Das war´s! Keine Kontrollen mehr. Abstandsverstöße werden wieder toleriert.
Die Polizei hat die Kontrollen des Überholabstands schon wieder beendet, bevor sie damit überhaupt angefangen hat. Nach genau einer einzigen Messaktion am 11. Juli auf der Rütger-von-Scheven-Straße ist schon wieder Schluss mit den Kontrollen. Auto- und Lkw-Fahrer dürfen also wieder/weiter nach Lust und Laune mit wenigen Zentimetern an Kindern, Jugendlichen und allen anderen Radfahrern vorbei rasen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Dabei hatte die Polizei am 10. Juli in einer Pressemitteilung noch vollmündig davon gesprochen, dass es jetzt erst so richtig losgehen solle mit den Abstandskontrollen:
(…) Ziel der Aktion ist es, die Zahl der Unfälle mit Radfahrenden zu reduzieren und Verkehrsteilnehmende für gegenseitige Rücksichtnahme zu sensibilisieren. Prävention steht bei der gemeinsamen Aktion von Stadt und Polizei Düren im Vordergrund.
Daher wird der Verkehrsdienst der Polizei Düren im Rahmen seiner Kontrollen in den ersten Tagen der Aktion im Falle eines Verstoßes ohne Gefährdung oder Unfall mündliche Verwarnungen aussprechen und mit den Betroffenen das Gespräch zur Sensibilisierung suchen.
Zukünftig sind regelmäßige Kontrollen an verschiedenen Standorten geplant, bei denen der Fokus auf der Einhaltung des Seitenabstands liegt. Festgestellte Verstöße werden dann im weiteren Verlauf auch sanktioniert. (…)
Pressemitteilung Stadt Düren, 10.07.2024
Nicht-Information
Eine Pressemitteilung darüber, dass die Kontrollen noch am selben Tag wieder eingestellt wurden, gab es selbstverständlich nicht. Offenbar sah auch die Stadt Düren keinen Anlass, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass die Kontrollen nur eine Eintagsfliege waren. Offenbar setzt man darauf, nur den Anschein zu erwecken und darauf, dass sich eh niemand dafür interessiert.
Allerdings hat die ADFC-Ortsgruppe zwei Monate nach der Aktion auf der Rütger-von-Scheven-Straße mal nachgefragt, um die Ergebnisse der bisherigen Kontrollen zu erfahren. Man hatte sich schon gewundert, weshalb von den angekündigten Kontrollen auf der Aachener Straße usw. gar nichts zu sehen war. Nun ist klar:
Unfallkommission und Stadt setzen auf mehr Unfälle und Unsicherheit statt auf mehr Prävention und Verkehrssicherheit!
Bei der ADFC-Nachfrage kam heraus, dass die Unfallkommission der Stadt, die noch am gleichen Tag zusammentrat, entschieden hat, keine weiteren Kontrollen durchzuführen. Der Grund: Die Bezirksregierung, die ebenfalls vertreten war, meldete „Bedenken“ hinsichtlich der Kontrollen an. Die aufgebrachten Markierungen könnten vielleicht rechtlich nicht zulässig sein, hieß es. Daraufhin habe die Stadt Düren die Polizei gebeten, nicht mehr zu kontrollieren, bis Rechtssicherheit hergestellt ist. Gesagt, getan! Jegliches Denken an Präventionsarbeit & Verkehrssicherheitserhöhung waren damit wieder vom Tisch…
Wo ist eigentlich das Problem?
Welche ach so schweren Bedenken die Bezirksregierung genau hat, geht aus der Antwort der Polizei auf die Anfrage der ADFC-Ortsgruppe nicht hervor. Die Stadt scheint auf jeden Fall überzeugt worden zu sein. Darf die Polizei in Düren etwa keine weißen Streifen auf die Fahrbahn sprühen, um Verkehrsverstöße zu kontrollieren? Oder befürchtet die Bezirksregierung, dass die Beweisfotos oder -videos nicht als „rechtssicher“ gelten könnten, wenn es um die Verteilung von Bußgeldern geht?
Keine echten Gründe für Stopp der Kontrollen vorhanden
Angesichts der Tatsache, dass bspw. in Hannover bereits seit 2021 entsprechende Kontrollen durchgeführt werden, mutet die Antwort etwas seltsam an. Wieso sollte in Düren nicht möglich sein, was in anderen Städten seit Jahren praktiziert wird? Welche Bedenken hat die Bezirksregierung Köln, die die Bezirksregierung Hannover offensichtlich nicht hat?
Siehe hier mit Bildern und hier. Im Mai 2023 wurden die Sprühkreide-Streifen in Hannover sogar durch permanente Markierungen ersetzt. Eine grundsätzliche Rechtswidrigkeit von Markierungen, die von der Polizei zur Kontrolle von Verkehrsverstößen aufgetragen werden, scheint also schon mal nicht vorzuliegen. Da in Hannover Bußgelder anscheinend schon seit Jahren verhängt werden, darf man auch das Argument, dass die bei den Kontrollen gesammelten Beweisfotos und -videos vielleicht nicht zulässig seien, in Frage stellen. Oder gelten in Hannover andere Regeln als bei uns?
Dass es sich beim angeblichen Argument der „Rachtsunsicherheit“ wohl eher um ein vorgeschobenes Argument handelt, wird aber nicht nur durch die Kontrollen in Hannover und anderswo klar. Denn glaubt man der Pressemitteilung vom 10. Juli, müsste man annehmen, dass es ja gar nicht ums Knöllchen-Verteilen geht, sondern vornehmlich um eine verkehrspädagagogische Maßnahme, die zukünftige Unfälle vermeiden soll.
„Prävention steht bei der gemeinsamen Aktion von Stadt und Polizei Düren im Vordergrund.“
Wären Stadt und Polizei tatsächlich an der Prävention von Abstandsverstößen interessiert, hätten die Kontrollen nämlich gar nicht eingestellt werden müssen. Man hätte einfach auf Bußgelder statt auf Kontrollen verzichten können, um (vielleicht sogar intensiviert) mit den mündlichen Verwarnungen und den Gesprächen zur Sensibilisierung fortzufahren. Ganz ohne jegliches Problem mit irgendwelchen diffus-imaginären Bedenken um die Zulässigkeit von Streifen auf der Fahrbahn. Dagegen hätte bestimmt auch die Bezirksregierung, keine Einwände gehabt.
Man hätte die rechtlichen Bedenken der Bezirksregierung natürlich auch einfach ignorieren können, wenn es einem wirklich um Rechtssicherheit ginge. Warum es nicht einfach drauf ankommen lassen: Bußgelder verhängen und dann ggf. gerichtlich klären lassen, ob die vorgelegten Beweismittel tatsächlich rechtssicher sind oder nicht. Dies hätte wirklich zu Prävention, mehr Verkehrssicherheit, Bewusstseinsbildung und letztendlich auch zur notwendigen Rechtssicherheit beitragen können.
Die Hände in den Schoß zu legen, nichts zu machen und die Gefährdungen unkontrolliert tagtäglich passieren zu lassen, sind jedoch in niemandes Sinne. Außer im Sinne derer, die andere (gerne „schwächere“) Verkehrsteilnehmer gefährden.
Dass es bei dem Thema längst nicht nur um die ach so bevorzugten Radfahrer in Düren geht, zeigen weitere Polizei-Pressemitteilungen, die ein paar Tage nach dem abrupten Ende des Anfangs vom Kontrollieren veröffentlicht wurden:
Eine Schülerin aus Langerwehe befuhr gegen 15:40 Uhr mit einem E-Scooter die rechte Straßenseite der L13 in Richtung Geich. Ein nachfolgender PKW näherte sich dem Mädchen so dicht, dass er sie mit dem rechten Außenspiegel am linken Arm berührte. Durch den Schock verlor die Schülerin die Kontrolle über den Lenker, stürzte und fiel mit dem Bauch auf den Lenker des E-Scooters. Dabei zog sie sich leichte Verletzungen zu, die im Krankenhaus ambulant behandelt wurden. Der beteiligte Autofahrer setzte seine Fahrt fort, ohne anzuhalten. Pressemeldung Polizei Düren, 19.09.2024
Am gestrigen Mittwoch (18.09.2024) fuhr ein Pkw-Fahrer auf der Marienstraße in die geöffnete Tür eines parkenden Autos, Glassplitter verletzten eine Frau und ein Kind. Der Fahrer flüchtete, die Polizei konnte ihn ermitteln. Pressemeldung Polizei Düren, 19.09.2024
Wir könnten auch an den „Unfallschwerpunkt“ Rheinstraße denken: Die hier festgestellten „Unfälle“ wurden fast ausschließlich von Autofahrern verursacht, die ständig ganz ohne Fremdbeteiligung gegen die Sicherheits-Inselchen gefahren sind.
Bedauerliche Einzelfälle
Dass zu geringer Abstand offiziell auf Platz 3 der häufigsten Fehlverhalten bei Unfällen mit Personenschäden rangiert, spielt für die Unfallkommission offensichtlich keine Rolle. Quelle folgender Screenshots: Statistisches Bundesamt.
Präventiv gesehen sollte man das ignorieren. Und da in der Unfallkommission (die ADFC-Ortsgruppe wird dort nicht reingelassen) mutmaßlich fast nur (männliche) Autofahrer (also potenzielle Abstands-Unterschreiter) sitzen und entscheiden, ist die Entscheidung zum Nicht-Handeln natürlich auch gut nachvollziehbar. Man muss das ja auch immer in Relation setzen: Mutmaßlicher Zeitverlust für Autofahrer vs. Lebensgefahr für Radfahrer. Noch Fragen…?
Verarschung oder echtes Unvermögen?
Am 28.04.2020 ist die Novelle der Straßenverkehrsordnung in Kraft getreten. Damit wurden die Abstandsregeln zum „gesetzlichen Standard“. Und heute, mehr als vier Jahre später, wird uns immer noch erzählt, es sei nicht möglich, Abstände „rechtssicher“ zu messen? Ich dachte, wir wären das Land der Ingenieure (meinetwegen auch) Dichter und Denker. Das Land der Technologieoffenheit, der Innovations- und Digitalisierungs-Profis… LOL!
Können wir´s wirklich nicht oder wollen wir´s eigentlich gar nicht?
OBS – Der Horror jedes Eichamtes
Da es den Behörden und der sogenannten Verkehrspolitik auch nach Jahren intensivster Beschäftigung mit dem Thema nicht gelungen ist, eine vernünftige Mess-Methode auf die Beine zu stellen, muss wohl mal wieder die Zivilgesellschaft (Abteilung Forschung, Entwicklung, Praxisnähe und gesunder Menschenverstand) nachhelfen. Ist schon irgendwie peinlich und bezeichnend.
#Motonormativity
Open Bike Sensor (OBS) nennt sich das Ding, mit dem weltweit Fahrrad-Aktive schon seit Jahren unterwegs sind, und zeigen, wie es funktionieren kann. Es handelt sich um ein kleines Ultraschall-Messgerät, das Abstände misst und die dazugehörigen Geodaten sammelt. Gibt´s als Bausatz samt Selbstbastel-Anleitung und wird in vielen Städten von Fahrrad-Aktiven in Workshops zusammengebaut.
Leute, denen es wirklich und wahrhaftig um Prävention, Unfallvermeidung und progressive Verkehrsentwicklung geht, müssten sich allein schon nach den OBS-Daten die Finger lecken. Was für ein Fundus für Verkehrspolitik und Verkehrsplanung! Aber offensichtlich bei uns kein Thema…
Fazit
Die Entscheidung der Unfallkommission, die Abstandskontrollen sofort zu stoppen, nachdem sie noch nicht mal richtig begonnen haben, ist nicht nur hinsichtlich der angeblichen Undurchführbarkeit eine Farce. Sie führt darüber hinaus genau zum Gegenteil dessen, was (angeblich) erreicht werden soll.
Abwarten zu wollen, nur um (angebliche) Rechtsunsicherheiten auszuschließen, ist de facto eine bewusste Verkehrsgefährdung und nur eine billige Ausrede dafür, weiter untätig bleiben zu dürfen! Wenn wirklicher Wille da wäre, gäbe es viele Möglichkeiten. Stattdessen wird jeder Strohhalm ergriffen, um das Nichts-Tuen und Weiter-so zu legitimieren. Mit Prävention hat das gar nichts zu tun.
Und jetzt? Nochmal vier, fünf, xyz Jahre warten, bis der Bürokratismus ein futuristisches Messinstrument ausgespuckt hat? Obwohl es den Behörden (angeblich) in den letzten viereinhalb Jahren nicht gelungen ist, entsprechende Kontrollmöglichkeiten zu schaffen, sollen wir also darauf warten und vertrauen, dass das bald klappt? Was sollte diese Hoffnung nähren? Etwa Kommunen mit „Vekehrspolitikern“ und Polizeien wie in Düren, die scheinbar die erstbeste Möglichkeit ergreifen, die es ihnen erlaubt, Kontrollen weiterhin nicht durchführen zu müssen? Für wie bescheuert hält man uns eigentlich?
Ich bin mal auf die Krokodilstränen und die sich total schockiert gebenden Worthülsen gespannt, die wir ertragen müssen, sobald es (wie damals auf der Aachener Straße) wieder jemanden so richtig erwischt.
Natürlich hoffe ich, dass das gar nicht erst passiert! Die Erfahrungen, die alle machen, die mit dem Rad in Düren unterwegs sind, und die offiziellen Statistiken sprechen jedoch leider dagegen. Dank der Ignoranz der Zuständigen ist es wohl eher nur eine Frage der Zeit…
Gedanke zum Schluss
Politiker, Planer und Polizei werfen ja immer gerne den Begriff „Unfallschwerpunkt“ in den Raum. Insbesondere dann, wenn es darum geht, Maßnahmen zu verhindern, die den Pkw-Verkehr auch nur im Geringsten irgendwie einschränken könnten. Kein Unfallschwerpunkt? Ist noch nicht genug passiert an der Stelle? Dann besteht auch kein Handlungsbedarf!
Wie verträgt sich diese Einstellung eigentlich mit dem angeblich im Vordergrund stehenden Präventionsgedanken?
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