Verbände und Verkehrsclubs wie der ADFC fordern schon lange eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sowie der Straßenverkehrsordnung (StVO). Nun liegt endlich ein Referentenentwurf vor – zumindest für das StVG. Die StVO-Novelle lässt weiter auf sich warten…
Da der Referentenentwurf diesmal offenbar nicht geleaked wurde, findet man ihn hier noch nicht, und wir müssen mit dem Vorlieb nehmen, was die sagen, die schon reingucken durften.
Die Stellungnahme der Deutschen Umwelthilfe ist die ausführlichste, die aufzufinden ist. Deshalb hier im Ganzen.
Straßenverkehrsgesetz: Deutsche Umwelthilfe kritisiert Referentenentwurf als Versuch der Festschreibung einer autofreundlichen Stadt
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert, dass der vorliegende Entwurf der Festlegung im Koalitionsver- trag nur vordergründig nachzukommen versucht, neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs auch die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung zu berücksichtigen sowie Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen. Bei einer detaillierten Betrachtung zeigt sich jedoch, dass von dieser Zielsetzung nicht viel übrig bleibt und die Möglichkeiten, die mit einer Reform des Straßenverkehrsgesetzes einhergehen, nicht ansatzweise genutzt werden. An zahlreichen Stellen bleibt der Entwurf nach Auffassung der DUH unzureichend und garantiert insbesondere nicht eine entsprechende Umsetzung der Reform auf Ebene der Straßenverkehrsordnung (StVO). Dies erläutern wir im Folgenden:
Schriftliche Stellungnahme der Deutschen Umwelthilfe zum Gesetzesentwurf einer StVG-Änderung, Deutsche Umwelthilfe (DUH), 16.06.2023
Weiterhin Nachrangigkeit von Umwelt-, Klima- und Gesundheitszielen
Die DUH sieht durch die vorgeschlagene Einführung des § 6 Abs. 4a keine Gleichrangigkeit der Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung neben den Zielen der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs gegeben, da die nach Satz 1 erlassenen Rechtsverordnungen und auf ihnen beruhenden Anordnungen neben den neuen Anordnungsgrundlagen stets die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigen „müssen“. Dies birgt die Gefahr, dass die neuen Ziele in der konkreten Anordnung weiterhin nachrangig gegenüber der Leichtigkeit des Verkehrs behandelt werden und steht im deutlichen Widerspruch zur Gesetzesbegründung, in der eine Gleichberechtigung der Ziele als Anspruch ausgegeben ist. Für eine tatsächliche und unmissverständliche Gleichrangigkeit fordert die DUH eine entsprechende Änderung des § 6 Abs. 1 Satz 1.
Über die Änderung im Straßenverkehrsgesetz hinaus bedarf es dringend einer grundlegenden Überarbeitung der StVO, insbesondere des § 45 StVO, der zentralen Vorschrift für straßenverkehrsrechtliche Anordnungen. In § 45 Absatz 9 StVO liegt ein wesentliches Hindernis einer angemessenen Berücksichtigung der neu in das StVG aufgenommenen Ziele, weshalb die aktuelle Regelung dringend aufgehoben oder reformiert werden muss. Eine zeitnahe und diesen Anforderungen genügende Reform der StVO ist angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat mehr als ungewiss, wodurch die Reform des StVG zu ei- nem Reinfall zu werden droht.
Wenn der Bundesregierung tatsächlich an einer wirksamen Reform des Straßenverkehrsrechts gelegen ist, bestünde die Möglichkeit dies im direkten Durchgriff des Gesetzgebers auf die StVO zu regeln. Laut einem aktuellen Rechtsgutachten „Verfassungsrechtliche und grundsätzliche Aspekte einer Reform des Straßenverkehrsrechts“ von Prof. Dr. Stefan Klinski im Auftrag des Umweltbundesamtes1 kann der Gesetzgeber dies ohne Zustimmung des Bundesrats tun:
„Rechtsetzungstechnisch kann eine Streichung oder Modifizierung des § 45 Absatz 9 StVO unmittelbar in das Änderungsgesetz für das StVG integriert werden, indem hierfür ein ergänzender zweiter Artikel des Änderungsgesetzes vorgesehen wird. Eine Zustimmungsbedürftigkeit im Bundesrat würde dadurch nicht begründet.“ (S.85)
Dies lässt sich analog auf zahlreiche andere Kritikpunkte an der StVO übertragen, insbesondere auf § 3 StVO, der es nach wie vor verhindert, dass die dringend notwendige Regelgeschwindigkeit Tempo 30 innerorts eingeführt wird.
Keine Verankerung der Vision Zero im StVG
Im Koalitionsvertrag der Ampel wird das Ziel der Vision Zero – keine Toten und Schwerverletzten im Stra- ßenverkehr – bekräftigt, was jedoch eine leere Worthülse bleibt und keinerlei Folgen nach sich zieht. Bei der Überarbeitung des StVG muss der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden eine übergeordnete Bedeutung vor der Leichtigkeit des Verkehrs beigemessen werden. Die Deutsche Umwelthilfe fordert deshalb weiterhin, dass die „Vision Zero“ – keine Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr – als Leitidee in § 1 StVG verankert wird.
Keine ausreichenden Möglichkeiten zur Beeinflussung des ruhenden Kfz-Verkehrs
Die Deutsche Umwelthilfe begrüßt jede Vereinfachung zur Einführung eines Parkraummanagements, da die Instrumente der Parkraumbewirtschaftung nachweislich den Parkdruck und den Parksuchverkehr senken, die Verfügbarkeit von öffentlichem Raum erhöhen und Dauerparkende auf besser geeignete, bestenfalls private Stellplätze lenken. Eine Ausweitung, Vereinfachung und Digitalisierung der Parkraumbewirtschaftung ist daher für den Kfz-Verkehr ebenso vorteilhaft wie für den Fuß- und Radverkehr. Die Anwendung von Instrumenten der Parkraumbewirtschaftung muss daher generell erleichtert und ohne aufwändige Nachweispflichten ermöglicht werden. Insbesondere muss es Kommunen ermöglicht werden, eine Parkraumbewirtschaftung auf Basis eines kommunalen Verkehrskonzepts flächendeckend oder immerhin großräumig anzuordnen. Eine Kennzeichnung sollte in Kombination mit dem Ortsschild für den gesamten Ort erfolgen können.
Diesem Anspruch wird der vorgelegte Entwurf jedoch mitnichten gerecht: Die aufwändige Nachweispflicht entfällt auch durch die vorgesehene Ergänzung in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nummer 15 Buchstaben b nicht. Durch den Zusatz: „[zugunsten der Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel] der nachweislich besteht oder aufgrund konkretisierter städtebaulich-verkehrsplanerischer Erwägungen zu erwarten ist“ ist auch zukünftig eine Machbarkeitsstudie notwendig, die in kommunalen Verwaltungen zu einem erheblichen und unnötigen Aufwand führt. Damit trägt diese Anpassung nicht im Ansatz zu einer Lösung der bestehenden Probleme bei.
Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung wird aktuell nicht nur durch die hohen Anordnungsvoraussetzungen und die dadurch gebundenen Personalkapazitäten beschränkt, sondern auch durch einen Mangel an Personal und Ressourcen zur Überwachung des ruhenden Verkehrs. Um eine großräumigere Parkraumüberwachung – und damit erst eine effektive Parkraumbewirtschaftung – zu ermöglichen, wird eine Regelung zum digitalen Parkraummanagement benötigt. Angesichts dessen begrüßt die Deutsche Umwelt- hilfe ausdrücklich, dass die Digitalisierung des Parkraummanagements und eine Öffnung für die digitale Parkraumkontrolle in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung aufgenommen wurden – vermisst jedoch nach wie vor jegliche Bewegung in dieser Frage.
Grundlage für die digitale Parkraumkontrolle mittels Scan-Cars ist die Digitalisierung der Parkberechtigungen, wofür der Bund die entsprechenden Vorgaben in der StVO ändern bzw. im StVG ergänzen muss. Diesbezüglich verweisen wir auf das Rechtsgutachten „Rechtliche Vorgaben einer Parkraumkontrolle im öffentlichen Raum mittels Scan-Fahrzeugen“ von Becker Büttner Held im Auftrag von Agora Verkehrswende.
Gebühren fürs Kurzzeitparken und Bewohnerparken
Dem vorliegenden Referentenentwurf fehlen trotz aktueller Gerichtsurteile und Forderungen aus zahlreichen Städten sämtliche Regelungen, damit alle Städte und Gemeinden in Deutschland angemessene und sozial verträgliche Parkgebühren erheben können. Hier muss der Gesetzgeber unbedingt nachbessern, um den Kommunen Rechtssicherheit zu geben und eine sozial gerechte Mobilitätswende zu ermöglichen. Denn wie ein aktuelles Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig (BVerwG 9 CN 2.22) zur Bewohnerparkgebührensatzung der Stadt Freiburg gezeigt hat, fehlt eine Rechtsgrundlage, damit Kommunen den Erlass von Anwohnerparkgebühren nach sozialen Zwecken staffeln können (§ 6a Abs. 5a StVG). Dieser Möglichkeit be- darf es also dringend.
Auch darüber hinaus enthält das StVG nach wie vor zahlreiche Hindernisse zur angemessenen Bepreisung öffentlichen Raums. Konkret fordert die DUH, dass es den Bundesländern nicht mehr erlaubt sein sollte, Höchstsätze fürs Kurzzeit-Parken (§ 6a Abs. 6 StVG) oder für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises (§ 6a Abs. 5a StVG) festzulegen. Im Gegenteil sollten im StVG Mindestgebühren für die Nutzung der knappen Ressource „öffentlicher Raum“ festgelegt werden: Ende des Jahres 2003 wurde mit Änderung des § 6a Abs. 6 StVG die Mindestgebühren fürs Parken auf bewirtschafteten öffentliche Straßen und Plätzen gestri- chen und damit die umgangssprachlich „Brötchentaste“ genannte Möglichkeit zum kostenlosen Kurzzeitparken in bewirtschafteten Zonen geschaffen. Die Bundesregierung sollte eine entsprechende Regelung wieder einführen und Mindestgebühren in Höhe von 1€ je halbe Stunde festlegen. Höhere Gebühren sollen selbstverständlich weiterhin möglich sein und sind in den meisten Fällen auch notwendig, um eine verkehrslenkende Wirkung zu entfalten. Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert, dass dieser Themenkomplex bei der Reform des StVG gänzlich ausgespart wird.
Möglichkeiten und Verpflichtungen für Kommunen
Die DUH begrüßt zwar, dass den Kommunen mehr Möglichkeiten zur Gestaltung des Straßenverkehrs gegeben werden sollen. Insgesamt braucht es jedoch nicht nur mehr Möglichkeiten, sondern auch verbindliche Vorgaben, um sowohl den ruhenden als auch den fließenden Kfz-Verkehr, insbesondere in Form des privatten Pkw, so zu lenken, dass mehr Platz und Rechte für den Umweltverbund geschaffen werden:
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 18. Januar 2022 (Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats-1 BvR 1565/21 -, Rn. 1-203) zur Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden zu Länder-Klima- schutzgesetzen klargestellt, dass die Bundesregierung die alleinige Verantwortung dafür trägt, dass Deutschland das Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtend einhält und die Rechte künftiger Generatio- nen schützt. Jedoch stellt das BVerwG ebenfalls klar, dass die Klimaschutzziele des Bundes ohne Durchfüh- rungsmaßnahmen und eigene Gesetzgebung in den Bundesländern und Kommunen gar nicht zu erreichen sind. Daher sind reine Ermöglichungen von Klimaschutzmaßnahmen nicht ausreichend und der Realität ei- ner Jahr für Jahr deutlicher werdenden Klimakatastrophe nicht angemessen: Die Bundesregierung muss vielmehr mit der Reform des Straßenverkehrsrechts nicht nur Klimaschutz als möglichen Zweck verankern und die kommunale Mitwirkung stärken, sondern den Kommunen und Straßenverkehrsbehörden ver- pflichtende Vorgaben zur Einsparung von Emissionen im Verkehrssektor machen und damit Verantwortung zur Erreichung der ambitionierten Klimaschutzziele delegieren.
Regelhöchstgeschwindigkeiten
Die Deutsche Umwelthilfe fordert, wie oben bereits angedeutet, eine allgemeine und deutschlandweit ein- heitliche Absenkung der Regelgeschwindigkeit innerorts auf 30 km/h. Die Vorteile langsamerer Geschwin- digkeiten sind bekannt und müssen an dieser Stelle nicht vertiefend erläutert werden. Durch die Festlegung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts würde sich das Regel-Ausnahmeverhältnis umkehren. Die Anordnung höherer Geschwindigkeiten bleibt in begründeten Ausnahmefällen nach wie vor möglich.
Neben Tempo 30 innerorts bedarf es einer Absenkung der Regelhöchstgeschwindigkeit außerorts auf 80 km/h sowie ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Ein Tempolimit erhöht die Sicherheit und rettet Leben: Mehr als 400 Menschen sterben jedes Jahr auf deutschen Autobahnen, viele davon durch ein zu hohes Tempo. Ein Tempolimit reduziert die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Autos und verbessert damit den Verkehrsfluss. Dadurch entstehen weniger Unfälle und weniger Staus und die Auto- bahnen können mehr Verkehr bewältigen. Davon profitieren auch Autofahrende und auch der Staat, der an vielen Stellen auf den kostenintensiven Ausbau der Infrastruktur verzichten kann. Mit der Begrenzung der Geschwindigkeit auf 100 km/h auf Autobahnen und außerorts auf 80 km/h lassen sich sofort jährlich bis zu 4,44 Milliarden Liter Benzin und Diesel und 11,1 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
Auch mit Bezug auf §3 StVO ließe sich eine Änderung unmittelbar in das Änderungsgesetz für das StVG in- tegrieren. Eine Zustimmungsbedürftigkeit im Bundesrat würde dadurch nicht begründet. Zur rechtlichen Begründung verweisen wir auf das bereits zitierte Rechtsgutachten von Prof. Dr. Stefan Klinski im Auftrag des Umweltbundesamtes.
Fazit
Der vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes versucht sich an einer Umsetzung dessen, was im Koalitionsvertrag festgeschrieben und schon längst überfällig ist; er wird diesem Anspruch bei näherer Betrachtung jedoch mitnichten gerecht. Die Aufnahme weiterer, gleichberechtigter Anordnungsgrundlagen ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, um das Straßenverkehrsrecht an die aktuellen Erfordernisse anzupassen. Dass der aktuelle Gesetzesentwurf diese neuen Ziele jedoch weiterhin einer zwingenden Berücksichtigung der Leichtigkeit im Verkehr unterordnet, entkernt das theoretisch zu begrüßende Vorhaben. Darüber hinaus lässt der Referentenentwurf sämtliche Ambitionen zur Vereinfachung des Parkraummanagements, zur Einführung von Tempo 30 sowie zur Erreichung der Vision Zero vermissen. Auch die Herstellung einer Rechtsgrundlage für die soziale Staffelung von Anwohnerparkgebühren fehlt und gehört angesichts aktueller Gerichtsurteile auf die Tagesordnung. Wir fordern Sie auf, den Referentenentwurf entsprechend zu überarbeiten.
Wer hätte das gedacht? Das FDP-geführte Ministerium will nicht ans Thema Parkplätze ran, lässt alle möglichen StVO-Hintertüren zur StVG-Verwässerung offen und bleibt insgesamt – wie erwartet – recht wenig ambitioniert. Das lässt zumindest die DUH-Stellungnahme vermuten..
AGORA Verkehrswende äußert sich folgendermaßen…
StVG-Reform schafft Fundament für bessere Mobilität und lebenswerte Städte
Zum heute vorgelegten Referentenentwurf einer Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sowie zu den Entwürfen einer Novelle des Klimaschutzgesetzes und eines Klimaschutzprogramms 2023 sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende:
StVG-Reform schafft Fundament für bessere Mobilität und lebenswerte Städte, Stellungahme AGORA Verkehrswende, 15.06.2023
„Mit dem Entwurf für eine StVG-Reform schafft die Bundesregierung nach langem Zögern endlich das Fundament für alle Kommunen, die die Mobilität bei sich vor Ort verbessern und den öffentlichen Raum lebenswerter gestalten wollen. Hunderte Städte und Gemeinden in ganz Deutschland warten auf diesen Modernisierungsschub. Sie bekommen damit mehr Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielräume, um zum Beispiel leichter Busspuren und Radwege einzurichten, das Parken im öffentlichen Raum in geregeltere Bahnen zu lenken oder den Straßenverkehr für alle sicherer zu machen. Das alles wird möglich, wenn das StVG – wie jetzt von der Bundesregierung vorgeschlagen – neben der ‚Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs‘ auch gleichberechtigt die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung aufnimmt.
Der Entwurf ist ein wichtiger Schritt auf einem längeren Weg. Jetzt kommt es darauf an, dass die Gleichwertigkeit der Ziele im weiteren Gesetzgebungsprozess erhalten bleibt, auch im Bundesrat, und dass später die Straßenverkehrsordnung (StVO) im Sinne des neuen StVG angepasst wird. Denn die StVO folgt im Moment noch den überholten Regeln, wonach im Zweifel immer die ‚Leichtigkeit‘ des Autoverkehrs den Vorrang hat. Jedes Abweichen von diesem Prinzip bedurfte bisher aufwändiger und kleinteiliger Begründungsverfahren. Selbst wenn es um die Verkehrsberuhigung im Umfeld einer Schule oder eines Kindergartens ging, konnten diese Verfahren scheitern. Bei der Reform der StVO werden das Bundesverkehrsministerium und die Bundesländer eine zentrale Rolle spielen.
Die Politik sollte sich parteiübergreifend auf diese Reform einigen können. In der kommunalen Initiative für lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten, die seit zwei Jahren für eine Reform des Straßenverkehrsrechts wirbt, sind Städte mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus einem breiten Parteienspektrum vertreten, von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP bis zu Parteilosen und Sonstigen. Die Reform zahlt auf viele Werte ein: Sie ist sozial, weil sie den öffentlichen Verkehr und die Verkehrssicherheit für besonders Schutzbedürftige stärkt; sie ist wirtschaftlich effizient und baut Bürokratie ab, weil sie Planungs- und Genehmigungsprozesse verschlankt; sie stärkt den Umwelt- und Klimaschutz, weil sie Mobilität mit Bus, Bahn, Fahrrad, geteilten Fahrzeugen oder zu Fuß stärkt; schließlich kommt sie dem Einzelhandel und den Kommunen insgesamt zugute, weil sich mit ihr das Mobilitätsangebot und die Lebensqualität im öffentlichen Raum für alle verbessern lassen.“
Verkehrssektor ist noch nicht auf Klimakurs
Mit Blick auf das Klimaschutzgesetz und das Klimaschutzprogramm fügt Hochfeld hinzu: „In der Gesamtschau der jetzt angeschobenen Gesetzgebungsverfahren ist die Deutschlandflotte allerdings noch nicht geschlossen auf Kurs in Richtung Klimaneutralität. Das Schiff des Verkehrssektors fällt zurück und konnte gerade mal zwei kleinere Segeln setzen: die Reform des Straßenverkehrsrechts und die Erhöhung der Lkw-Maut mit Verwendung der Einnahmen für den Schienenverkehr. Das Segel der Elektromobilität am Großmast flattert weiterhin lose im Wind; für den öffentlichen Verkehr müsste eine neues und viel größeres Segel gesetzt werden.
Die Novelle des Klimaschutzgesetzes wird dazu führen, dass der Verkehrssektor weiter seine Klimaziele verfehlt und damit die Verantwortung für die Emissionsminderung weiter in die Zukunft verschiebt. Denn mit dem jetzt vorgelegten Entwurf eines Klimaschutzprogramms wird Deutschland im Verkehrssektor selbst nach Berechnungen der Bundesregierung bis 2030 einen Emissionsüberschuss von bis zu 175 Millionen Tonnen CO2 anhäufen. Ein neues Klimaschutzprogramm wird nach dem neuen Klimaschutzgesetz wohl frühestens in zwei Jahren fällig. Damit zieht sich die aktuelle Bundesregierung aus der Daseinsfürsorge zurück und gefährdet die Freiheit junger und kommender Generationen. Wahrscheinlich wird nach neuer Gesetzeslage erst nach der Bundestagswahl eine neue Bundesregierung das nächste Klimaschutzprogramm umsetzen müssen.
Dringend notwendige Instrumente und Maßnahmen im Verkehrssektor bleiben unangetastet. Für den Hochlauf der Elektromobilität und zum Erreichen des Ziels, 15 Millionen vollelektrische Pkw auf die Straße zu bringen, bräuchte es vor allem einen Abbau von sozial ungerechten und klimaschädlichen Verbrenner-Subventionen, von Dienstwagenprivileg und Dieselprivileg bis Kfz-Steuer. Zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs müsste ein langfristig verlässlicher Ausbau der Investitionen und des Angebots angeschoben werden; allein durch das Deutschlandticket wird die Verlagerung von privatem Autoverkehr auf den öffentlichen Verkehr nicht gelingen.
De facto läuft die Entwicklung auf einen Widerspruch mit dem Grundgesetz hinaus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss von April 2021 unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Bundesregierung die Pflicht hat, die Verschiebung der Emissionsminderungslast in die Zukunft zu verhindern und so die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen.“
Bei „meinem“ Mobilitätsclub ADFC liest sich das ganz anders, obwohl einige DUH-Kritikpunkte geteilt werden. Angesichts der umfangreichen Stellungnahme der DUH bin ich von der des ADFC ein wenig enttäuscht. Hoffentlich kommt da im Rahmen der Verbände-Beteiligung noch etwas mehr Push in Richtung „Gute Straßen für alle“-Gesetz.
ADFC begrüßt StVG-Reformvorschlag der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat sich auf einen Entwurf für die Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) geeinigt. Das war dringend nötig, denn das aktuelle Gesetz aus der Kaiserzeit behindert die Entwicklung moderner, lebenswerter Gemeinden und den Klimaschutz im Verkehr. Der nun vorgelegte Gesetzentwurf enthält neue Ziele und verbessert die Möglichkeiten für Kommunen zur fahrrad- und klimafreundlichen Umgestaltung der Straßen deutlich. Der ADFC schlägt im Gesetzestext allerdings eine Konkretisierung vor – und die zügige Anpassung der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO).
ADFC begrüßt StVG-Reformvorschlag der Bundesregierung, Stellungnahme ADFC, 16.06.2023
ADFC-Vorsitzende Rebecca Peters kommentiert: „Wenn der vorliegende StVG-Gesetzentwurf nächsten Mittwoch vom Kabinett bestätigt wird, ist das ein guter Tag für die Verkehrswende vor Ort. Neben Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs stehen nun auch Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung im Entwurf – eine langjährige Forderung des ADFC und seiner Bündnispartner. Wenn Bundestag und Bundesrat zustimmen, können Kommunen in Zukunft viel leichter verkehrsberuhigte Quartiere einrichten, Fahrradstraßen und Zebrastreifen anlegen und Lücken im Radwegenetz schließen. Das bringt mehr Lebensqualität für alle, in der Stadt und auf dem Land. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Widerspruch zwischen Gesetzestext und Begründung bereinigt wird – und dass Bundesverkehrsminister Wissing zügig auch die untergeordnete StVO entsprechend anpasst. Denn die Kommunen schauen auf die StVO.“
Widerspruch zwischen Gesetzestext und Begründung
Im neuen Absatz 4a des §6 StVG des Gesetzesvorschlags heißt es: Anordnungen, wie Radfahrstreifen oder verkehrsberuhigende Maßnahmen, „müssen neben der Verbesserung des Schutzes der Umwelt, des Schutzes der Gesundheit oder der Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigen“. Dieser Imperativ weicht nach Auffassung des ADFC die eigentliche Intention auf, die in der Begründung nachgeliefert wird. Dort heißt es unter Punkt II, „dass mit der gesetzlichen Änderung die Regelungsziele Verbesserung des Schutzes der Umwelt (einschließlich des Klimaschutzes), Schutz der Gesundheit und Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung für sich allein genommen ausreichen“. Der ADFC fordert, hier die Eindeutigkeit der Begründung auch im Gesetzestext zu verankern und die Pflicht zur Berücksichtigung auf die Verkehrssicherheit zu beschränken. So können beispielsweise verkehrsberuhigte Quartiere auch ohne Verkehrszählungen und Unfallstatistiken allein zur Verbesserung der Lebensqualität und der Fahrrad- und Fußgängerfreundlichkeit angeordnet werden.
Die Stellungnahme des ACE Autoclub Europa (hier dessen Arbeitspapier zur Verkehrswende) liest sich ähnlich wie die des ADFC:
Reform des StVG gute Ausgangsposition für Verkehrswende in den Kommunen
Den gestern vorgelegten Referentenentwurf einer Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) wertet der ACE, Europas Mobilitätsbegleiter, als gute Ausgangsposition, die Mobilitätsansprüche der Zukunft zu gestalten. Insbesondere die Kommunen können direkt vor Ort bessere Mobilitätsangebote erarbeiten und umsetzen, wenn die Reform wie vorgeschlagen umgesetzt wird. Deshalb fordern wir den Gesetzgeber und den Bundesrat auf, den Reformvorschlag in den folgenden Beratungen nicht zu verwässern und damit seine Wirkung aufzuheben. Auch die Anpassung der Straßenverkehrsordnung (StVO) muss in der weiteren Folge zügig im Sinne der StVG-Reform erfolgen, so der ACE.
Reform des StVG gute Ausgangsposition für Verkehrswende in den Kommunen, Verkehrsclub ACE, 16.06.2023
Stefan Heimlich, Vorsitzender des ACE, macht deutlich: „Der Entwurf ist eine gute Basis und bietet den Kommunen mehr Möglichkeiten, Mobilität in Zukunft besser und schneller zu gestalten. Damit wird endlich umgesetzt, was der ACE seit langem fordert. Ob Busspuren, der Ausbau von Radwegen oder Tempolimits: Die Kommunen bekommen mehr Handlungsspielräume. Gleichzeitig darf dem reinen Autoverkehr nicht länger der Vorzug gegeben werden, was die Formulierung “Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ impliziert. Ziel muss das gute Vorankommen und die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden sein. Jetzt kommt es darauf an, dass Bundesregierung, Parlament und Bundesrat abliefern. Sie können beweisen, wie ernst es ihnen mit der Zukunft der Mobilität, der Verkehrssicherheit und des Klimaschutzes ist. Denn die Verkehrswende kann nur gelingen, wenn das Straßenverkehrsgesetz (StVG) und die Straßenverkehrsordnung (StVO) ihrer Umsetzung vor Ort nicht mehr im Wege steht.“
Mit dem vorliegenden Entwurf ist ein wichtiger Schritt getan, indem neben der Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs nun auch gleichberechtigt die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung aufgenommen sind und Ländern und Kommunen mehr Entscheidungsspielräume eingeräumt werden. Dass die genannten Ziele tatsächlich gleichberechtigt sind, ist aufgrund einer Abweichung zwischen dem Gesetzestext und dessen Begründung noch nicht sicher: Der ACE befürchtet, dass der Spielraum der Kommunen an dieser Stelle auf null reduziert wird, da es im Gesetzesentwurf zu § 6 Abs. 4a Satz 3 StVG heißt: „[…] Anordnungen müssen neben […] die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigen.“ Der ACE regt deswegen an, das Wort “müssen” durch “sollen” zu ersetzen.
Der ACE begrüßt überdies ausdrücklich, dass der Gesetzentwurf vorsieht, dass „die Regelungsziele Verbesserung des Schutzes der Umwelt (einschließlich des Klimaschutzes), Schutz der Gesundheit und Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung für sich allein genommen ausreichen, um auf dieser Grundlage eine verkehrsregelnde Bestimmung auf der Verordnungsebene zu erlassen“. Das ermöglicht den Kommunen, Maßnahmen auch ohne Verkehrszählungen und Unfallstatistiken – allein zur Verbesserung der Lebensqualität und der Fahrrad- und Fußgängerfreundlichkeit – anzuordnen.
Nun denn. Wir dürfen auf den Gesetzentwurf gespannt sein, der bestimmt demnächst veröffentlicht wird. Und wir dürfen weiterhin gespannt sein, wann die dazugehörige Novellierung der Straßenverkehrsordnung kommt. Das Social Media Team des Bundes-Dingens-Ministeriums kann das momentan noch nicht genau sagen. Ich hatte anlässlich dessen Facebook-Ankündigung des 8. Nationalen Radverkehrskongresses, auf dem wieder das „Fahrradland Deutschland“ beschworen wird, nachgefragt…
Mal sehen wie sich StVG- und StVO-Novelle mit E-Klima-Gedöns, Vision Zero und so weiter vertragen werden und wie sie sich auf die nächsten Schritte in Richtung „Fahrradfreundliche Stadt“ und „Fahrradland“ auswirken – oder auch nicht…
Nachtrag: Der Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes wurde am 10. Juni veröffentlicht. Siehe hier.
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