Hier geht es zu Teil 2: Der Nationalpark
5 Jahre…
Klitzekleiner Blick zurück – Düren
Seit nunmehr fünf Jahren setzt sich die Bürgerinitiative ProRad Düren für besseren und sichereren Radverkehr in unserer „Stadt der kurzen Wege“ ein.
Ein Anlass, um zurückzublicken und sich zu fragen, was in den letzten fünf Jahren so passiert ist auf den (Radfahrer-) Baustellen in und um Düren? Eine Erreicht- und Nicht-Erreicht-Liste? Die große Rückschau in hochglänzender 5-Jahres-Bericht-Broschüre?
Das alles gibt es an dieser Stelle nicht.
Erstens weil die ungezählten Stunden Arbeit, die die Ehrenamtlichen in ihr Engagement gesteckt haben und weiterhin stecken, bereits gut auf der ProRad-Website dokumentiert sind und hier auch nicht mal eben angemessen gewürdigt werden können.
Und zweitens – ganz ehrlich – weil ich (ganz persönlich als ProRadler) leider auch die vielen verlorenen Windmühlenkämpfe der vergangenen Jahre vor Augen habe. Die getöteten Radfahrer, die unzähligen gefährlichen Straßenmalereien (Schutz- und Mehrzweckstreifen), das Nicht-Kümmern um gefährliche, notorische Falschparker sowie Eng-Überholer, die von Pkw-Straßen durchtrennten Radwege-Verbindungen, die nicht existente Öffentlichkeitsarbeit, das abstruse Festhalten an Planungen aus der Verkehrs-Steinzeit, die nicht geöffneten Einbahnstraßen, die vielfach versprochenen aber nie realisierten Fahrradstraßen… You name it!
Kein Grund zum Feiern also? Ganz im Gegenteil!
Tausende Stunden unermüdlicher ehrenamtlicher Arbeit sollten unbedingt auch mal angemessen zelebriert werden, meine ich. Und meinen auch die anderen ProRadler. Und da wir alle eher pragmatisch und zukunftsorientiert unterwegs sind als nostalgisch und depressiv, wollten wir uns mal anschauen, wie es in unserer direkten Nachbarschaft so läuft mit dem Radverkehr. Kein gegenseitiges Schulterklopfen, sondern Bildungsurlaub! Vielleicht lohnt der Blick über den deutschen Tellerrand und man kann sich die eine oder andere Inspiration holen? Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Also wurde dank des niederländischen „Verbindungsmanns“ von ProRad sprachlich unkompliziert mit dem Fietsersbond Den Bosch Kontakt aufgenommen. Schnell fanden sich auch wieder ein paar der üblichen „Verrückten“, die sich um die Organisation von Tickets, ÜN und Leihrädern kümmerten.
Ein großes „Dank u wel!“ nochmal (insbesondere) an Rob, Tanja und Imke!
Also: Rucksack/Gepäcktasche packen und auf nach ´s-Hertogenbosch!
Großer Blick nach vorne – ´s–Hertogenbosch
„Der erste Eindruck prägt!“
Merke ich immer wieder, wenn ich in eine Stadt komme, die ich noch nicht kenne. Und denke mir dann manchmal: Hoffentlich ist der erste Eindruck nicht allzu prägend für diejenigen, die das erste Mal nach Düren kommen. Mit dem Zug.
In anderen Ländern sind Bahnhöfe ja regelrechte Touristen-Attraktionen. Zurecht. Orte, die man gerne besucht, Orte an denen sich Architekten, Designer, Künstler und Köche austoben dürfen. Bunte, vielfältige Plätze, die Kunst, Kultur und Kommerz miteinander verbinden und alle Sinne ansprechen…
Bei uns hingegen sind Bahnhöfe Bahn-Höfe: Orte, deren einziger Zweck darin zu bestehen scheint, sie möglichst schnell wieder zu verlassen.
Erster Eindruck nach Umstieg in die niederländische Bahn: Steckdose unter´m Sitz und funktionierendes WLAN. Läuft…
Der Bahnhof von Den Bosch (154.000 Einwohner) mag zwar kein internationales Aushängeschild sein, aber hinterlässt auf jeden Fall einen positiven ersten Eindruck, wenn man sonst meistens eher im Rheinland unterwegs ist. Hell, sauber, weitläufig, gut beschildert. Passt.
Nach der herzlichen Begrüßung durch Frits und Aad vom örtlichen Fietsersbond ging es direkt unter den Bahnhof, um diejenigen, die kein eigenes Rad dabei hatten, mit einer/m der unzähligen OV-fietsen auszustatten. Die sieht man überall herumfahren. In den Niederlanden gibt es rund 300 Verleihstationen. An den meisten Bahnhöfen, Park&Ride-, Metro-Stationen etc. sind die öffentlichen Räder zu finden. Um sie auszuleihen muss man für 1 Cent pro Jahr (dient der Identifizierung) ein OV-fiets-Jahres-Abo abschließen und kann dann mehrere Räder für 3,85€ pro Rad und 24 Stunden ausleihen. Da wir unsere Räder über die Niederland-Connection ausgeliehen haben, weiß ich nicht genau, wie man als Deutscher an die Räder rankommt. Leihräder in direkter Nähe holländischer Bahnhöfe zu finden ist ohnehin kein Problem.
Auf dem Foto oben sieht man, dass das Fahrradparkhaus samt Verleih- und Service-Station direkt vor bzw. unter dem Haupteingang des Bahnhofs liegt. Das macht den Wechsel zwischen Rad, Fuß und ÖPNV extrem einfach, schnell und komfortabel. „Mobilstation“ heißt das wohl bei uns. Einfach reinfahren mit Rad oder Aufzug, Fahrrad innerhalb von ein paar Minuten mieten oder zurückgeben und weiter geht´s…
Pkw-Parkplätze sind hingegen Mangelware in der Innenstadt. In Den Bosch würde ich niemals auf die Idee kommen, mit dem Auto in die City oder zum Bahnhof zu fahren. Einfach weil´s per Rad viel bequemer, billiger und flexibler ist. Push&Pull!
Frisch bereift ging es dann los mit der durch unsere Fietsersbond-Guides geführten Tour durch Den Bosch. Ein kurzer Zwischenstopp im naheliegenden Fahrradladen, wo sich einige von uns ein wenig bessere Räder als die OV-fietsen gönnten. Diese sind – nur mit Rücktrittbremse und einem Gang ausgestattet – doch ein wenig gewöhnungsbedürftig, wenn auch für die hügellose, für Radfahrer optimierte holländische Innenstadt vollkommen geeignet.
Weiter zum nächsten Fahrrad-Parkhaus mitten unter der Innenstadt.
Über den unlängst von unnützen Parkzeugen befreiten Platz vor der zentralen St.-Johannes-Kathedrale (wo jetzt Menschen in Cafés sitzen und über den weitläufigen Platz flanieren), ging es dann weiter quer durch die Innenstadt.
Aad und Frits vom Fietsersbond (die Herren in den gelben Westen) hatten sich im Vorfeld eine rund 20 Kilometer lange Strecke ausgedacht, auf der sie ihren Gästen aus dem rückständigen Entwicklungsdeutschland an ein paar Stellen zeigen wollten, wie niederländisches Verkehrs-Design aussieht. Also ging es flugs weiter mit der kollegialen Entwicklungshilfe kreuz und quer durch die City.
Extrem auffallend war für mich das ganz andere Miteinander im innerstädtischen Verkehr. Trotz teilweise sehr schmaler Wege und viel Verkehr lief das alles sehr flüssig, geradezu organisch – gar nicht so wie der stakkatoartige, zuckende und ruckende Stop-and-go-Pkw-Verkehr, den wir so gewohnt sind.
Nicht nur, dass wir als Radler ständig durch gefühlte Fußgängerzonen fuhren und mich andauernd ein seltsam peinliches Gefühl beschlich, weil ich meinte, ich würde die vielen Fußgänger um mich herum stören. (Das Kampf-Radler-Gen ist bei uns Deutschen ja bereits von Geburt an, quasi ab mütterlichem Volks-Werk fest im Körper verpflanzt.) Während die einheimischen Radler scheinbar unbekümmert und unbeirrt ihre Linien zwischen dem regen Fuß-, Rad- und Mopedverkehr zogen und sich augenscheinlich keine Gedanken oder gar Bedenken machten. Und sogar die Fußgänger schienen sich gar nicht an mir zu stören. Seltsam.
Sogar die vergleichsweise wenigen Motorisierten, die in der Innenstadt unterwegs waren, fuhren ganz normal ohne mit Vollgas auf die nächste rote Ampel zuzurasen oder uns mit dem kleinstmöglichen Abstand zu überholen und bei jedem zweiten Rechtsabbiegen zu schneiden. Surreal…
Vielleicht ist man ja als radpendelnder Dürener ein wenig verblendet und als kleiner Fahrrad-Lobbyist nicht ganz neutral in der eigenen Wahrnehmung. Aber das war verkehrsmäßig eine ganz andere Welt! Mal rein objektiv betrachtet.
Auch sehr auffallend: Kein Erwachsener trägt einen Helm. Noch nicht mal Mopedfahrer. Nur die Rennradler und Mountainbiker, die wir am Sonntag im Nationalpark (Teil II.) viel gesehen haben.
Frits erzählte mir von einer genauso einfachen wie effektiven niederländischen Regel, die offensichtlich ziemlich konsequent umgesetzt wird und die die Niederländer voll internalisiert haben, weil sie es gar nicht anders kennen:
In der Stadt hat das Fahrrad Vorrang vor dem Auto, außerhalb das Auto vor dem Rad.
Ich hatte manchmal den Eindruck, eigentlich bräuchten die Leute in Den Bosch überhaupt keine Verkehrsschilder. Bei der innerstädtischen Infrastruktur und menschlichen Attitüde könnte man eigentlich alles freigeben, ein, zwei simple Regeln aufstellen wie „Passt gegenseitig auf euch auf und baut keinen Scheiß!“ (§1 StVO) und die Sache würde laufen.
Na gut, hier und da eine Ampel vielleicht, weil die Autos, die immer noch rumfahren, immer noch zu schnell und immer noch zu viele und zu gefährlich sind…
Ein paar Ideen im Bild:
(@Deutsche Verkehrsplaner und Verkehrsentscheider:
Nein, es handelt sich hier nicht um manipulierte Fotos oder Fake-News. Das sind auch alles keine Science-Fiction-Zukunftsvisionen oder linksgrünversiffte Gutmenschen-Utopien, sondern einfach nur Dinge, die unsere Nachbarn halt standardmäßig bauen. Weil sie Sinn machen und sich schon lange bewährt haben. Und das trotz (oder wegen?) tendenziell eher konservativ-christlich-liberalen Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten.)
Ampeln
Kreuzungen
Radwege
Parkzeuge
Und sonst?
Uns hat natürlich ziemlich beeindruckt, was in Den Bosch (Fahrradstadt der Niederlande in 2011) schon alles bewegt wurde und wie sich die konsequente Förderung von ÖPNV (der Öffentliche Nahverkehr sei hier nur mal schnell am Rande erwähnt), Fuß und Rad in purer Lebens- und Aufenthaltsqualität auszahlt.
Dies ist leider nur schwer in Zahlen messbar und daher für deutsche Planer komplett belanglos. Also ging es bei unserer Tour durch Den Bosch auch nicht darum, von den Fietsersbond-Profis zu erfahren, mit welchen Strategien und Tricks sie es schaffen, Politik und Verwaltung von ihrem eigenen Glück (und dem ihrer (zukünftigen) Wähler) zu überzeugen. Das wäre auch vertane Liebesmüh, da der auto-affine deutsch-bürokratische Habitus jegliche Vergleichbarkeit mit den Niederlanden eh ad absurdum führt.
Aad erzählte allerdings auch, dass es ihnen gerade erst gelungen sei, eine innerstädtische Straße autofrei zu bekommen – nach 30 Jahren „Kampf“! Siehe: „Van Berckelstraat autovrij“
Und überhaupt…
Ist ja mal wieder sehr wohlfeil, mit den Holländern daherzukommen. Die waren ja schließlich schon vor 50 Jahren so schlau, den Schalter umzulegen und vernünftige Verkehrskonzepte für ihre Innenstädte zu entwickeln und umzusetzen.
Das kann man als kleiner Möchtegern-Fahrrad-Lobbyist ja gerne auch für seine eigene Heimat fordern und wünschen. Aber welcher realpolitische Volksvertreter oder gar Beamtete würde es schon wagen, im Interesse seiner eigenen Nachkommen (noch besser: seiner eigenen Wähler) mutig auszubrechen aus dem längst überholten Auto-Fetischismus?
Wenn es doch viel einfacher ist…
- immer dieselben lächerlichen Totschlag-Argumente (Arbeitsplätze, Geld und Bürokratismus – wahlweise zu viel (Baurecht, Zwangspunkte, blabla) oder zu wenig (fehlende Kapazitäten/KnowHow)) zu bemühen um alles, was irgendwie „gegen“ den Pkw geht, grundsätzlich auszuschließen und im Keim – bzw. im Auto-Abgas zu ersticken,
- das zu machen, was man immer gemacht hat: Aus Pkw-Perspektive denken, planen, handeln,
- einfach zu resignieren. Aufgeben ist eine echte Alternative für die, die zwar wissen, dass es anders besser wäre und auch anders ginge, die aber lieber Realpolitik betreiben als real politisch etwas zu bewirken. Dazu bedarf es zwar eines recht dehnbaren Rückgrats und flexibler persönlicher Haltung. Das ist aber weniger das Problem und parteiübergreifend ausreichend vorhanden.
Na dann… Weiter so!
Hier geht es zu Teil 2: Der Nationalpark
Zum Weiterlesen/-schauen
Hier gibt es noch Aads (Fietsersbond) Bericht über unseren Besuch in ´s-Hertogenbosch: ProRad uit het Duitse Düren bezoekt Den Bosch
Schneller Grün mit Smartphone-Apps in den Niederlanden (Nationaler Radverkehrsplan)
Den Bosch becomes Netherlands’ “Fietsstad 2011” (bicycledutch.wordpress.com)
Youtube-Suche: ’s-Hertogenbosch Cycle Network
Und hier die ausführliche Zusammenfassung auf der ProRad-Website!
Schreibe einen Kommentar