesichts solcher Zahlen kommt sogar vom größten „gemeinnützigen“ Auto-Lobby-„Verein“ ein wenig „FahrradfahrerInnen-Verständnis“ rüber. Angemessener wäre natürlich, seinen VereinskameradInnen mal ordentlich die Leviten zu lesen oder wenigstens mal deutlich auszusprechen, wer den Mist auf unseren Straßen eigentlich verbockt. Stattdessen wohlfeile Worte an uns alle gerichtet und Präventionsarbeit des ADAC in Kindergärten. Na, das will ich mal (lieber nicht?) miterleben. Mir schwant da irgendwie Übles.

Der ADAC-Vize hat was zu sagen!
Ulrich Klaus Becker (ADAC Vizepräsident für Verkehr)

Zitat: „Alle Verkehrsteilnehmer sind gefordert, ihren persönlichen Beitrag für ein rücksichtsvolles, faires und partnerschaftliches Miteinander zu leisten. Was insbesondere in deutschen Großstädten teilweise auf der Straße abgeht, ist davon meilenweit entfernt. Für Fairness im Straßenverkehr spielt es auch keine Rolle, ob wir motorisiert, mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind. Der ADAC trägt seinen Teil bei, in dem wir schon ganz früh mit Verkehrserziehung in Kindergärten und Grundschulen die Basis für ein faires Miteinander im Verkehr legen.“ Zitatende.

Quelle: https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/zweirad/fahrrad-ebike-pedelec/vorschriften-verhalten/autofahrer-fahrradfahrter-tipps-miteinander/

Freundlicherweise hat der Autoclub auch direkt noch ein paar gute Ratschläge für RadfahrerInnen (und AutofahrerInnen) parat. Zuerst erklärt die Autolobby natürlich uns Radlern, wie wir uns zu verhalten haben: Dass wir an roten Ampeln halten müssen. Dass wir immer schön helle Kleidung tragen sollen und auch mal unser Licht anschalten müssen, wenn es draußen dunkel ist. Dass wir Handzeichen geben sollen und den Blickkontakt zum Auto suchen sollen. Dass wir nicht auf unser gutes Recht im Straßenverkehr bestehen sollen. (Weil wir ja im Zweifel die Schwächeren sind.) Und dass wir doch bitte das Fehlverhalten der Pkw-FahrerInnen stets mit einkalkulieren sollen („toter Winkel“ im Pkw)! Herzlichen Dank! Mit diesem echt neuen Praxis-Wissen bin ich ab sofort viel sicherer in der Stadt unterwegs.

Für die Autofahrenden haben die Lobbyisten ein bißchen StVo-Grundwissen als sensationelle Tipps am Start: Mit vorgeschriebenem Abstand überholen (sogar Kinder!), nicht wundern oder panisch reagieren, falls sich mal ein Radler auf die Fahrbahn verirrt. Und bitte auch mal daran denken, die Fahrertür mit der rechten Hand zu öffnen, um den ominösen „toten Winkel im Pkw“ genial auszutricksen. Dazu gibt es dann sogar noch einen Link zu einem youtube-Video, das den „Dutch Reach“ ausführlich (auf Englisch) erklärt. Danke für die Hilfe. Als ich meinen Führerschein gemacht habe, nannte man das noch „Schulterblick“, und den konnte man damals auch nach links machen.

Freundlicher ADAC-Fahrer, der mir per Handzeichen zeigt, dass ich vor ihm abbiegen kann. Sowas gibt´s natürlich auch. Leider viel zu selten.

Für „Die Welt“ hat der ADAC wohl schon eine „erstaunliche Fahrradwende“ vollzogen. Soweit würde ich noch nicht gehen wollen.

https://www.welt.de/wirtschaft/article165384937/Die-erstaunliche-Fahrradwende-des-ADAC.html

ADAC Blog: Neue Radwege: Werden Autofahrer ausgebremst?

https://blog.adac/neue-radwege-werden-autofahrer-ausgebremst/

Aber interessant ist der Blogeintrag allemal, insbesondere da er von der Auto-Lobby kommt. Das Ergebnis der vom ADAC zitierten Studie zeigt…

Zitat: „Separate Fahrstreifen für Radfahrer bringen auch für Autofahrer Vorteile. Sie kommen schneller vorwärts. Und: Je höher der Anteil der Radfahrer ist, desto deutlicher ist der Zeitgewinn für Autofahrer. Bei einem Radleranteil von zehn Prozent am Verkehr kommen Autofahrer um etwa ein Drittel schneller vorwärts, wenn es eine separate Radspur gibt.“ Zitatende.

Und all die nicht mehr benötigten Parkplätze, die auf einmal für viel Besseres (oder im schlimmsten Fall von den noch verbliebenen (wieviel Prozent?)) Autos genutzt werden könnten… Win-Win für alle Beteiligten? Nur zehn Prozent Radler in der Stadt, schon dann haben alle was davon?

Wahrscheinlich kennt Herr Raßmanns, unser Mobilitätsmanager, die besagte Studie auch, denn er hat ein ähnliches „großes“ Ziel genau vor zwei Jahren definiert: In zehn Jahren zehn Prozent weniger Autos auf Dürens Straßen. „Das ist sehr ambitioniert, aber wenn man sich seine Ziele nicht hoch steckt, geht man auch nicht mit dem nötigen Willen daran.“

Siehe Dürener Zeitung:
https://www.aachener-zeitung.de/lokales/dueren/10-prozent-weniger-autos-bis-2027-in-dueren-ziel-von-benjamin-rassmanns_aid-24967865

Dass zehn Prozent weniger Autos nicht gleich zehn Prozent mehr Fahrräder bedeutet, ist klar. Wie dem auch sei. Ein Prozent weniger Autos pro Jahr ist also ein „sehr ambitioniertes“, „hoch gestecktes“ Ziel?

Ein Prozent Autos weniger pro Jahr. Wären auf diesem Bild im kommenden Jahr nur noch…?

OK. Das kann man wahrscheinlich tatsächlich ohne großen politischen Willen, ohne ein Fahrradverkehrskonzept, ohne ausreichend Mittel und Personal, nur mit ein paar Mehrzweckstreifen, Schildern und rot getünchten Teilstückchen Radweg erreichen. Ich überspitze. Denn ich weiß, in Politik und Verwaltung muss man ja realistisch planen, wenn auch ambitioniert. Aber bitte niemals wirklich mutig, innovativ oder in Richtung Raumneuverteilung.

Ich befürchte, das eine Prozent weniger Autos pro Jahr wird auf unserem täglichen Weg zur Schule und zur Arbeit nicht wirklich spürbar ankommen. Dem widersprechen übrigens die meines schlechten Wissens nach steigenden Kfz-Zulassungszahlen. Herr Raßmanns führt einen Kampf gegen Windmühlen.

https://www.aufbruch-fahrrad.de

Die Initiative „Aufbruch Fahrrad“, die durch das Sammeln von mehr als 200.000 Unterschriften die Landes-Politik genötigt hat, endlich ein Radverkehrsgesetz für NRW auf den Weg zu bringen, fordert eine Steigerung des landesweiten Radverkehrs von derzeit ca. 8 Prozent auf 25 Prozent bis 2025! Das (und die weiteren Ziele) nenne ich ambitioniert.

Was machen wir, wenn das mal Gesetz wird? Dagegen klagen?

So sehr mich der Erfolg der Initiative freut, so ärgerlich finde ich ihn auch, denn er zeigt mal wieder, dass sich nur etwas grundsätzlich bewegt, wenn Zivilgesellschaft so viel Druck ausübt, dass Politik und Verwaltung einfach nicht mehr anders können, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Ich bin mal sehr gespannt, wie weit die neun von „Aufbruch Fahrrad“ geforderten Maßnahmen (https://www.aufbruch-fahrrad.de/#neun) in das geplante Gesetz einfließen. Und wie (schnell) das alles dann auch umgesetzt wird.

Vier oder fünf Jahre nach „Klimaschutz-Teilkonzept“ + „Masterplan“ sowie hehren Bekundungen zur Förderung von Rad&Fuß streitet man sich in Düren weiterhin konzeptlos darum, ob 400 Meter für den „Test“ einer Protected Bike Lane nicht zu viel des Guten wären. Oder ob es der Einzelhandel überleben wird, wenn statt 3 Autos 12 Fahrräder direkt vor der Tür parken. Das ist doch absurd! Ehrlich gemeinte Verkehrswende sieht irgendwie anders aus.

Eingekesselt. Wer steigt bei diesem Standard auf´s Rad um?

Die FahrradfahrerInnen-Sicht

Aber wieder zurück zum eigentlichen Thema, der Verkehrsmentalität.

Das ist jetzt natürlich wieder eine sehr subjektive Einschätzung, aber ich merke da einen deutlichen Unterschied, wenn ich mich morgens entweder auf´s Rad oder in´s Auto setze. Beim ersteren habe ich zunächst eine ganz andere, unmittelbarere Wahrnehmung des (Straßen-) Raums um mich herum. Ich höre, sehe, spüre und rieche die ganze Umgebung. Dadurch nehme ich auch die anderen Verkehrsteilnehmenden viel „direkter“ und „ungefilteter“ wahr als im geschlossenen Auto mit laufendem Radio und notdürftig freigekratzten Scheiben.

Dies führt einerseits dazu, dass ich auf dem Rad potenziell gefährliche Situationen um mich herum sehr viel früher und anders (auch wegen geringerer Geschwindigkeit) wahrnehmen und einschätzen sowie auf sie reagieren kann. Ferner ist mir auf dem Rad stets bewusst, dass es für mich unabdingbar ist, diese Wahrnehmung zu haben, da ich keinen Blechkasten als Schutz (und „Waffe“) um mich herum habe, der mir das Gefühl vermittelt, „mir passiert so schnell nichts Schlimmes“. Allein aus diesem Grund fahre ich auf dem Rad tendenziell vorausschauender und damit (auch Anderen gegenüber) achtsamer und „sicherer“.

Eigentlich nur so, wie es die StVo §1 in ihren simplen, für Alle geltenden Grundregeln vorsieht:

§ 1 Grundregeln
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Mache ich mir als Autofahrer mal den Spaß, so zu fahren, wie als Radler, also konsequent die Regeln einzuhalten, merke ich sehr schnell, dass dies gar nicht so leicht ist und auch nicht der erwünschte Standard auf unseren Straßen ist. Denn solches Verhalten kommt leider bei vielen motorisierten Zeitgenossen gar nicht gut an. Wenn ich als Radler unterwegs bin schon mal gar nicht.

Beispielsweise, wenn ich mich (als Radler) auf einer vierspurigen Innenstadtstraße wie entlang Amtsgericht/Museen in Richtung Pleußmühle frühzeitig auf die linke Spur einfädele, um sicher auf die (extra für Autofahrer eingerichtete) Linksabbiegerspur zu kommen. Dieses unverschämte Verhalten goutieren Motorisierte ständig mit absolutem Unverständnis, Drängeln, Schneiden, Hupen, seltsamen Verbalisieren… Dabei will ich denen doch nur frühzeitig zeigen, dass ich da mal rüber will und ihnen genügend Zeit geben, diese „dramatische“ und unkonventionelle Situation richtig einzuschätzen, um im schlimmsten Fall mal ein wenig vom Gas zu gehen, damit sie mir nicht hinten rein fahren.

Ich versuche mich ja nur an die guten Tipps ihres eigenen Clubs zu halten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aus AutofahrerInnen-Sicht jedoch Grund genug für Adrenalinschübe und idiotisch gefährliche Reaktionen. Über „Empathiefähigkeit“ hatte ich an anderer Stelle ja schon ein paar Sätze geschrieben.

Die AutofahrerInnen-Sicht

Steige ich morgens in´s Auto, sieht die Welt ganz anders aus. Ich nehme zwar deutlich weniger von ihr wahr, dafür ist sie aber wie für mich gemacht. Überall fette Straßen, die als solche (und nur als solche) direkt für mich erkennbar sind. Überall extra Abbiegespuren und Ampelschaltungen nur für mich, sichere, komfortable Parkplätze an jeder Straße und quer über die ganze City verteilt, keine Gefahr vor Abschleppern, wenn ich mal eine halbe Stunde kurz im absoluten Halteverbot parken muss, Einzelhändler die aufschreien, wenn mal ein paar Autoparkplätze wegfallen sollen oder mal ein autofreier Tag in der City initiiert werden soll. Sogar die Standorte der mobilen Knipser werden mir von der Stadt frei Haus geliefert. (Damit ich weiß, wo ich mich ausnahmsweise an die vorgeschriebene Geschwindigkeit halten sollte.) Genial!

Was will man noch mehr? Na gut, vielleicht noch mittel- und langfristige Planungssicherheit. Aber auch die scheint ja gegeben. Nach einem Autoverkehrskonzept wird seit Jahrzehnten konsequent geplant und gebaut. Ein Rad- und Fußverkehrskonzept existiert Ende 2019 noch nicht einmal. All das und noch viel mehr hat sich als „Gott gegeben“ in unserer AutofahrerInnen-Mentalität und in unserem Verkehrs-Verhalten verfestigt. Konditionierung nennt man das wohl.

Idiotie

Ich kann es also (auch als Autofahrer) sehr gut nachvollziehen, dieses „Platzhirsch-Feeling“, wenn man im Auto sitzt. Trotzdem verstehe ich viele Aktionen meiner Auto-KollegInnen nicht. Besonders das widersinnige Beschleunigen und Überholen in der Stadt (die nahende rote Ampel schon in Sichtweite) ist doch eines seine Triebe einigermaßen beherrschenden Individuums unangemessen. Und auch so unlogisch und ineffizient. Das muss man doch auch als auto-konditionierter Mensch erkennen können.

Spätestens bei der nächsten Ampel sehen wir uns dann wieder und Du darfst mich nochmal mit 50cm Abstand überholen, sage ich mir da – wieder auf dem Rad sitzend. Irgendwie haben auch die, die jeden Tag zur Arbeit auf der gleichen Strecke unterwegs sind, noch nicht ganz begriffen, dass unnötiges, enges und zu schnelles Überholen in der Innenstadt nur erbärmlichste Zeitgewinne mit sich bringt, aber nebenbei immer wieder Andere nervt, belästigt, nötigt und gefährdet.

Absolut unnötige, unsinnige, Andere gefährdende Manöver sind an der Tagesordnung. Zeitersparnis = 0 Sekunden!


Ich steige nochmal als konsequent regelgetreuer Fahrer in mein Auto und fahre durch die Stadt.

Beispiel Veldener Straße:
Halte ich konsequent Tempo 50 ein, werde ich ständig überholt und teilweise gedrängelt, doch endlich mal schneller zu fahren. Schließlich kommt die Knipse ja erst auf Höhe des Nordparks. Und die knipst auch nur in eine Richtung, also kann man sie auf der anderen Seite eh ignorieren.

Beispiel Aachener Straße:
Fahre ich Richtung Rölsdorf und es befindet sich ein Rad auf dem Schutzstreifen/Mehrzweckstreifen und ich halte beim Überholen mit dem Kfz den notwendigen (und vorgeschriebenen) Mindestabstand ein, kann mich links niemand mehr überholen, der sich ebenfalls an die Abstandsregelung hält. Probiert es mal selber aus, wenn Ihr nicht eh da lang fahrt.
Fahren links schon Autos und ich kann den vor mir auf dem Radstreifen fahrenden Radler nicht mit vernünftigem Abstand überholen, bleibe also hinter ihm, kann ich was erleben! Wildes Gestikulieren, Hupen, Drängeln, Lichthupen…

„Besondere Schwerpunkte gelten aufgrund der Stadtstruktur („Stadt der kurzen Wege“) jedoch der Stärkung des Fuß- und Fahrradverkehrs.“

Radfahrende sind minderwertig!

Dass Radfahrende nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer gesehen werden, merken Alltags-Radler jeden einzelnen Tag, jeden einzelnen Innenstadt-Kilometer.

Es fängt mit Kleinigkeiten wie mal schnell auf dem Schutzstreifen halten an. Was würde passieren, wenn ich mein Rad auch nur mal schnell rechts an der Fahrbahn geparkt stehen ließe, um „mal schnell“ Brötchen zu holen? Ist es schon paranoid zu glauben, dass da aber mal ganz schnell jemand von Polizei/Ordnungsamt eingreifen würde oder erboste AutofahrerInnen und verständnislose PassantInnen sich des aufrührerischen Problems annähmen?

Aus meiner Sicht ist das Problem nach wie vor ein grundsätzliches. Wir werden niemals signifikant mehr Menschen dazu bewegen, das Rad anstelle des Autos zu benutzen, solange wir unseren Verkehrsraum nicht mit einem vernünftigen Konzept neu und zukunftsgerichtet verteilen.
Alle, die sich ein wenig mit dem Thema beschäftigen, sagen, RadfahrerInnen brauchen ein durchgängiges Netz mit sicheren (am besten vom MIV separierten) Radwegen. Denn sie wollen genau wie AutofahrerInnen auf dem schnellstmöglichen und sichersten, komfortabelsten Weg von A nach B.

So lange Radverkehrsanlagen aber nur als punktueller Aktionismus uneinheitlich und konzeptlos in den Raum gesetzt werden, wird niemand sein Auto zugunsten des Fahrrads zuhause stehen lassen!

Andere Sicht der Dinge

Riesiges Plakat am Kreishaus. So wird Werbung für Toleranz und mehr Radverkehr gemacht!

Der Kreis Düren ist Mitglied in der AGFS, die sich mit einem strengen Kriterien-Katalog für ein besseres Miteinander von Fuß-, Rad- und Autoverkehr in unseren Städten und Kommunen einsetzt. Viele dieser großformatigen Image-Kampagnen-Plakate habe ich noch nicht wahrgenommen. Dieses hängt allerdings sehr prominent an der Bismarckstraße vor dem Kreishaus und ist kaum zu übersehen.

Ich finde es grundsätzlich gut, das Image und die Wahrnehmung von Fuß und Rad stärker in den Blick zu nehmen und zu fördern, aber mit genau diesem Plakat? Das Plakat spielt auf das (statistisch nicht nachzuweisende) Klischee des chaotischen Radlers an, der ja sowieso erstmal und grundsätzlich ohne Beleuchtung unterwegs ist. Dazu sei kurz angemerkt, dass bei heutigen Rädern (bei Pedelecs sowieso) ein Nabendynamo zur Standardausrüstung gehört. Mit diesem hat man widerstandsfrei ständig Licht. Standlicht gehört inzwischen eigentlich auch zum Standard.

In einer Zeit, in der Düren (Stadt) darüber nachdenkt, endlich ein Fahrrad-Konzept (in dem hoffentlich auch Fußgehende angemessen berücksichtigt werden bzw. die gesamte „Nahmobilität“ als zusammenhängendes Konstrukt) entwickeln zu lassen, veröffentlicht der Kreis ein Plakat, das allen (AutofahrerInnen) mal wieder bestätigt oder besser „suggeriert“: FahrradfahrerInnen halten sich nicht an die Regeln! Was für ein Signal, wenn „Verkehrswende“ wirklich ernst gemeint ist!

Aus meiner Sicht benötigen wir eine Image-Kampagne pro Rad/Fuß/ÖPNV, die all die vielen Vorteile von vernünftiger Nahmobilität betont (dazu vielleicht später einmal mehr), um wenigstens einen kleinen Bewusstseinsprozess bei den Motorisierten anzustoßen. Ob man dies mit solch einem Plakat bewerkstelligen kann, wage ich zu bezweifeln.

Wäre das Plakat Teil einer breit angelegten Image-Kampagne, fände ich es richtig gut, denn Radfahrende, die sich nicht an die Regeln halten, gehen mir total auf die Nerven. Aber so, als großformatige Singularität empfinde ich das Plakat als absolut kontraproduktiv und deplatziert.

Die Konditionierung geht weiter. Der chaotische Radfahrer, der dauer-telefonierend freihändig ohne Licht und Bremsanlage auf der falschen Seite des Gehwegs mit 2 Promille ohne Helm unterwegs ist, ist das eigentliche Problem!