Wer zu Fuß geht, muss die Gehwege benutzen. Auf der Fahrbahn darf nur gegangen werden, wenn die Straße weder einen Gehweg noch einen Seitenstreifen hat.

Straßenverkehrsordnung, § 25

Und was, wenn der Gehweg wegen parkender Pkw unzugänglich ist?

In der letzten Sitzung des Mobilitäts-Umwelt-Klimaschutz-Ausschusses ging es (ein wenig am Rande) um das Thema Gehwegparken. Ehrlich gesagt hatte ich mir etwas mehr bürgerschaftliches Interesse und hitzige Debatte erwartet. Schließlich sollen rund um den Steinweg mal eben 14 Parkplätze mitten in der Stadt wegfallen. Drama! Wo bleibt der Aufschrei von IG City & Co.?

Anlass für den ursprünglichen Antrag/Beschlussvorschlag „Gehwegparken“ war die erstaunliche Feststellung der „Koalition Zukunft“, dass so manch ein Dürener Gehweg noch schlechter ist als mancher Fahrrad-Schutzstreifen. Sprich: Für Rollifahrer, Leute, die mit Kinderwagen oder Rollator unterwegs sind oder auch nur einfach nebeneinander gehen wollen, gibt es kein Durchkommen. War bisher offenbar noch nicht so wirklich aufgefallen – oder von Interesse…

Beschlussvorschlag: Der Rat bittet die Verwaltung, zunächst bei den Projekten des aktuellen Straßenunterhaltungsprogrammes die verkehrsrechtlichen Anordnungen zu überprüfen. Es ist genau zu klären, ob die Anordnungen (Beschilderungen) noch mit den gesetzlichen Vorgaben und technischen Regelwerken kompatibel sind.

Der Rat bittet darüber hinaus um eine automatische Prüfung bei allen weiteren Baumaßnahmen sowie einer Prüfung der folgenden Straßen ohne aktuelle Baumaßnahmen: Gartenstraße, Flurstraße, Yorkstraße mit Umfeld

Begründung: Anlässlich des in diesem Jahr veröffentlichen Straßen -und Wegekonzeptes und des Straßenunterhaltungsprogrammes haben sich Mitglieder der Koalitionsfraktionen und der Vorsitzende des Inklusionsrates einzelne Straßen genauer angesehen. Dabei ist aufgefallen, dass z.B. für Menschen mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen an vielen Stellen auf dem Fußweg kein Durchkommen ist und man teils sehr kompliziert und gefährlich auf die Fahrbahn ausweichen musste. Die als Mindestmaß nötigen 1,5 Meter Restwegbreite sind oft nicht gegeben -und schon die Basismobilität des zu Fuß Gehens wird dadurch teilweise unmöglich gemacht bzw. stark erschwert.

An vielen Stellen muss deshalb das bisher „legalisierte“ Parken auf dem Gehweg beseitigt werden, damit dieser überhaupt genutzt werden kann.

Antrag „Gehwegparken“, Koalition „Zukunft Düren“, 22.11.2022

Gesagt, getan: Die Verwaltung hat ihren Job erledigt und spielt den Ball ein 3/4 Jahr später wieder zurück an die Politik:

Die Verwaltung hat den Sachverhalt geprüft, und kommt zu folgendem Ergebnis:
Im Bestand wird im Steinweg größtenteils beidseitig, zum Teil halbhüftig auf dem Gehweg geparkt. Die Parkstände sind für die Bewohner der Parkzonen A-D reserviert. Es wird bemängelt, dass dadurch keine ausreichenden Breiten für Fußgänger zur Verfügung stehen.
Die aktuellen Regelwerke sehen bei einer geschlossenen, dreigeschossigen Bauweise eine Gehwegbreite von 2,50 m vor. Weiterhin ist bei Längsparkständen zum Ein-/Ausparken eine Mindestfahrgassenbreite von 3,50 m erforderlich. Auf dieser Grundlage hat das Fachamt geprüft, welche Parkstände zulässig sind:

Ahrweilerplatz – Bongard
Hier wird einseitig auf der Straße und halbhüftig auf der gegenüberliegenden Seite geparkt. Es stehen folgende Breiten zur Verfügung:
Gehweg/Fahrbahn Gehweg: 1,85 m/6,00 m/2,00 m
Die Gehwege sind nicht breit genug, um diese für halbhüftiges Parken mitzunutzen. Die Breite der Fahrbahn lässt auf dieser Grundlage nur ein einseitiges Parken zu.
Da die Fahrzeuge aktuell bereits auf der nördlichen Seite auf der Fahrbahn stehen, wird das halbhüftige Parken auf der Südseite entfernt.

Bongard – Nagelschmiedsgasse
Das Parken erfolgt in diesem Abschnitt einseitig auf der Straße, auf der gegenüberliegende Seite ist das Halten (auf der Straße) erlaubt. Auch hier stehen zum Teil Fahrzeuge halbhüftig auf dem Gehweg. Die Breiten betragen:
Gehweg/Fahrbahn/Gehweg: 2,00 m/6,00 m/2,00 m
Auch hier kann nur einseitig auf der Straße gestanden werden, die gegenüberliegende Seite muss frei bleiben. Bei einem Halten auf der Straße ist keine Durchfahrt mehr möglich.

Nagelschmiedsgasse – Altenteich
In diesem Abschnitt wird beidseitig auf der Fahrbahn geparkt. Die Anlage weitet sich in diesem Abschnitt mit folgenden Breiten auf:
Gehweg/Fahrbahn/Gehweg: 1,85 – 2,00 m/6,40 – 7,00 m/2,30 – 2,70 m
Bei der vorhandenen Fahrbahnbreite ist das beidseitige Parken nicht zulässig, um ausreichende Flächen sowohl für das Ein-/Ausparken als auch für die Durchfahrt von größeren Fahrzeugen z.B. Rettungsdienst zu gewährleisten. Daher muss auch hier einseitig das Parken entfallen.

Die vorliegende Prüfung hat ergeben, dass sowohl im Bereich Ahrweilerplatz-Bongard und Bongard- Nagelschmiedsgasse das halbhüftige Parken entfernt und durch ein absolutes Haltverbot zu ersetzen ist. Im Bereich Nagelschmiedsgasse-Altenteich muss auf einer Straßenseite das Parken auf der Straße entfernt werden und ebenfalls durch ein absolutes Haltverbot ersetzt werden. Der gesetzliche Rahmen bietet hier keinen Spielraum für eine andere Entscheidung, da die Regelwerke ein Parken ohne ausreichende Restgehwegbreiten, bzw. Restfahrbahnbreiten nicht erlauben.

Mitteilungsvorlage der Verwaltung, 11.09.2023


Klare Sache! Allerdings garniert mit folgendem Hinweis (Hervorhebungen von mir):

Durch die in der Vorlage angekündigte Maßnahme fallen im Steinweg 14 Parkplätze innerhalb der Bewohnerparkzonen A-D weg.

Die Interessen von Rollstuhlfahrern und Eltern mit Kinderwagen sind unzweifelhaft berechtigt, aber es ist nicht zu vergessen, dass viele Straßen in Düren wegen des historischen Ursprungs schmal sind.

Finden Bewohner trotz Bewohnerparkausweises keinen Parkplatz mehr, könnte dies einen Wegzug aus der Innenstadt und damit eine Verödung der Innenstadt begründen.

Ich rege daher an, bei weiteren angedachten Maßnahmen dieser Art jeweils im Einzelfall zu überprüfen, ob ein Wegfall von Parkplätzen zur Einhaltung zwingender gesetzlicher Regelungen erfolgen muss oder ob es Ermessensspielraum bzw. eine andere Möglichkeit der Straßengestaltung gibt

Anmerkung der Verwaltung, 08.09.2023

Verstehe ich das richtig? Das Fachamt stellt klipp und klar fest: „Der gesetzliche Rahmen bietet hier keinen Spielraum für eine andere Entscheidung, da die Regelwerke ein Parken ohne ausreichende Restgehwegbreiten, bzw. Restfahrbahnbreiten nicht erlauben.“ Und die Beigeordnete der Stadt Düren (im Verwaltungsvorstand für Recht, Ordnung, Bürgerservice, Feuerwehr und Rettungsdienst zuständig) empfiehlt (wem eigentlich – Fachamt, Politik?), „Ermessensspielräume“ auszuloten? Hmmm…

Wie auch immer… Auf jeden Fall droht die Verödung der Innenstadt! Das ist mal klar. Wegzug wegen Parkplatzmangel! Dauerhaft leer stehende Wohnungen, die nie wieder vermietet werden können, weil alle potenziellen Mieter komplett Pkw-abhängig sind. Üble Sache! Gibt es für die Wegzugs-Hypothese eigentlich auch irgendwelche Belege, die diese unterstützen? Oder ist das reines Bauchgefühl? Auf jeden Fall sehr hilfreich, den Verkehrswende-Teufel einfach mal so an die Wand zu malen.



Mal ernsthaft: Warum wird überhaupt über „Mindest“maße, mögliche Schlupflöcher und Ermessensspielräume bei Geh- und Radwegen diskutiert? Ich dachte, dass die Bevorzugung des Fuß- Rad- und ÖPN-Verkehrs die verkehrspolitische Maxime der Stadt sei. „Ein Prozent weniger Pkw pro Jahr.“ Modal Shift bis 2025, mehr Aufenthalts- und Lebensqualität dank weniger Parkplätze und so weiter und so fort… Warum also dieses peinliche Geplenkel um wenigstens ordentliche (geschweige denn barrierefreie) Gehwege. Es geht doch nur um ein paar Innenstadtverkehr erzeugende Pkw-Parkplätze.

Rächt sich etwa langsam, dass immer noch kein Parkraumkonzept ersonnen (geschweige denn umgesetzt) wurde? Oder zentrale Teile des zentralen städtischen Mobilitätskonzepts in der Schublade verstauben?

Und warum sollen eigentlich die wegen des „historischen Ursprungs“ eh schon schmalen Gehwege an der ganzen Misere schuld sein? Parkten da schon immer überall Autos? Und soll das auch in Zukunft so sein? Stünden nicht auf ausdrückliche städtische Einladung (Beschilderung & Nicht-Sanktionen) hin überall Parkzeuge auf allen möglichen und unmöglichen Gehwegen herum, gäbe es das Problem angeblich zu schmaler Gehwege oftmals überhaupt nicht.

Und der angeblich ach so dramatische „Parkdruck in der Innenstadt“? Hat man den eigentlich jemals ermittelt? Mal eine Parkraumanalyse durchgeführt oder eins der in unseren politischen Sonntagsreden ständig bemühten niederländischen Parkraumkonzepte in Erwägung gezogen? Mal modelliert, was dessen Umsetzung für den Parkdruck in der City bedeuten könnte?

Rein rhetorische Fragen. Natürlich nicht. Dennoch wird der (angebliche) Parkdruck, anders als bspw. der ziemlich gut untersuchte Zusammenhang von Pkw-Parken und Unfällen, stets als Mega-Argument für das Weiter-so in Sachen Parkraum-Politik aus der Mottenkiste geholt.

Irgendwie alles ziemlich seltsam, sobald ein paar Pkw-Parkplätze von bösen Infrastrukturen für Nicht-Pkw bedroht werden.



Kann man allerdings alles auch etwas anders sehen: Kommunen sind ja überhaupt nicht dazu verpflichtet, jedem Pkw-Besitzer einen Parkplatz direkt vor seiner Haustür oder vor jedem potenziellen Shopping-Ziel in der Innenstadt zur Verfügung zu stellen. Das schreiben ihnen noch nicht mal die veruralteten Stellplatzsatzungen & Co vor. Erst recht besteht diese Pflicht nicht, wenn die Pkw immer mehr und immer größer werden. Das wäre ja paradox. Wie soll das funktionieren? Aber Kommunen sind gesetzlich und ethisch dazu verpflichtet, ihrem Wahlvieh ordentliche, im besten Fall qualitativ hochwertige und einladende, aber mindestens regelkonforme Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall Wege. Ganz unabhängig davon, ob man zu Fuß, per Rad, Rolli oder Auto unterwegs ist.



Normalerweise haben Pkw auf Gehwegen sowieso nichts zu suchen. Erst recht nicht auf so schmalen Exemplaren wir in der Innenstadt (oder in Birkesdorf…). Nach heutigen Regelwerken, Konzepten und politischen Zielen, sind solche Fußgänger- und Behinderten-feindlichen Strukturen schon längst nicht mehr möglich oder auch nur erwünscht. Sollte man meinen. Wären da nicht die üblichen Verdächtigen…



Der christliche Kampf um den Erhalt der Parkplatzkultur

Naja. Letztendlich hat die CDU die Verwaltung nur darum gebeten, ihre Vorlage, nochmal zu prüfen. Man möge doch bitte erneut checken, welche „Ermessensspielräume“ es gebe, um Straßenverkehrsordnung und sonstige Regelwerke möglichst Parkplatz-freundlich, zu Lasten der Fußgänger, Behinderten usw. auszulegen. So hat man das natürlich nicht formuliert. Aber gemeint.

Weshalb die Forderung nach Neuauslegung der StVO, die mit diesem Internetfund begründet wurde, überhaupt von der CDU gestellt wurde, bleibt unklar. Denn in der Mitteilungsvorlage der Verwaltung, die vor der Sitzung veröffentlicht war, wurde dererseits ja bereits angemerkt, dass jeder Einzelfall geprüft werden müsse.

Wahrscheinlich wollte die CDU einfach nochmal die Flagge der Autofahrer-Lobby im Mobilitäts- Umwelt- und Klimaschutzausschuss schwenken. Sei ihr gegönnt!

Viel interessanter ist sowieso, was die aktuellen Regeln, Gesetze, Verwaltungsvorschriften und technischen Vorgaben zu dem Thema sagen. Leider sind die in der politischen Diskussion überhaupt nicht präsent. Nur die Verwaltung bringt sie immer wieder ein – damit die Politik (oder sie selbst) sie wieder klein reden oder aalglatt umschiffen kann. Scheint mir zumindest…

Es ist trotzdem fatal, solche Aussagen wie die zur angeblichen Innenstadt-Verödung wegen ein paar wegfallenden (oder in einem ordentlichen Parkraumkonzept einfach umpositionierten) Parkplätze einfach unwidersprochen und nicht hinterfragt im Raum stehen zu lassen!

Ich drehe die ganze Diskussion deshalb einfach mal um und behaupte, es gibt eigentlich gar keine schlagkräftige und nachvollziehbare, wissenschaftlich, datenmäßig oder ethisch begründete Argumente, die es überhaupt zulassen, sich über ordentliche Gehwege (und Radwege) vs. ein paar Pkw-Parkplätze zu streiten. Das wird langsam echt peinlich.



Stellen wir abschließend den nicht vorhandenen Parkraumanalyse-Daten und bauchgefühlsmäßigen Innenstadt-Vernichtungs-Prognosen einfach mal die offizielle Sicht der Dinge gegenüber. Wie sehen das Regelwerke, Fachverbände und so weiter? Vielleicht fragen wir uns nach deren Lektüre nochmal, in welche Richtung wir den uns vorhandenen „Ermessensspielraum“ auslegen sollten, wenn es mal wieder darum geht, entweder den motorisierten Individualverkehr oder den Umweltverbund zu bevorzugen.


Auch für Parkplätze an Straßen wird es neue Empfehlungen (EAR) geben: Es gilt der Grundsatz, so wenig Flächen wie möglich für Parkplätze einzuplanen. Stattdessen sollen Flächen für Grünbereiche, für die Retention und/oder dezentrale Entwässerung mit Versickerung und/oder für andere umweltfreundliche Modi gewonnen werden, die dazu beitragen können, ein Aufheizen von Straßenräumen zu verringern.

Neue Entwurfsregelwerke bevorzugen Fuß- und Radverkehr, FGsv.de

Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt, die Gehwege und die darunter liegenden Leitungen durch die parkenden Fahrzeuge nicht beschädigt werden können und der Zugang zu Leitungen nicht beeinträchtigt werden kann sowie die Bordsteine ausreichend abgeschrägt und niedrig sind.

Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO)

Eine Änderung in den Verwaltungsvorschriften bei der letzten Reform der StVO wird von Ordnungsämtern der Kommunen bei ihrer täglichen Arbeit missachtet. In den Verwaltungsvorschriften der StVO steht nun als Erläuterung zu dem blauen Verkehrszeichen, das das Parken auf Gehwegen erlaubt (Zeichen 315): „Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt, die Gehwege und die darunter liegenden Leitungen durch die parkenden Fahrzeuge nicht beschädigt werden können und der Zugang zu Leitungen nicht beeinträchtigt werden kann.“

Diese aktuellen Vorschriften sind ein gewichtiges Argument gegen das in vielen Kommunen praktizierte Tolerieren der Behörden des Falschparkens auf Gehwegen, solange Autofahrer eine bestimmte Passagenbreite („Restgehwegbreite“) frei lassen. Dabei wird oft von 1,20 bis 1,50 Meter Breite als Richtwert für eine Duldung durch die Mitarbeiter der Ordnungsämter ausgegangen.

Behördenmitarbeiter handeln beim Falschparken nach dem Opportunitätsprinzip, das heißt sie haben einen Ermessensspielraum, solange keine gesetzliche Regelung etwas anderes besagt. „Seit der letzten Reform der StVO hat der Gesetzgeber jedoch klar zu erkennen gegeben, was er als Mindestmaß erachtet. Der rechtliche Rahmen ist damit für die zuständigen Ordnungsämter neu gesteckt worden. Die bisherige Tolerierung des Falschparkens muss beendet werden“, fordert der Sprecher des Fuss e.V., Stefan Lieb. Stand der Technik seien mindestens 2,20 Meter Gehwegbreite, in der Regel müssten sie 2,50 Meter breit sein.

Pressemitteilung des
Fuss e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland

vom 19. September 2013

Im Kapitel über illegales Gehwegparken wurde gezeigt, dass die aktuelle Rechtsprechung „Behinderung des Fußverkehrs“ so definiert: Ein ungehinderter Begegnungsverkehr zweier Fußgänger, auch solcher mit Kinderwagen, ist nicht mehr möglich. Dann wird nicht nur ein erhöhtes Bußgeld fällig, sondern es darf auch abgeschleppt werden.

Wenn also ein eingeschränkter Begegnungsverkehr bereits eine Behinderung des Fußverkehrs darstellt, muss dieses Kriterium auch berücksichtigt werden, falls legales Gehwegparken erwogen wird.

Fast identisch ist die Aussage zu Mindestbreiten, mit denen die Verwaltungsvorschrift zur Stra- ßenverkehrsordnung festlegt, wann das Zeichen 315 (VwV-StVO „Zu Zeichen 315 Parken auf Gehwegen“) oder eine Parkflächenmarkierung (VwV-StVO „Zu Anlage 2 lfd. Nummer 74 Park- flächenmarkierungen“) angeordnet werden darf:

„Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt.“

Wieder wird also vorausgesetzt, dass Fußgänger, Kinderwagen und Rollstuhlfahrer sich unge- hindert begegnen können müssen. Die VwV- StVO ist zwar keine Rechtsnorm, sondern eine innerdienstliche Richtlinie, aus der Bürger keine unmittelbaren Rechte ableiten können. Aller- dings ist die Verwaltung zur Wahrung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG ver- pflichtet und bindet sich demgemäß durch die pflichtgemäße Anwendung der Verwaltungsvorschriften selbst, da sie gleichgelagerte Fälle nicht ohne sachlichen Grund anders behandeln darf.Nur bei einem atypischen Sachverhalt darf von der VwV-StVO abgewichen werden.

Unabhängig von dieser speziellen Vorschrift verweist die VwV-StVO im Abschnitt über Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen darauf, dass nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik verfahren werden soll. Den Stand der Technik in Bezug auf die Flächenbedarfe des Fußverkehrs stellen die von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) herausgegebenen „Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen“ (EFA) sowie die „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt) dar.

Diese Empfehlungen und Richtlinien sagen ebenfalls: „Zwei Fußgänger sollen sich begegnen können: Dies erfordert neben der zum Gehen benötigten Breite der beiden Fußgänger einen Begegnungsabstand. Zur Fahrbahn und zur Hauswand sind jeweils Sicherheitsabstände ein- zuhalten.“

Der ungehinderte Begegnungsverkehr zweier Rollstuhl-, Kinderwagen- oder Rollatorfahrer ist also wieder das einzuhaltende Kriterium. Anders als Gerichte und VwV-StVO nennen die EFA konkrete Maße: Für jeden Fußgänger wird eine Breite von 80 cm angesetzt sowie ein Begegnungsabstand von 20 cm.

Die „Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen“ (HBVA) rechnen für Personen im Rollstuhl mit einem Breitenbedarf von je 90 cm, wodurch sich ein lichter Verkehrsraum, also ohne Laternen oder Verkehrszeichenträger, von mindestens 200 cm für Begegnungsverkehr ergibt. Die RASt setzen für Personen im Rollstuhl sogar einen Breitenbedarf von 110 cm an.

Daraus ergibt sich für Begegnungsverkehr eine mindestens nutzbare Gehwegbreite von 180 cm laut EFA, 200 cm laut HBVA und 240 cm laut RASt. Zusätzlich zu dieser nutzbaren Gehwegbreite kommen auf beiden Seiten Sicherheitsabstände: auf der Hausseite wird ein Abstand von 20 cm verlangt, auf der Fahrbahnseite ein Abstand von 30 cm bis 50 cm zum fließenden Verkehr. Betrachtet man ein auf dem Gehweg parkendes Fahrzeug als feststehendes Hindernis, würde auch auf dieser Seite ein Sicherheitsabstand von 20 cm ausreichen. Die RASt empfehlen zu längs parkenden Autos einen Sicherheitstrennstreifen von 50 cm, um „Personen vor Behinderungen oder Schäden durch unvorsichtig geöffnete Fahrzeugtüren zu bewahren“.

In jedem Fall ergibt sich auf diese Weise nach EFA eine Mindestbreite des Rest-Gehwegs entlang von Hausfassaden von 220 cm (20+180+20 cm). Laut HBVA oder RASt sind es noch mehr. Außerdem erhöht sich die von den Richtlinien verlangte Mindestbreite bei mehrge- schossiger Bebauung, bei Schaufenstern oder Vitrinen sowie in der Nähe von ÖPNV-Haltestel- len, also überall wo stärkerer Fußverkehr zu erwarten ist.

Diese Mindestbreite nach EFA, die entlang von Hausfassaden 220 cm oder mehr beträgt, ist das absolute Minimum, das für einen benutzbaren Gehweg erforderlich ist. Nur bei deutlich breiteren Gehwegen kann also überhaupt erwogen werden, Parken auf einem Gehweg zuzulassen.

Parken auf Gehwegen
Problematik – Rechtslage – Handlungsbedarf

Fachverband Fußverkehr Deutschland FUSS e.V., zweite erweitere Auflage, 2022

Wie breit müssen Gehwege sein?
Mindestgehwegbreiten nach den aktuellen Regelwerken

Die Mindestgehwegbreite gemäß den Regelwerken RASt 06, 4.7, Bild 20 sowie EFA 2002, 3.3.1, Bild 4 beträgt 2,50 m. Dieses Maß ist bei Neu- und Umplanungen sowie Sanierungen grundsätzlich anzusetzen.

Fachverband Fußverkehr Deutschland FUSS e.V.
Stand: Dritte, ergänzte Auflage Oktober 2022


Gehwege sollen grundsätzlich mit dem Regelmaß von 2,50 Meter Breite geplant werden. Die veraltete Vorgabe eines Mindestmaßes von 1,50 Meter existiert schon lange nicht mehr – weder  im aktuellen Regelwerk noch in der Straßenverkehrs-Ordnung und der entsprechenden Verwaltungsvorschrift.

Geh-rechte Verkehrsplanung, bundesregierung.de, 22.10.2022

Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS)

Ziel und Aufgabe des Regelwerks:
Das HBS enthält standardisierte Verfahren, mit denen in Abhängigkeit von infrastrukturellen und verkehrlichen Randbedingungen für Einzelanlagen (Strecken, Knotenpunkt) verschiedener Arten von Straßenverkehrsanlagen deren Kapazität ermittelt und darauf aufbauend die Qualität des Verkehrsablaufs anhand von Qualitätsstufen QSV A bis F bewertet werden kann. (…)

Für den ÖV sollten die Qualitätsstufen QSV A bis B, für den Rad- und Fußverkehr die Qualitätsstufen QSV A bis C angestrebt werden. Dies gilt sowohl für Anlagen des jeweiligen Verkehrsmittels als auch für Knotenpunkte mit und ohne Lichtsignalanlage. Dazu ist die separate Ausweisung der QSV für alle relevanten Verkehrsmittel zu empfehlen. (…)

Für Verkehrsanlagen des motorisierten Individualverkehrs spiegelt die Qualitätsstufe D einen effizienten Ressourceneinsatz wider.
Sofern sich für Anlagen des Kfz-Verkehrs eine QSV besser als D ergibt, sollte nachgewiesen werden, dass keine umweltfreundlichere Variante für die zu Grunde liegende Straßenkategorie vorhanden ist, für die eine QSV von D erreichbar ist. Eine QSV von E oder F kann im motorisierten Individualverkehr im Rahmen einer Gesamtabwägung mit der Zielsetzung der Senkung der THG-Emissionen und des Endenergieverbrauchs vorrübergehend in Kauf genommen werden, wenn mittelfristig ein Rückgang der KfzNachfrage und damit der Bemessungsverkehrsstärken z. B. aufgrund geplanter Verbesserungsmaßnahmen im ÖV, Rad- und Fußverkehr erwartet werden kann (Kombination aus Push- und Pull-Maßnahmen). Eine QSV von E oder F ist außerdem an Stellen vertretbar, an denen Fahrtzeitverlängerungen verkehrspolitisch akzeptabel oder erwünscht sind, z. B. bei Zufahrten in Innenstädte oder bei der Einrichtung eines Bussonderfahrstreifens. (…)

Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) (Stand 23.08.2022)

Die Belange des ÖV, Rad- und Fußverkehrs sind generell gegenüber den Belangen des fließenden und ruhenden Kfz-Verkehrs zu priorisieren. (…)

Zur Erreichung von Klimaschutzzielen sollen für den Rad- und Fußverkehr durchgehend regelkonforme und möglichst attraktive Netze mit der zugehörigen Anbindung an Infrastruktur- und Kultureinrichtungen, Wohnen und Gewerbe angeboten werden.

In beengten Situationen und bei Flächenkonflikten sind auch einzelne Abschnitte (Orientierungslänge 50 bis 150 m) mit reduzierter Fahrbahnbreite zu bilden, um eine durchgehend regelkonforme und möglichst attraktive Infrastruktur für den Rad- und Fußverkehr anbieten zu können und um Geschwindigkeiten in Stadtstraßen zu reduzieren. (…)
Um objektive und subjektive Sicherheit und damit eine gesteigerte Nutzung von Rad- und Fußverkehrsanlagen zu gewährleisten, sind ausreichend breite Anlagen zur Verfügung zu stellen. Die in den RASt 06 angegebenen Regelmaße für Gehwege und Radverkehrsführungen sind als Mindestwerte anzusehen und diese Anlagen sind möglichst breiter zu wählen. Die in den RASt 06 angegebenen Klammerwerte für Radverkehrsanlagen sind nicht mehr anzuwenden.
(…)

Die Anlage von Parkständen im Straßenraum, die nicht für Menschen mit schwerer Gehbehinderung und Rollstuhlnutzende notwendig sind, soll möglichst gering- gehalten werden, um Flächen für Grünbereiche, für die Retention und/oder dezentrale Entwässerung mit Versickerung und/oder für andere umweltfreundliche Modi zu gewinnen und ein Aufheizen von Straßenräumen zu verringern. Die alternative Unterbringung von Parkständen in zusammenhängenden Parkflächen oder Parkbauten bietet sich auch zur effizienten Abwicklung von E-Ladevorgängen, Liefer- und Ladeverkehre sowie für Sharing-Angebote als Mobilitätshub/Mobilitätsstation an.

Zukünftig sollen autofreie/autoarme Stadtquartiere im Kontext mit guter Erschließung durch umweltfreundliche Modi entwickelt werden. (…)

Die RASt befinden sich in Überarbeitung. Die Steckbriefe zu den ERA, EFA, EAR und H BVA sind bei der Gestaltung von Stadtstraßen zum Erreichen von Klimaschutzzielen zusätzlich zu berücksichtigen.

Empfehlungen für Fußverkehrsanlagen (EFA) (Stand 23.08.2022)

Ziel und Aufgabe des Regelwerks
Wesentliches Ziel der Empfehlungen ist es den Anspruch, den zu Fuß Gehende an ihren Bewegungsraum haben, zu formulieren und so dem Fußverkehr eine gleichberechtigte Ebene für seine zeitlichen und räumlichen Bewegungsansprüche zu geben. Die Empfehlungen betreffen die Planung, den Entwurf und den Betrieb von Anlagen für den Fußverkehr sowie Hinweise zur Verbesserung der Bedingungen für den Fußverkehr. (…)

Ergänzende Anforderungen an die Anwendung der Empfehlungen zur Erreichung von Klimaschutzzielen

  • Durchgehende, attraktive Netze
  • Grün im Straßenraum
  • Aufenthaltsflächen
  • durchgehend barrierefreie Verkehrsanlagen
  • Mindestbreiten nicht unterschreiten
  • ausreichende und gut einsehbare Überquerungsanlagen
  • Sitzmöglichkeiten
  • Ausstattungen

Sonstige Anmerkungen
Die EFA befinden sich aktuell in der Überarbeitung. Die H BVA sind zu beachten. Insbesondere bei der Gestaltung von Fußverkehrsanlagen sollten die Möglichkeiten der Erweiterung der Anzahl an Bäumen im Straßenraum grundsätzlich mitgeprüft werden.

E Klima 2022)

Abschnitt 3: Fußverkehr

§ 12 Grundsätze

(1) Die Träger der Straßenbaulast wahren und stärken die Funktion von Gehwegen als geschützten Raum, gerade auch für besonders schutzbedürftige Verkehrsteilnehmende bei Planungen und Maßnahmen mit Auswirkungen auf Gehwege. 

(2) Ausreichend breite und zusammenhängende Gehwege leisten einen maßgeblichen Beitrag zur Verbesserung der Mobilität und zur Erhöhung der Sicherheit und der Aufenthaltsqualität des Fußverkehrs. Bei dem Neu-, Aus- und Umbau von Straßen sollen Gehwege bei der Straßenraumaufteilung und Straßenraumgestaltung besonders berücksichtigt werden.

(3) Zur Gewährleistung einer hohen Qualität und möglichst weitgehenden Barrierefreiheit und Sicherheit der Fußverkehrsinfrastruktur treiben die jeweiligen Träger der Straßenbaulast den Erhalt, die Sanierung und die Verbesserung der bestehenden Fußverkehrsinfrastruktur voran.

§ 13 Planung, Bau und Betrieb von  Fußverkehrsanlagen

(1) Für den Bau, Umbau und die Unterhaltung von Gehwegen gilt § 9 Absatz 2 Satz 2 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 1995 (GV. NRW. S. 1028, ber. 1996, S. 81, S. 141, S. 216, 
S. 335, ber. 2007, S. 327) in der jeweils geltenden Fassung, nach dem darauf zu achten ist, dass im Sinne der allgemeinen Mobilitätsteilhabe eine möglichst weitgehende Barrierefreiheit erreicht wird.

(2) Die Straßenverkehrsbehörden sollen die Belange des Fußverkehrs bei der Schaltung von Lichtsignalanlagen gegenüber den Belangen des Kraftfahrzeug- und Radverkehrs gleichberechtigt berücksichtigen.

(3) Bei dem Neu-, Aus- und Umbau von Straßen sollen Radverkehr und Fußverkehr innerhalb der Ortslagen grundsätzlich getrennt geführt werden. Eine Mitbenutzung von Gehwegen durch den Radverkehr soll aus Verkehrssicherheitsgründen nur nachrangig gegenüber anderen Führungsformen für den Radverkehr vorgesehen werden.

§ 14 Fußverkehrsnetze

(1) Die Träger der Straßenbaulast sollen innerhalb der Ortslagen durchgängige Fußverkehrsnetze schaffen, die den Fußverkehr grundsätzlich direkt, sicher, komfortabel und möglichst weitgehend barrierefrei führen. Im Rahmen bestehender oder künftig zu entwickelnder Mobilitätskonzepte soll dem Fußverkehr eine größere Bedeutung eingeräumt werden. Abweichungen von diesem Grundsatz sind gesondert zu begründen.

(2) Haupterschließungsachsen des Fußverkehrs sollen unter Berücksichtigung der Klassifizierung der Straßen und Wege grundsätzlich priorisiert geführt werden.

(3) Die Träger der Straßenbaulast sollen Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität innerhalb der Fußverkehrsnetze gewährleisten. Zur Vorbereitung können insbesondere Fußgängerverkehrsschauen der örtlich zuständigen Straßenverkehrsbehörden, Straßenbaulastträger und der Polizei, gegebenenfalls mit Beteiligung fachkundiger Personen und Personengruppen, oder Fußverkehrs-Checks durchgeführt werden. Das für Verkehr zuständige Ministerium stellt dazu Hilfestellungen und Fortbildungsangebote bereit.

(4) Auch für Querungen gilt § 9 Absatz 2 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie müssen grundsätzlich für den Fußverkehr nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik sicher, barrierefrei und so gestaltet sein, dass der Fußverkehr in einer angemessenen Zeit die andere Straßenseite erreicht. Fußgängerüberwege stellen neben Fußgängerlichtsignalanlagen eine besonders geeignete Form der Sicherung dar und dienen der Barrierefreiheit.

(5) Innerhalb der Fußverkehrsnetze soll der Weg zu wichtigen Alltags- und Freizeitzielen für den Fußverkehr grundsätzlich unter Zeit- oder Entfernungsangaben durch den jeweiligen Träger der Straßenbaulast beschildert werden. Diese Beschilderung wird von dem für Verkehr zuständigen Ministerium gefördert.

Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz NRW

Sonstige bauliche oder andere Anlagen, öffentliche Wege, Plätze und Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel im öffentlichen Personenverkehr sind nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften des Bundes barrierefrei zu gestalten.

Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG)
§ 8 Herstellung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr

Artikel 9
Zugänglichkeit

(1) Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle
Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete
Maßnahmen mit dem Ziel, für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten
Zugang zur physischen Umwelt
, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation,
einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, sowie
zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und
ländlichen Gebieten offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten.
Diese Maßnahmen, welche die Feststellung und Beseitigung von Zugangshindernissen und
-barrieren einschließen, gelten unter anderem für
a) Gebäude, Straßen, Transportmittel sowie andere Einrichtungen in Gebäuden und
im Freien, einschließlich Schulen, Wohnhäusern, medizinischer Einrichtungen und
Arbeitsstätten; (…)

Artikel 20
Persönliche Mobilität

Die Vertragsstaaten treffen wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen
persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen, indem sie unter
anderem
a) die persönliche Mobilität von Menschen mit Behinderungen in der Art und Weise und zum
Zeitpunkt ihrer Wahl
und zu erschwinglichen Kosten erleichtern; (…)

UN-Behindertenrechtskonvention

3.1 Die Datenlage zum Fußverkehr ist unzureichend
Der Fußverkehr wird bislang in Statistiken nur teilweise erfasst und deshalb nicht angemessen berücksichtigt. Im Rahmen von repräsentativen Verkehrserhebungen („Mobilität in Deutschland – MiD“ und „Mobilität in Städten – SrV“) werden Wege nach dem Prinzip des „hauptsächlich genutzten Verkehrsmittels“ erhoben. Fußwege zu und von Haltestellen werden nach diesem Konzept zwar zum Teil ermittelt, aber nicht entsprechend ausgewertet (Ahrens 2014, S. 13 f.). Würden diese Etappen vollständig berücksichtigt, stiege der Fußweganteil nach Berechnungen von Brög (2017) um das Doppelte. Dies gilt insbesondere in Städten mit hoher ÖPNV-Nutzung (siehe auch Tabelle 1). Auch in den Kommunen wird die alltägliche Bedeutung des Fußverkehrs bislang selten erfasst und dokumentiert. Ein systematisches Monitoring findet kaum statt. Verbesserungsbedarf ist auch bei der Unfallstatistik anzumelden. Fußverkehrsunfälle werden nur in Konflikt mit anderen Verkehrsteilnehmern erhoben, nicht jedoch Alleinunfälle, die beispielsweise auf beschädigte Fußwege oder Hindernisse auf dem Gehweg zurückzuführen sind.

3.2 Viele Stadträume sind für das Zufußgehen unattraktiv
Städtebauliche Leitbilder der vergangenen Jahrzehnte – wie insbesondere die autogerechte Stadt – haben den Fußverkehr im Straßenbild weitgehend als Restgröße an den Rand gedrängt. Die Konzentra- tion auf den Kraftfahrzeugverkehr hat den Straßenraum und weitere öffentliche Räume quasi von Menschen entleert. Wo Zufußgehen unattraktiv ist, wird mehr gefahren. So entsteht ein Teufelskreis, der zu immer mehr Kfz-Verkehr führt (Gehl 2015). Auch wenn sich die städtebaulichen Leitbilder spätestens mit der Leipzig Charta aus dem Jahr 2007 geändert haben und die Richtlinien zum Straßenbau entsprechend verändert wurden (s. RASt06), sind die überdimensionierten Verkehrsschneisen in vielen Städten weiterhin dominant. Ein Rückbau der Straßen und öffentlichen Räume ist nur mit erheblichem Aufwand machbar. Darüber hinaus führen Konzentrationsprozesse im Lebensmitteleinzelhandel, Standortverlagerungen aus den Zentren an die Ausfallstraßen und der wachsende Online-Handel insbesondere in Klein- und Mittelstädten zu einem Funktionsverlust der Innenstädte und damit zu einer schlechteren Nahversorgung. Ein weiteres Problem besonders der Klein- und Mittelstädte sind die geteilten Zuständigkeiten für Fahrbahnen und Gehwege an Bundes- und Landstraßen. Sie machen es den Kommunen schwer, Geh- und Radwege sowie die Fahrbahn in einem funktionalen Zusammenhang zu planen und Mindeststandards der Gehweginfrastruktur umzusetzen.

3.3 In vielen Städten ist eine barrierefreie Mobilität noch Zukunftsmusik
Spätestens mit Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 sind Kommunen verpflichtet, Barrierefreiheit auf Straßen und Wegen sicherzustellen. Doch viele Städte und Gemeinden stehen in diesem Prozess noch am Anfang. Planungsaufwand und eng begrenzte personelle und finan- zielle Ressourcen lassen in der Regel nur eine schrittweise Umsetzung zu. Häufig werden barrierefreie Zugänge nur punktuell an Haltestellen oder öffentlichen Gebäuden umgesetzt, die Barrierefreiheit kompletter Wegeketten ist selten (Bayerisches Staatsministerium 2015, S. 8 ff.). Darüber hinaus ist die Umsetzung der Barrierefreiheit in der Praxis immer ein Abwägen zwischen Zielkonflikten (z.B. Denk- malschutz, Flächenbedarf, Kosten). Auch die verschiedenen Einschränkungen der Betroffenen – die motorisch, sensorisch oder kognitiv sein können – führen zu Widersprüchen (FGSV 2011) und er- schweren die Realisierung.

3.4 Zufußgehende sind in Städten besonders gefährdet
Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 537 zu Fuß gehende Menschen im Verkehr getötet, was über 15 % der 3.459 Gesamt-Verkehrstoten entspricht (DVR 2016). 95,5 % aller im Straßenverkehr verletz- ten Fußgängerinnen und Fußgänger verunglückten 2015 innerorts (siehe Abbildung 8). Von den ins- gesamt 1.048 Todesopfern innerhalb von Ortschaften waren Zufußgehende mit 36 % (377 Tote) die größte Gruppe. Besonders gefährdet sind ältere Menschen, Kinder und Jugendliche. Mehr als die Hälfte der Todesopfer waren über 65 Jahre alt (Statistisches Bundesamt 2016a, S. 13 f.). Das Risiko in den Wintermonaten ist besonders hoch (Statistisches Bundesamt 2016a), da hier die Sichtverhältnisse schlecht sind.

3.5 Fußverkehr wird im Vergleich zum Autoverkehr vernachlässigt
Streng genommen sieht das deutsche Straßenverkehrsrecht (StVO) keine explizite Bevorzugung eines Verkehrsmittels vor und fordert die gegenseitige Rücksicht aller ein (§ 1 (1) StVO). Dennoch hat – ins- besondere durch § 25 (3) StVO – die „Flüssigkeit des Verkehrs“ Vorrang: „Wer zu Fuß geht, hat Fahr- bahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrbahn zu überschreiten.“ Wo Überwege vorhanden sind, müssen sie benutzt werden. Zufußgehende sollen also den fließenden Verkehr möglichst wenig behindern, es sei denn, ihre eigene Verkehrssicherheit ist ge- fährdet (VwV-StVO §§ 39-43)4 . Qualitative Standards für Anlagen des Fußverkehrs werden zwar in nachgeordneten Regelwerken (RASt 2006, EFA 2002, RiLSA 2015, R-FGÜ 84 2001) und Empfehlungen (HBVA 2011) aufgegriffen. Sie sind jedoch nicht verbindlich und darüber hinaus nicht widerspruchsfrei. In den aktuell laufenden Überarbeitungen müssen sie harmonisiert und besser aufeinander abgestimmt werden. Auch beinhal- ten sie teilweise selbst Hemmnisse für Verbesserungen der Fußverkehrsbedingungen. Dazu gehört z.B. der Nachweis von Mindestquerungszahlen für die Anlage eines neuen Zebrastreifens. Die Mindestquerungszahlen wurden daher in Ländererlassen einiger Bundesländer angepasst, ihre Einsatzgren- zen werden aktuell von der BASt geprüft (EFA, S. 22; R-FGÜ, S. 37). Zufußgehen ist vielfach mit Umwegen, Wartezeiten, Lärm- und Abgasbelastungen verbunden und in vielen Städten schlichtweg zeitraubend und umständlich. Fußwegeanteile gehen u. a. auch deshalb seit vielen Jahren stetig zurück. Nachfolgend eine Übersicht, über die Mängel, welche den Fußverkehr unattraktiv machen.

(…)

3.8 Der Fußverkehr wird von Entscheidern und Entscheiderinnen nicht ernst genommen Fußverkehr ist in der Wahrnehmung vieler Verkehrsplaner wegen seiner geringen Distanzen und der damit verbundenen geringen Personenverkehrsleistung kein Verkehr im administrativen Sinn. Er wird deshalb häufig nur punktuell beispielsweise in Fußgängerzonen oder Querungen berücksichtigt. Syste- matische Defizitanalysen und Wegenetze sind bislang bundesweit Ausnahmen. Obwohl in den deutschen Kern- und Innenstädten rund 30 bis 40 % der Wege zu Fuß zurückgelegt werden, erfährt der Fußverkehr in Programmen und Konzepten von Bund, Länder und Kommunen keine systematische Planung und Förderung. Ein aktuelles Beispiel ist die BMUB-Initiative „Neues Zu- sammenleben in der Stadt“ von 2015, die insbesondere die Aufenthaltsqualität verbessern helfen will. Eine Verbesserung des Fußverkehrs kommt darin nicht vor, er ist stillschweigend bei Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs und beim Rückbau der autogerechten Stadt „mitgemeint“. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Analyse gesamtstädtischer Verkehrsentwicklungsplanungen. Eine systematische Analyse von Qualitäten und Defiziten, eine Prognose der zukünftigen Bedeutung des Fußverkehrs, eine Ausweisung von gesamtstädtischen oder stadtteilbezogenen Fußverkehrsnet- zen oder konkrete Maßnahmen sind seltene Ausnahmen (Gertz und Polzin 2009, S. 769 ff.). Erst zag- haft gewinnt in jüngster Zeit der Fußverkehr mehr Gewicht. Positive Beispiele dafür sind z.B. die Ver- kehrsentwicklungsplanungen von Bremen, Kassel oder Hannover. Der Bund sollte diese Ansätze stär- ker stützen und fördern. Eine Ursache für fehlende Aufmerksamkeit kann darin liegen, dass sich mit dem Fußverkehr keine di- rekten wirtschaftlichen Interessen vergleichbar der Automobilindustrie oder teilweise auch der Fahr- radindustrie verknüpfen. Lobbyvereine wie beispielsweise der FUSS e.V., eine Interessenvertretung von Fußgängerinnen und Fußgängern in Deutschland, haben es schwer, ihren Einfluss geltend zu ma- chen. Fußverkehr wird allenfalls im Kontext gesellschaftlicher Teilgruppen (Kinder, Alte, Arme, Frauen, Menschen mit Behinderung) diskutiert. In vielen Bundesländern sind mittlerweile Arbeitsgemeinschaften fahrradfreundlicher Kommunen aktiv, die sich auch für den Fußverkehr stark machen. Mit gutem Beispiel geht Nordrhein-Westfalen voran, wo sich die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Kreise und Gemeinden explizit auch um Fußverkehr und Nahmobilität kümmert.

Geht doch!
Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie
Umweltbundesamt, Oktober 2018

Und – noch Fragen zum Ermessensspielraum bei der Entscheidung ordentlicher Gehweg vs. Pkw-Parkplatz? Wieviel Platz geben wir unseren Fußgängern? Mindestmaß (2,20 – 2,50 Meter) oder Pkw-freundliche 1,20 – 1,50 Meter? Mal sehen, wie sich grüne, soziale, christliche und demokratische Politik entscheidet…