Wenn der Schwanz mit dem Hund…

Mein/unser Bürgerantrag zur Verlängerung der Protected Bike Lane aka des geschützten Radstreifens von der Kino-Kreuzung stadteinwärts erregt zwar noch keine Autofahrer-Gemüter. Aber er scheint hinter den Kulissen zu ein wenig Diskussionsbedarf zu führen.

Das könnte daran liegen, dass unser Antrag nach der Vorstellung im Bürgerausschuss mit leicht wohlwollender politischer Unterstützung an den Fachausschuss verwiesen wurde. Da dieser aber (voraussichtlich) gar nicht mehr tagt, bevor die Veldener Straße und damit die Protected Bike Lane Richtung Birkesdorf (voraussichtlich) freigegeben wird, wird es eng, falls unser Antrag umgesetzt werden soll.

Dass er überhaupt umgesetzt wird, ist mehr als fraglich, denn die Verwaltung hat bereits entschieden, welche Maßnahmen zur Förderung des Radverkehr in den kommenden Jahren umgesetzt werden.

Und welche nicht!



Stellungnahme (der Verwaltung)

Das vom Rat der Stadt beschlossene Rad-Vorrangrouten-Konzept hat untersucht, wo im Stadtgebiet Quellen und Ziele des Radverkehrs liegen, und auf welchen Routen sich die Fahrstrecken der Radfahrer bestmöglich bündeln lassen. Auf dieser Grundlage wurden die vorgesehenen Rad- Vorrangrouten ausgewählt. Die Route nach Birkesdorf führt dabei am Bahnhof vorbei über die Neue Jülicher Straße zur Veldener Straße.

Der im Antrag genannte Abschnitt der August-Klotz-Straße ist nicht Teil der vorgesehenen Rad- Vorrang-Routen.

Die Anstrengungen zur Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur fokussieren sich für die nächsten Jahre auf die Umsetzung des Rad-Vorrangrouten-Konzeptes, um eine flächendeckende, durchgehende Infrastruktur zu installieren.

Weitergehende Maßnahmen im Basis-Radverkehrsnetz, d.h. in den übrigen Straßen, werden daher erst nach Abarbeitung des Konzeptes wieder geprüft.

Bürgerantrag- Fortführung der Protected Bike Lane
Stellungnahme der Verwaltung, 26.10.2023

„Gleichberechtigte“ Verkehrsverhältnisse für kommende Generationen

Moment mal. Verstehe ich das richtig?

Außer an den geplanten Rad-Vorrangrouten (RVR) wird in Düren so lange an keiner anderen Maßnahme in Sachen Radverkehr gearbeitet, bis alle RVR umgesetzt wurden? Und wann wäre das? Informierte Kreise sprechen von ca. 10-12 Jahren!

Noch nicht mal eine Prüfung irgendeiner über die RVR hinausgehenden oder von ihnen abweichenden Maßnahme oder Idee erlaubt die Verwaltung also über einen Zeitraum von ungefähr einem Jahrzehnt? Keine definierte Rad-Vorrangroute = keinerlei Maßnahme?

Und das entscheidet das Fachamt – nebenbei in einer Stellungnahme zu einem Bürgerantrag? Oooookay…

Kann es sein, dass hier der Schwanz mit dem Hund wedelt? Seit wann entscheidet die Verwaltung welche Maßnahmen politisch beraten, geprüft und umgesetzt werden? Haben wir dafür nicht Politiker*x und Parteien gewählt? (Und wie sieht´s mit Bürgerbeteiligung aus?)

In unserem lokalen Fall ging das politische Mandat an Rot-Grün+X aka die „Koalition Zukunft“. Und die hat einen Koalitionsvertrag geschmiedet, in dem sie ihre politischen Ziele ziemlich klar definiert. Ich zitiere das gesamte Kapitel zum Thema Mobilität:

Mobilität

Wir wollen den Stadtraum zukunftsgerecht neu verteilen. Fußgängerinnen und Radfahrerinnen brauchen mehr Raum.

Daher ist für uns der Ausbau des Radwegenetzes wichtig.
Aber auch die Sicherheit der Fußgänger*innen sind für uns oben auf der Agenda.

Ein zurzeit erarbeitetes Gutachten zur fahrradfreundlichen Stadt soll für uns Maßstab neuer Maßnahmen sein.

Das Klimaschutzteilkonzept wird konsequent von uns umgesetzt.

Wir streben in den nächsten drei Jahren an, Fahrradfreundliche Stadt Düren zu werden.

Alle vierspurigen und überbreiten Straßen sollen auf zwei Fahrspuren für den motorisierten Verkehr für sichere Fahrradwege zurückgebaut werden.
Die Achse August-Klotz Straße bis Birkesdorf, die Stürtzstraße und die alte B56 werden zuerst in Angriff genommen.

Wir werden vermehrt Fahrradstraßen in der Innenstadt schaffen.

Wir wollen in der Innenstadt grundsätzlich Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit wo möglich.

Wir wollen weiter an einem attraktiven Ticket für den ÖPNV arbeiten und wollen den Linienverkehr zwischen den Stadtteilen verbessern.

Wir engagieren uns gemeinsam mit dem Kreis für einen Bahnanschluss Derichsweiler.

Der Bau der B399n soll grundlegend überprüft werden. Die alte Planung entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Alternativen Lösungen zur Erschließung eines zukünftigen Gewerbegebietes ehemalige Zuckerfabrik und alternativen Streckenführungen stehen wir offen gegenüber. Die Entlastung der Stadtteile Birkesdorf und Mariaweiler wollen wir zügig vorantreiben.

Koalitionsvertrag „Zukunft Düren 2020-2025

Düren nimmt es mit Galgen-Humor:
Regelwidrige Fahrrad-Infrastruktur direkt vor dem Amtsgericht. 😉

Bevor wir mal schauen, was die Verwaltungs-Verfügung „Keinerlei Maßnahmen bis alle Rad-Vorrangrouten fertig sind“ für den Koalitionsvertrag bedeutet, gehen wir mal schnell die einzelnen Punkte hinsichtlich ihrer bisherigen Umsetzung durch. Vielleicht hilft das dabei, am Ende einschätzen zu können wieviel Unterstützung der Bürgerantrag seitens der Koalition zu erwarten hat:

  • Zukunftsgerechte Neuverteilung des Stadtraums zugunsten von Rad- und Fußverkehr:
    Sehe ich nur marginal, punktuell und sehr inkonsequent umgesetzt. Gibt es irgendwelche Daten, Zahlen, Fakten? Wurde irgendwas evaluiert?
  • Ausbau des Radwegenetzes & Sicherheit für Fußverkehr:
    Äh, ja. Da kommt bestimmt noch was außer sogenannten „Schutz“steifen und der Idee, hier und da endlich mal ein paar illegale Fußweg-Parkplätze zu entfernen – weil man gesetzlich eh nicht darum herum kommt…
  • Das „Gutachten zu fahrradfreundlichen Stadt“ soll der Maßstab neuer Maßnahmen sein? Was soll das sein, wo finde ich das?
    Das Rad-Vorrangrouten-Konzept kann nicht gemeint sein, denn hier wurden direkt bei der ersten Planung die Qualitätskriterien eben dieses Konzeptes über Bord geworfen. Damit ein paar Pkw-Parkplätze auf der Valencienner Straße erhalten bleiben können!
  • Das Klimaschutzteilkonzept wird „konsequent umgesetzt“:
    LOL! Warum haben wir dann noch keine einzige Fahrradstraße, wieso werden die prominent im Konzept hervorgehobenen Radschnellwege noch nicht mal politisch thematisiert, seitdem das Konzept unter Rot-Grün+X so konsequent umgesetzt wird? Wie sieht es mit der Beseitigung des heftig kritisierten illegalen Pkw-Parkens aus? Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen.
  • Fahrradfreundliche Stadt in den nächsten drei Jahren – also bis 2023? Oder spätestens 2024?
    Wie (und warum!) sollte das funktionieren? Wir wollen ja noch nicht mal wissen, wie der Modal Shift bei uns aussieht. Der Aufnahmeantrag wird also wohl schon an der ersten Frage im Bewerbungsbogen scheitern. Viel Glück!
  • Vermehrt Fahrradstraßen in der City schaffen:
    Siehe oben. Bisher gibt es keine einzige Fahrradstraße in Düren. In Zahlen: o! Der Bürgermeister erzählt währenddessen, in Nord-Düren käme demnächst die RVR – äh Fahrradstraße Neue Jülicher. Obwohl er es eigentlich besser wissen müsste, denn sein Fachamt arbeitet ja strikt (und ausschließlich!) das RVR-Konzept ab. Und da steht Nord-Düren nicht ganz oben auf der Liste. Erstmal werden nämlich die RVR umgesetzt, die den Autoabhängigen am wenigstens weh tun – nicht die, die dem Radverkehr am meisten bringen. Da wird Nord-Düren (und damit wohl auch Birkesdorf) noch (Jahre?) warten müssen…
  • Tempo 30 in der Innenstadt:
    Gibt es bei uns nur als kleinteilige Flickschusterei. Ist aber alles nur die Bundespolitik schuld. Böser Bundesrat! Wir würden ja so gerne, dürfen aber nicht. Blablabla!
  • Attraktives ÖPNV-Ticket:
    Die Preise für das CityTicket wurden gerade erhöht. Böser AVV! Die Pkw-Parkplatz-Gebühren konnten trotz Mehrwertsteuer-Gedöns stabil gehalten werden! Alles, was eine Batterie im Auto hat, darf frei parken – eine klimaschutzpolitische Zwangsmaßnahme, um auch Diesel-Pkw das Innenstadt-Cruisen weiter zu erlauben. Das Auto-Förderprojekt EMind wurde (selbstverständlich) in Höchstgeschwindigkeit umgesetzt…
  • Bahnanschluss Derichsweiler und drittes Gleis:
    Upps, die neu gebaute Brücke passt nicht zu den Plänen für ein drittes Gleis zwischen Aachen und Düren? Na, dann lassen wir es halt oder reißen die neue Brücke wieder ab um eine noch neuere Brücke zu bauen… Diesmal besprechen wir unsere Planungen vielleicht auch miteinander…
  • B 399n, schnelle Entlastung Birkesdorf und Mariaweiler vom Pkw-Verkehr:
    Stillstand seit wievielen Jahren? Erst durch den Kanalschaden werden Politik &Verwaltung gerade dazu gezwungen, das umzusetzen, was eigentlich schon hätte begonnen werden können – beispielsweise der radikale Umbau, den das Integrierte Stadtteilentwicklungskonzept für die schöne neue Verkehrswelt im größten Dürener Stadtteil vorsieht…


Strich durch die Rechnung den Koalitionsvertrag!

Und dann ist da halt noch dieser Punkt, der uns wieder zurück zum Bürgerantrag zur Verlängerung der Protected Bike Lane bringt:


Alle vierspurigen und überbreiten Straßen sollen auf zwei Fahrspuren für den motorisierten Verkehr für sichere Fahrradwege zurückgebaut werden.

Die Achse August-Klotz Straße bis Birkesdorf, die Stürtzstraße und die alte B56 werden zuerst in Angriff genommen.


Oha, da geht es ja genau um den Streckenabschnitt aus dem Bürgerantrag. Das ist ja fast haargenau das, was im Bürgerantrag gefordert wird. So ein Zufall! Man könnte fast meinen, der Bürgerantrag wäre gestellt worden, um der Koalition den Spiegel vors Gesicht zu halten. oder anders herum: Der Bürgerantrag wäre gar nicht nötig gewesen, wenn die Zukunfts-Koalition ihren Koalitionsvertrag (und das Klimaschutzteilkonzept etc.) umgesetzt hätte. Aber es sind ja noch gut anderthalb fette Jahre bis zur nächsten Kommunalwahl…

Äußerst bedauerlich, dass der Zukunfts-Koalition in Sachen Mobilität jetzt -kurz vor der Zielgeraden – von der eigenen Verwaltung verboten wird, ihren Koalitionsvertrag umzusetzen.

Denn nimmt man die Stellungnahme der Verwaltung ernst und macht mal den Umkehrschluss, dann steht im grauen Kasten da oben nicht weniger als:

All die Maßnahmen, derer es bspw. bräuchte, um wirklich irgendwann mal „fahrradfreundliche Stadt“ zu werden, können erst in ferner Zukunft geplant und umgesetzt werden. Es sei denn, sie sind zufällig Teil des grandiosen Rad-Vorrangrouten-Dingens, um das sich im nächsten Jahrzehnt + X alles drehen wird.

„Weitergehende Maßnahmen im Basis-Radverkehrsnetz, d.h. in den übrigen Straßen, werden daher erst nach Abarbeitung des Konzeptes wieder geprüft.“



Sehr schade. Hatte die ADFC-Ortsgruppe aka Bürgerinitiative ProRad Düren doch bereits bei der Erstellung der angeblich eierlegenden Wollmilch-Sau Rad-Vorrangrouten-Konzept bemängelt, dass es sich hierbei um ein reines Zubringer-Konzept handelt, das zentrale Fragen insbesondere im Innenstadtbereich gar nicht thematisiert.

Deshalb hatten die ja mit viel Aufwand und unter Mithilfe des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums das Innenstadtring-Konzept entwickelt, welches konsequent von Politik, Verwaltung und (angeblicher) Innenstadtinteressenvertretung ignoriert wurde. Gut, dass jetzt mal klargestellt wird, dass die Ignoranz von allem, was nicht städtisches Rad-Vorrangrouten-Konzept ist, fortgeführt wird. Mindestens noch 10-12 Jahre. Dann dürfen auch Interessenverbände, engagierte Bürger und vielleicht auch „die Politik“ wieder Wünsche in Bittsteller-Haltung an die Verwaltung richten. Falls ich das richtig verstehe…



Für die „zukunftsgerechte Neuverteilung“ des Stadtraums und die konsequente Umsetzung des Klimaschutzteilkonzepts sieht es dann wohl genauso düster aus wie für das Label „Fahrradfreundliche Stadt“. Denn unzählige Maßnahmen, die im Klimaschutzteilkonzept noch auf ihre Umsetzung warten, sind leider nicht Teil des „flächendeckenden, durchgehende Infrastruktur“ schaffenden RVR-Konzepts. All diese noch ausstehenden Maßnahmen des ach so „konsequent umzusetzenden“ zentralen Verkehrskonzepts werden also in den nächsten 10-12 Jahren nicht von der Verwaltung bearbeitet. Obwohl die Verwaltung 2016 bspw. das hehre Ziel vorgegeben hat, den Pkw-Verkehr in Düren jedes Jahr um ein Prozent senken zu wollen. „Das ist wirklich interessant“, würde Markus Lanz wahrscheinlich sagen. Nur leider hör man davon gar nichts mehr. Vielleicht in 10-12 Jahren mal wieder?



Zwischenzeitlich durfte ich als Antragsteller bzw. die BI ProRad Düren als Ideengeberin aus der Zeitung (Paywall) erfahren, dass wohl darüber nachgedacht wird, einen einwöchigen Verkehrsversuch durchzuführen, um unseren Bürgerantrag in der Praxis zu testen.

Ich lese darin eine Bestätigung meiner Beobachtung der Verkehrspolitik und -planung der vergangenen Jahre: Es wird (so gut wie) nichts ordentlich evaluiert! Am liebsten wollen wir gar nicht wissen, wo wir stehen!

Ein einwöchiger Verkehrsversuch? LOL! Welche Erkenntnis, die dann sowieso nicht in die Köpfe der Beteiligten vordringt – geschweige denn in konkreten Maßnahmen mündet – soll in einer Woche gewonnen werden?

Wozu überhaupt ein „Versuch“? Wir wissen doch eigentlich haargenau, dass wir nicht voran kommen bei der Erreichung unserer hehren Ziele und dem Ding, das man früher mal „Verkehrswende“ genannt hat. Zumindest wenn wir mal ehrlich wären und wenigstens die öffentlich verfügbaren Zahlen und das reale Verkehrsgeschehen wahrnehmen würden. Wenn man das jetzt aber auch noch schwarz auf weiß hätte und es im schlimmsten Fall auch noch öffentlich und politisch thematisieren müsste und dies dann auch noch Einfluss auf politische Entscheidungen nähme… Wo kämen wir denn hin?

An dieser Stelle könnte man wieder aus dem Koalitionsvertrag, Kapitel „Mobilität“ zitieren. Oder aus dem Klimaschutzteilkonzept von 2016, aus dem Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz unseres „Fahrradlandes NRW“, aus dem Nationalen Radverkehrsplan (3.0!) und so weiter und so fort…

Ich erspare es mir und uns an dieser Stelle mal.

Wahrscheinlich muss erst wieder etwas Schlimmes passieren, bevor sich (Jahre später) etwas bewegt. Siehe Aachener Straße, wo gerade das verschwundene Ghostbike ersetzt wurde. 2019 wurde dort ein Schüler von einem Lkw-Fahrer getötet. Der Schüler fuhr auf einem sogenannten „Schutz“streifen. Heute, fast fünf Jahre später, ist der Schutzstreifen immer noch da.

Auf der Veldener Straße, der Philippstr. und der August-Klotz-Straße sind Radfahrende momentan noch auf einem Gemisch aus Nichts, Mehrzweckstreifen, laternenbepfahlten „Radwegen“ und Ähnlichem unterwegs. Nur eine Frage der Zeit, bis auch hier…?

Wann handeln Politik und Verwaltung? Jetzt präventiv? Oder später mit großem Gejammer neben dem nächsten Ghostbike, das wir in Düren aufstellen müssen?