Nach mehr als einem Jahr ist nochmal Zeit zum Nachfragen. Da hat sich doch bestimmt inzwischen etwas getan, oder? Ein (weiteres) Schreiben an Landrat Wolgang Spelthahn (CDU):
Sehr geehrter Herr Spelthahn,
bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 4. Juli 2020 (Aktenzeichen: 13.05.01, siehe Anhang) möchte ich noch einmal nachfragen, ob es inzwischen einen neuen Sachstand bezüglich der Kontrollen von Mindestabständen beim Überholen von Fahrradfahrenden gibt.
Haben die „Überlegungen zur Erstellung eines Überwachungskonzepts mittels Videoüberwachung für derartige Verstöße“ zu einem Ergebnis geführt? Gibt es öffentlich zugängliche Erkenntnisse der Unfallkommission, die sich mit dem Thema beschäftigen?
Ich möchte auf folgende Punkte hinweisen, um die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Überwachungsmaßnahmen zu verdeutlichen:
1. Die Anzahl der Verstöße: Diese ist zwar (aus Gründen der Nicht-Überwachung) eine statistische Blackbox. Dies allein sollte eigentlich schon Grund genug sein, sich dem Thema praktisch anzunehmen, um überhaupt ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Jede/r Radfahrende in Düren weiß jedoch aus leidvoller täglicher Erfahrung, dass die Missachtung des Sicherheitsabstands regelmäßig praktiziert wird. Dies belegen auch (nicht rechtssichere) Messungen in diversen deutschen Städten, in denen entsprechende Praxis-Projekte laufen. Neue Regeln scheinen sich offensichtlich nicht von ganz alleine durchzusetzen und auch die „Öffentlichkeits-Kampagne“ der Stadt Düren hat aus Radfahrendensicht leider nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Sie verweisen in Ihrem Schreiben ebenfalls auf die „kaum wahrnehmbare“ Pressearbeit. Es wird offensichtlich nach wie vor viel zu oft viel zu eng überholt.
2. Leider haben wir Radfahrende (besser: „als Radfahrende“, denn viele sind ja – wie ich selbst – gleichzeitig auch Autofahrende) keine realistische Möglichkeit die Verstöße, die uns und unsere Kinder tagtäglich gefährden und die nicht von polizeilicher Seite geahndet werden, zielführend selbst zur Anzeige zu bringen. Sie weisen ausdrücklich auf die Fallstricke des Datenschutzes bezüglich der privaten Anfertigung von bildlichen Beweisaufnahmen hin und raten explizit davon ab. Dass sowohl den Behörden als auch den Betroffenen keine Möglichkeit gegeben sein soll, derart häufige und gefährliche Verstöße effektiv anzuzeigen und zu ahnden, ist meines Erachtens inakzeptabel. Ich vermisse an dieser Stelle die von Ihnen beschriebene besondere Bedeutung des Radverkehrs in Zeiten einer Mobilitätswende – den sogenannten „Paradigmenwechsel“.
3. Dies alles führt in der Konsequenz inzwischen sogar dazu, dass Eltern ihre Kinder auf erheblichen Umwegen mit dem Rad zur Schule schicken (bzw. sich die KInder das selbst „wünschen“), da sie sie nicht guten Gewissens auf den direktesten und schnellsten Strecken fahren lassen können. Dies ist aus meiner Sicht in einer „Stadt der kurzen Wege“, einer Schulstadt mit vielen Behinderteneinrichtungen, die in wenigen Jahren (wie der Kreis) offiziell „fahrradfreundlich“ sein möchte, nicht tragbar. Außerdem ist seit Einführung der neuen Regeln (gefühlt&beobachtet) auch keine Tendenz der Besserung erkennbar.
Aufgrund der Vielzahl und Regelmäßigkeit der Verstöße, aufgrund des hohen Gefährdungspotenzials, aufgrund der Unkenntnis der tatsächlichen Zahlen sowie der praktisch nicht vorhandenen Perspektive für heute und zukünftig Betroffene, sehe ich hier die polizeilichen Behörden in der Pflicht dringend und zielführend zu handeln. Wir sollten aus meiner Sicht nicht erst warten, bis es zu einem folgenschweren Unfall kommt, sondern möglichst schnell präventiv handeln, damit es eben nicht zu einem solchen kommt. Denn das ist unter den vorliegenden Umständen aus meiner Praxis-Sicht als Radpendler eigentlich nur eine Frage der Zeit.
Ich weise an dieser Stelle auf die unzähligen und nicht erfassten Beinahe-Unfälle hin, die niemals zur Anzeige bzw. zur Kenntnis der Behörden gelangen, die jedoch tagtäglich stattfinden und mit Sicherheit nicht dazu führen, die Ziele des Modal Shift zu erreichen, da sie dem Sicherheitsbedürfnis gerade unerfahrener (zukünftiger) Radfahrer nicht gerecht werden. Unter diesen Voraussetzungen werden nicht viele Menschen ihr Auto stehen lassen, um sich stattdessen zum Wohle aller Anderen öfter mal auf´s Rad zu setzen.
Daran wird auch der Geschütze Radstreifen an der Veldener Straße nichts grundlegend ändern – zumal dessen Fertigstellung sich aufgrund der notwendigen Kanal-Sanierung verschiebt, eine spürbare Wirkung also noch viele Monate auf sich warten lassen wird. Die Sommerferien enden aber bereits in ein paar Wochen… Für Birkesdorfer Kinder, die eine weiterführende Schule in der Innenstadt besuchen und ihr Fahrrad nutzen wollen, bleiben also bis auf unabsehbare Zeit die Optionen: Sich von Engüberholenden gefährden lassen, illegal auf (vermeintlich) sichere Gehwege ausweichen oder entsprechende Umwege in Kauf nehmen. Ist das der Standard, mit dem wir uns zufrieden geben wollen?
Ausführlich weisen Sie auf die rechtlichen Probleme bei den Möglichkeiten der Verkehrsüberwachungstechnik hin und verweisen auf nicht vorhandene Voraussetzungen für eine Eichung der entsprechenden Geräte. (Die nicht mehr StVO-konforme Beschilderung ist vermutlich zwischenzeitlich behoben worden.)
Beziehen Sie sich hierbei auf Messgeräte, die die Überholabstände eigenständig messen? (OpenBikeSensor etc.) Gibt es diesbezüglich einen neuen Sachstand?
Die Polizeibehörden anderer Städte weltweit und in unmittelbarer Nachbarschaft haben anscheinend mit ähnlichen Eich-Problemen zu kämpfen und gehen nun teilweise einen, wie ich meine, sehr einfallsreichen, simplen sowie leicht und kostengünstig umzusetzenden Weg, auf den ich hier gerne hinweisen möchte.
Denn ein ganz aktuelles Best-Practice-Beispiel aus Hannover zeigt, dass es offensichtlich möglich ist, Sicherheitsabstände ohne großen technischen Aufwand, aber rechtssicher durchzuführen. Ich meine sogar, solche Kontrollen (in Hannover im ersten Schritt noch ohne Sanktionen – nur als verkehrspädagogische Maßnahme) würden sich bereits sehr lohnen, wenn sie nicht zu rechtssicheren Bußgeldandrohungen führten, sondern „nur“ zur „Bewusstseinsbildung“ beitragen würden.
Zitat: „Im Vorfeld der Kontrollen markierten die Beamten zur beweissicheren Dokumentation mit Sprühkreide die Fahrbahn sowie den Schutzstreifen für den Radverkehr…“ (siehe hier und hier). Man beachte die Anzahl der gemessenen Verstöße. Und man beachte den sehr überschaubaren (technischen & personellen) Aufwand für die Kontrollen: Ein Zollstock oder eine Schablone, etwas Sprühreide und eine Kamera. Viel mehr scheinen die BeamtInnen in Hannover für eine beweissichere Dokumentation nicht zu benötigen.
Quelle der Fotos: Polizeidirektion Hannover – siehe nochmal hier und hier.
Meine Frage: Ist das nicht auch in Düren möglich? Gibt es Kontakte zu den Hannoveraner KollegInnen, einen Austausch über deren Erfahrungen? Oder sogar schon konkrete Pläne für regelmäßige Kontrollen?
Ich muss leider auch feststellen, dass sich eine erhebliche Anzahl Motorisierter außerdem nicht an die neuen Regeln bezüglich der Nutzung von Fahrradschutzstreifen hält. Es macht den Anschein, als ob die neuen Regeln (Befahren nur im Begegnungsfall erlaubt, Halten/Parken verboten.) vielen Autofahrenden noch gar nicht bekannt sind. Denn ich beobachte entsprechende Verstöße sogar noch häufiger als die Missachtung der Mindestabstände.
Auch hier besteht also augenscheinlich dringender Handlungsbedarf. Dies gilt umso mehr, da wir wissen, dass die Stadt Düren in den vergangenen Jahren massiv auf den (aus meiner Sicht kontraproduktiven) Ausbau von Schutzstreifen gesetzt hat.
Verschärfend zur Nicht-Kontrolle kommt aus meiner Sicht hinzu, dass die neuen Regeln nun schon einige Zeit in Kraft sind und leider versäumt wurde, diese rechtzeitig durch entsprechende Kontrollen und Öffentlichkeitsarbeit verkehrspädagogisch „zu begleiten“ bzw. „einzuführen“. Umso dringender und wichtiger, dass hier endlich gehandelt wird. Sonst etablieren sich die regelmäßigen Verstöße nur noch mehr und es wird zukünftig nur noch schwieriger, dem Problem zu begegnen. Ein ähnliches Phänomen wie bei den nicht ausreichend kontrollierten Falschparkenden…
Da ich mit dieser Email nicht nur Sie als Zuständigen für die Kreispolizeibehörde anspreche, sondern wahrscheinlich auch städtische Zuständigkeiten streife, sende ich diese Email in Kopie an Bürgermeister Frank Peter Ullrich, die Vorsitzenden der Mobilitätsausschüsse Stadt/Kreis sowie die Bürgerinitiative ProRad Düren. Da es sich um ein öffentliches Anliegen handelt und der Datenschutz nicht berührt wird, bin ich so frei, diese Email und Ihre Antwort in meinem privaten Blog zu veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen…
Update 1. August 2021:
Danke an Die Grünen Ortsverband Düren – beziehungsweise an Georg Schmitz, den Vorsitzenden des städtischen Mobiltäts- und Klimaschutzausschusses. Denn dieser antwortete direkt am 28. Juli auf meine Email:
Ich teile die Einschätzung, dass der mangelhafte Überholabstand ein großes Problem ist und dass da dringend mehr passieren muss.
Mail von Georg Schmitz, 28.7.2021
Auch wenn es objektiv kaum aufgezeichnete Unfälle geben mag, so ist das Problem der gefühlten Unsicherheit riesengroß. Das erlebe ich auch fast täglich.
Ich würde deshalb auch darum bitten, dass die Kreispolizeibehörde Abstandskontrollen im Rahmen der derzeitigen technischen Möglichkeiten (Hannoveraner Modell) durchführt.
Außerdem bitte ich den Kreis, das Thema in der Veröffentlichung Kreisrund aufzugreifen und alle Beteiligten, die Öffentlichkeitsarbeit noch zu verstärken.
Leider musste ich zwei Tage später in der Zeitung lesen:
LKW kollidiert mit Radfahrer
LKW kollidiert mit Radfahrer
(…) Nach Angaben der Polizei ereignete sich der Unfall am Freitagmorgen am Platz der Deutschen Einheit in Düren. Laut der Dürener Beamten fuhren der Lkw und der Radfahrer an einer grünen Ampel nebeneinander los. Dabei sei der Radfahrer schneller gewesen. Aus bisher ungeklärten Gründen streifte der Lkw den Fahrradfahrer daraufhin, so dass dieser zu Boden ging. Der genaue Unfallhergang müsse aber noch geprüft werden, hieß es.
Dürener Zeitung, 30. Juli 2021
…immer noch nicht Grund genug, sich mal um die Sicherheitsabstände zu kümmern?
Update 3. August 2021
ProRad Düren unterstützt meinen kleinen privaten Alleingang und hat mein Schreiben heute an das „Team Nachhaltige Mobilität“ der Stadt Düren sowie den städtischen Fahrradbeauftragten weitergeleitet. Danke @ProRad!
Update 4. August 2021:
POL-DN: Radfahrer bei Unfall verletzt
Presseportal Polizei Düren
Beim Überholen fuhr eine Autofahrerin gestern in Birkesdorf auf ein Fahrrad auf und brachte dessen Fahrer so zu Fall. (…)
Nach der Ampel an der Einmündung zur Straße „Weidenpesch“ habe sie plötzlich einen Knall gehört, den sie nicht habe zuordnen können. Erst winkende Passanten brachten sie dazu, anzuhalten. Die Frau hatte nicht bemerkt, dass sie beim Überholen eines Radfahrers einen Unfall verursacht hatte, bei dem dieser gestürzt war. Zeugenaussagen berichten, dass die 77-Jährige gegen das Hinterrad des 22-Jährigen stieß, als sie an ihm vorbei fuhr. Dadurch wurde dieser zunächst auf die Motorhaube der Frau aufgeladen, stürzte dann und prallte gegen ein geparktes Fahrzeug.
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