Perspektivenwechsel

Heute will ich mal einen Blick auf die Gehwege in unserer „Stadt der kurzen Wege“ werfen. Nix Fahrradinfrastruktur! Obwohl – hat das vielleicht irgendwie miteinander zu tun?

Könnten sich vielleicht sogar diverse Fragen, wie bspw. nach Gesichtspunkten der sozialen Gerechtigkeit etc., anschließen? Sollten Gehwege allgemein mal ein Thema für den Inklusionsbeirat, den Seniorenrat und den Mobilitätsausschuss sein? Man hört so wenig darüber und irgendeine Lobby scheinen die (wir) Fußgänger in Düren auch nicht zu haben. Ständig dreht sich alles nur um die blöden Radfahrer! *Zwinkersmiley*

Oder wäre das Thema Gehwege mal etwas für´s Stadtmarketing?

Die Stadt der kurzen Wege.
Die Stadt der schlechten Gehwege!


Natürlich sind Gehwege auch aus Radfahrer-Perspektive spannend. Angeblich sind die in Düren sogar so hervorragend, dass andauernd Radfahrer auf ihnen unterwegs sind. Angeblich sind die anarchistischen Radfahrer ja auch das größte Übel für die gesellschaftlich und verkehrsplanerisch so geliebten Fußgänger. Ein epischer Konflikt mit Weltuntergangs-Potenzial! Da muss man ja nur mal in die Unfall-Statistiken schauen. LOL!

Klassiker: Pkw steht (nur mal kurz) auf dem „Schutz“streifen,
radikaler Radler-Senior weicht auf Gehweg aus.
Ursache – Wirkung – Wahrnehmung – Konsequenz?
Keine Ahnung weshalb die asozialen Radfahrer immer auf den Gehwegen fahren. Wahrscheinlich um vorsätzlich Fußgänger zu gefährden…
Obwohl die anarchistischen Radfahr-Chaoten doch überall „gut ausgebaute“ Radwege vorfinden.
Ist doch genügend Platz für alle da!
(Der Vollständigkeit halber: Da die Schoellerstraße vor ein paar Tagen provisorisch verengt wurde, sollen (müssen?) diese Pkw nun auf der rechten Ehemals-Fahrspur stehen und die Mülltonnen da, wo hier noch die Parkzeuge stehen.
Am gruseligen Zustand des Rad- und Gehwegs soll sich ansonsten freilich nichts ändern. Das passt schon…

0 % mehr Fußgänger bis 2025!

Kaum ein Blogeintrag ohne Verweis auf das Klimaschutzteilkonzept „Klimafreundliche Mobilität in Düren“. Einstimmig „im Grundsatz“ von allen Parteien im damaligen Stadtrat beschlossen und seitdem in jedem Koalitionsvertrag als zentraler und „konsequent“ umzusetzender Bestandteil der Verkehrspolitik in Szene gesetzt.

Ihr wisst schon: Das Ding, auf das sich alle anderen städtischen Konzepte beziehen, die irgendwie mit Mobilität, lebenswerter Stadtentwicklung, Klimaschutz und so Zeugs zu tun haben. Wird alle vier bis fünf Jahre anlässlich irgendwelcher Wahlkämpfe und Koalitionsverträge aus der Schublade gezogen. *Zwinkersmiley*

Dürener Modal-Shift-Mini-Zielchen:
Werden offenbar nicht erreicht (und gar nichterst gemessen)…
Klimaschutzteilkonzept „Klimafreundliche Mobilität in Düren“, S. 51

Beim Thema Gehwege muss das einfach erwähnt werden. Allein der Lächerlichkeit wegen:

Denn die Stadt hat sich tatsächlich zum Ziel gesetzt, den Fußverkehrsanteil nicht zu erhöhen! Wie bitte? Eine „Steigerung“ um null Prozent ist das erklärte Ziel. Und das obwohl dieser 2014 gerade einmal bei 10 Prozent lag. Echt jetzt? Wir setzen den Masterplan Innenstadt um und wollen nicht mehr Fußverkehr in der City? Okay…!

Gäbe es eine Fußgänger-Lobby in Düren, wäre die bestimmt schon heftig auf die Barrikaden gegangen. Gibt´s aber nicht, also schert´s offenbar auch niemanden.

Es scheint sich auch niemand dafür zu interessieren, wie die Zahlen da oben mit der vom Landrat ausgerufenen Wachstumsstrategie des Kreises korrelieren. Gleich viel Verkehr bei mehr Einwohnern? Oder welchen Anteil der Fußverkehr am Umsatz des innerstädtischen Einzelhandels hat.

Egal. Evaluiert wird eh nix! Was ist eigentlich aus den „Ein Prozent weniger Pkw pro Jahr“ geworden? Ach, komm – besser gar nicht erst nachfragen.

Aber das nur nebenbei… Im KSTK (und der lokalen Verkehrspolitik) spielt der Fußverkehr sowieso kaum eine Rolle. Warum auch immer…

Quelle: Klimaschutzteilkonzept „Klimafreundliche Mobilität in Düren“, S. 77
Toi, toi, toi, Fußverkehr! Hier soll sich irgendwann mal die neue „Umgehungsstraße“ mit Bundesstraßen-Charakter lang ziehen. Und die erste Protected Bike Lane Dürens.
Nach der Kanal-Baustelle I ist vor der Kanal-Baustelle II, ist vor dem Bundesstraßen-Neubau…

Rechtliches

Gar nicht groß erwähnen will ich, dass es natürlich auch für Gehwege bestimmte Mindest-Maße und Qualitäts-Standards in Form diverser Richtlinien usw. gibt. Einiges davon unten in den Links. Eine Wissenschaft für sich, genau wie beim Radverkehr.

Das ist mir an dieser Stelle zu kompliziert, aber es ist auch nicht wirklich relevant, weil es im Grunde genau das gleiche Ding ist wie beim Radverkehr: Theorie und Praxis haben ziemlich wenig miteinander zu tun.

Auf dem Papier ist alles gut (oder soll alles irgendwann irgendwie gut werden). In der Praxis bekommen Fuß & Rad nur die Reste dessen, was der heiß geliebte und seit Jahrzehnten subventionierte Pkw-Verkehr übrig gelassen hat. Wenn überhaupt… Denn Regelwerke werden offenbar gerne in die Hand genommen um Maßnahmen, die den Rad- und Fußverkehr fördern, zu verunmöglichen, aber eher selten um sie tatsächlich umzusetzen.

Von einer echten Fairteilung des (Verkehrs-) Raums sind wir – trotz erster kleiner Ansätze – noch Lichtjahre entfernt. Das erleben vor allem die Fußgänger (und ÖPNV-Nutzer) in unserer „Stadt der kurzen Wege“ tagtäglich.


Exkurs Parkraum

Auch beim Thema Gehwege spielen Pkw leider eine große Rolle. Das ist irgendwie selbsterklärend: Überall da, wo ein Pkw steht, kann schließlich kein Fußgänger laufen. Und überall da, wo Autos fahren und (i.d.R.) nach Parkplätzen suchen, kann kein Gehweg sein – und kein separierter Radweg, kein Spielplatz, kein Park, keine Außengastronomie und so weiter. Das Nutzungs-Privileg liegt allein beim motorisierten Individualverkehr (+ Lieferverkehr).

Ähh, Moment – wollten wir davon nicht eigentlich weniger haben (s.o.)? Wie korreliert das mit dem Parkraummangement? Siehe auch hier.

Belebte Innenstadt 1.0
Sorgen für wahnsinnig attraktive Innenstädte:
Liebliche Pkw-Parkplatz-Schneisen statt hässlicher Fußgängerzonen, stinkender Außengastronomie, unansehnlicher Kunst, dämlicher Kultur und systemirrelevanten Handel.

Falschparker

Falschparken ist asozial und leistet einen riesigen Beitrag zum vielfach erwähnten Niedergang des innerstädtischen Einzelhandels. Denn Falschparken macht Städte extrem unattraktiv. Ich behaupte mal, dass Gehwege am stärksten vom Phänomen Falschparken betroffen sind. Wahrscheinlich dicht gefolgt von schlechter Fahrrad-Infrastruktur.

Immer auf die Kleinen! Die können sich am schlechtesten wehren. 💪

Kurz zusammengefasst:

  • Falschparken führt zu weniger Lebens- und Aufenthaltsqualität.
  • Falschparken verringert die Attraktivität und Qualität von Gehwegen, Radwegen, Straßen, Plätzen und Nachbarschaften.
  • Falschparken verschlechtert die Erreichbarkeit der Innenstädte für alle Nicht-Falschparker und Nicht-Pkw-Fahrer.
  • Falschparken wirkt sich besonders negativ auf vulnerable Verkehrsteilnehmer aus: Kinder, Ältere, (Geh- und Seh-) Behinderte…
  • Gehwege sind besonders stark vom Falschparken betroffen.
  • Falschparken befördert vollkommen unnötige Konflikte – nicht zuletzt zwischen Fuß/Rad.
  • Falschparken erzeugt Falschparken: Aufgrund nicht ausreichender Kontrollen & Sanktionen (aufgrund der schieren Masse an Falschparkern und erheblicher Toleranz?) sind die Falschparker von heute die Vorbilder der Falschparker von morgen. AUTOpoiesis.
  • Falschparken ist allgegenwärtig. Wer kann guten Gewissens von sich behaupten, nie falsch zu halten und zu parken? Wie sehen das die Profi-Lieferdienstler und Elterntaxi-Fahrer?
  • Falschparken genießt trotz allem oder gerade deshalb eine sehr hohe Akzeptanz (insbesondere unter Falschparkern/Pkw-Fahrern).
  • Der Schaden durch das allgegenwärtige Falschparken kann nicht beziffert werden. Weder qualitativ, noch quantitativ.
  • Die Einnahmen durch Falschparken können hingegen exakt beziffert werden. Sie sind eine wichtige „Einnahmequelle“ für die Kommunen. (Oder besser eine „kleine Kompensationsquelle“ für den nicht zu beziffernden Schaden durch Pkw-Missnutzung?) Da sie beziffert werden können, können sie auch argumentativ genutzt werden – anders als die vielfältigen, nicht evaluierten gesellschaftlichen Kosten & Schäden.

Richtigparker

Falschparker sind aber eigentlich nur die zu erwartenden, obligatorischen Negativ-Auswüchse des Richtigparkens, also unseres sogenannten „Parkraummanagements“. Bzw. unseres gesamten Verkehrssystems. Beim Thema Parken geht´s ums Grundsätzliche, um den öffentlichen Raum und seine Fairteilung!

Dabei lässt sich besonders für die Richtigparker feststellen: Sie sind natürlich noch viel präsenter als die allgegenwärtigen Falschparker. Die gesamte Stadt ist zugestellt mit parkenden Pkw. Parkzeuge sind so omnipräsent, dass wir sie gar nicht mehr bewusst wahrnehmen. Den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen und so…

Sie stehen in Reih und Glied auf zahlreichen (und gleichzeitig möglichst billigen) extra für sie eingerichteten Parkplätzen, eingepfercht in Parkhäusern, entlang fast jeder normalen Straße, vor fast jeder privaten Haustür und vor/hinter fast jedem Geschäft und Dienstleister.

In Düren gibt es mehr Verkehrsschilder für Parkzeuge
als Bäume!

Unsere Stadt gehört den parkenden Pkw

Was sagt nochmal unser „konsequent“ umzusetzendes Verkehrskonzept dazu?

Auch in Düren wurden in der Vergangenheit viele Flächen, die ursprünglich den Fußgängern gewidmet waren, zu Parkplätzen für den MIV umgewidmet.

Dieser Trend sollte wieder umgekehrt werden und den Fußgängern nach und nach die Flächen wieder überlassen werden.

Die Umsetzung ist dabei eng an die Fortschritte und Erfolge der anderen Maßnahmen dieses Klimaschutzteilkonzeptes gekoppelt, da diese für die notwendige Entlastung sorgen müssen.

Klimaschutzteilkonzept „Klimafreundliche Mobilität in Düren“, S. 79 (Hervorhebung von mir.)

Oh jeh!

Die Förderung des Fußverkehrs ist an die des Radverkehrs und die konsequente Umsetzung samt Wirksamkeit des zentralen städtischen Verkehrs-Konzepts gekoppelt?

Na dann… Prost Mahlzeit!

Dis bisherige Bilanz sieht da eher deprimierend aus mit Blick auf die angekündigte Mobilitäts“wende“ und den „Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik“. Aber wer weiß das schon? Ich kann da auch nur mutmaßen. Wir evaluieren das Ding ja noch nicht mal. Aus Gründen!


Noch mehr (bzw. weniger) Infrastruktur

In Sachen Qualität schenken sich Geh- und Radwege ebenfalls nicht viel. Wie auch? Der städtische Raum wurde ja schon verteilt:

Größtenteils an parkende und einen Parkplatz suchende Pkw, die (u.a. deshalb) immer zahlreicher werden und nebenbei auch noch immer größer und stärker motorisiert werden. Was bleibt da noch viel übrig für Fußgänger, Radfahrer und den ÖPNV – heute und in Zukunft?

Was ist eigentlich mit dem ÖPNV? Der soll doch (angeblich) auch total konsequent und dramatisch gut ausgebaut werden? Brauchen die zukünftigen ÖPNV-Nutzer eigentlich keine geilen Gehwege, damit es ihnen schmackhaft gemacht wird, per Umweltverbund in die Stadt zu kommen und dort unterwegs zu sein?

Wäre ja irgendwie blöd, wenn wir jetzt aus Überzeugung und voll pünktlich *hüstel* all unsere Bushaltestellen barrierefrei gestalten, um dann festzustellen, dass die Gehwege drum herum mega-übel sind.

Null Prozent mehr Fußverkehr bis 2025? Vielleicht sind wir da in der Zielerreichung gar nicht mal auf einem so schlechten (Geh-) Weg?

Das könnte wiederum irgendwie auch mit dem Thema Barrierefreiheit zu tun haben, vermute ich. Obwohl sich Fußgänger natürlich schon daran gewöhnt haben müssten, dass ihre Wege ständig von irgendwem oder irgendwas zu gestellt werden. Ungefähr so wie Radfahrer.

Wohin auch mit all den Schildern, Laternen, Mülltonnen, E-Ladesäulen und Falschparkern? Grundsätzlich auf die Geh- und Radwege selbstverständlich. Die sind ja eh schon bestens, weit über jeglichen – auch zukünftigen – Bedarf ausgebaut.


Ein paar beliebige Beispiele

Überall da, wo nicht abgepollert ist, stehen Pkw. Ob das erlaubt ist oder nicht, spielt kaum eine Rolle. Noch weniger relevant ist, ob Fußgänger und Rolli-Fahrer behindert werden könnten. Pkw first, alles andere scheißegal!
Ein paar Meter weiter: Ab hier will man anscheinend wirklich keine Falschparker mehr sehen. Also: Alles zupollern – die einzige Möglichkeit, um den Gehweg (barriere)frei zu halten. Barrierefrei???
Blick aus der entgegengesetzten Richtung: Was sagen die Regelwerke und Fußgänger-Lobbyisten zu solchen Zuständen? Was würde passieren, wenn sich die für Pkw vorgesehenen Fahrflächen in solchen Zuständen befänden? Ach so, es geht ja nur um Fußgänger? Na dann…
Eine Stadt voller Poller oder voller Falschparker – wir haben (scheinbar) die Wahl.
Für Radfahrer(innen) nur mal wieder ziemlich unangenehm sich zwischen Falschparker und „Normalverkehr“ auf dem sogenannten „Schutz“streifen durchquetschen zu müssen…
Für Fußgänger kein Durchkommen! Dann müssen die halt mal ein bisschen auf der Straße laufen. Ist doch kein Problem für Kinder, Seh- und Geh-Behinderte, Ältere und so weiter. Sollen sich halt mal nicht so anstellen. Dauert ja auch nur ein Stündchen oder so. Und der Kollege hat freundlicherweise auf dem Gehweg gegenüber geparkt. Danke!
Sichtbeziehungen sind auch so ein Ding. Falschparkern in Kreuzungsbereichen ist ihr gemütliches In-der-Gegend-Rumstehen mehr Wert als die Sicherheit aller anderen. Ein Kind, das hier die Straße queren will, sieht selber nichts und wird nicht gesehen. Das wird nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern sogar bewusst provoziert. Toll!
Da abends und nachts noch viel weniger kontrolliert wird als tagsüber (wenn überhaupt), gehören die Gehwege erst recht den Parkzeugen. Da wird aus sich ständig wiederholendem „nur mal kurz“ halt einfach mehrstündiges „ausnahmsweise mal“. Sonst ändert sich eigentlich nichts.
Zukunftsvertrag NRW
CDU, Bündnis 90/Die Grünen

Quellen, Links & Lesenswertes…