Stand der Dinge?

Lange nix mehr gehört von den Planungen rund um die Nordtangente aka Stadtautobahn/Ortsdurchfahrt/Neubautrasse mit Charakter einer Bundesfernstraße. Auch um die Petition Pro B399n-Altplanung ist es sehr ruhig geworden, seitdem der Kommunalwahlkampf vorüber ist und sich die politische Landschaft neu positioniert hat.

Die Petition „Für den Bau der B399n“ läuft seit dem 22.10.2020 und greift langsam aber sicher nach der absoluten Mehrheit… Screenshot: Petition „Für den Bau der B399n“


Die Revision

Beschlossene Sache ist, dass die verstaubten Planungen der B399n nochmal auf den Tisch gelegt und aktualisiert werden. Der Hintergedanke dabei ist wohl, nicht den Fehler zu begehen, eine Planung, die in vielen Punkten heutigen Qualitätskriterien und Erfordernissen nicht mehr genügt, ohne Rücksicht auf Verluste durchzuziehen.

Der Bau der B399n soll grundlegend überprüft werden. Die alte Planung entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Alternativen Lösungen zur Erschließung eines zukünftigen Gewerbegebietes ehemalige Zuckerfabrik und alternativen Streckenführungen stehen wir offen gegenüber.

Zukunft Düren – Koalitionsvertrag 2020-2025

Der neue Plan

Sobald entschieden ist, ob hopp oder top, wird dann wohl ein neuer Plan erstellt – oder das Projekt beerdigt. Wovon ich allerdings irgendwie nicht ausgehe.

Also mal angenommen die B399n wird neu geplant bzw. die alten Pläne werden zukunftsgerecht überarbeitet. Womit haben wir (Zivilgesellschaft/Politik/Planer) zu rechnen?

Klimaschutzteilkonzept

Beschlossene Sache ist ja unter anderem auch die „konsequente Umsetzung“ des Klimaschutzteilkonzepts. Wohlwissend, dass die dort aufgeführten Maßnahmen nur „Vorschläge“ sind und keine Beschlüsse, müssten sie dennoch zumindest als grobe Richtschnur herhalten und in aktuelle Planungen einfließen können. Denn schließlich ist das ein zentrales Versprechen des Koalitionsvertrags:

Wir wollen den Stadtraum zukunftsgerecht neu verteilen. Fußgängerinnen und Radfahrerinnen brauchen mehr Raum.

Daher ist für uns der Ausbau des Radwegenetzes wichtig. Aber auch die Sicherheit der Fußgänger*innen ist für uns oben auf der Agenda. Ein zurzeit erarbeitetes Gutachten zur fahrradfreundlichen Stadt soll für uns Maßstab neuer Maßnahmen sein.

Das Klimaschutzteilkonzept wird konsequent von uns umgesetzt.

Wir streben in den nächsten drei Jahren an, „Fahrradfreundliche Stadt Düren“ zu werden.

Alle vierspurigen und überbreiten Straßen sollen auf zwei Fahrspuren für den motorisierten Verkehr, für sichere Fahrradwege zurückgebaut werden.

Zukunft Düren – Koalitionsvertrag 2020-2025 (Hervorhebung von mir.)

Unabhängig von der Frage, wie sich der Beschluss zu den vierspurigen Straßen grundsätzlich mit der Altplanung der B399n verträgt, wirft das Klimaschutzteilkonzept weitere Fragen/Baustellen bzgl. Realisierung einer „guten“ B399n auf:

Radschnellweg RS 399n

Quelle: Screenshot, Klimaschutzteilkonzept Stadt Düren, Seite 94
Kartenbasis: Bezirksregierung Köln, GeoBasis NRW 2015

Zum Beispiel die Frage nach dem in den Altplanungen nicht vorgesehenen Radschnellweg RS 399n. Dieser Maßnahmenvorschlag im Rahmen der besonderen Förderung des Radverkehrs hat es allerdings in sich! Das volle, sehr lesenswerte Zitat aus dem Klimaschutzteilkonzept (Hervorhebungen von mir):

Radschnellweg RS 399n

Bisher kann der Radverkehr aus Langerwehe kommend auf der B 264 auf einem ausgebauten Seitenstreifen fahren. Der RS-399n würde hier eine völlig neue Qualität bieten.

Wie der RS- Nordtangente würde er am Badesee beginnen. Von hier ab würde der bereits bestehende Weg zwischen Bundesstraße und Badesee hergerichtet werden. Durch das anfangs topographisch schwierige Gelände würde eine einfache Begradigung der Trasse und ggf. eine Asphaltierung reichen. Parallel zum See könnte ebenfalls noch auf die Mindestmaße eines Radschnellweges verzichtet werden. Hier könnte man ähnlich wie beim Rurufer-Radweg vorgeschlagen eine Spur für den Radverkehr asphaltieren und parallel eine wassergebundene Decke belassen.

Zwischen Badesee und südlichem Ende des Mirweilerweges besteht bereits ein asphaltierter Wirtschaftsweg. Ab dem Mirweilerweg soll der RS-399n immer parallel des Bahndamms geführt werden. Hierfür wäre daher auch eine zusätzliche Rurbrücke nötig. Gleiches gilt für die Philippstraße. Die Paradiesstraße kann ebenerdig gequert werden. Die jeweils überquerten Straßen sind soweit nötig mit Rampen anzubinden.

Im Innenstadtbereich stehen durchgehend Freiflächen zur Realisierung zur Verfügung. Eine noch offene Frage ist die Führung des RS-399n am Bahnhof entlang. Optimal wäre die Querung der Josef-Schregel- Straße mit Hilfe einer Brücke parallel zu den Gleisen und dahinter die Weiterführung über die Parkplätze, um kurz vor der Schoellerstraße auf die Eisenbahnstraße zu stoßen.

Dieser Abschnitt ist in die Umgestaltungsplanungen zum nördlichen Hauptbahnhofsvorplatz zu integrieren. Für die restliche Fortführung von dort aus kann die momentan in Arbeit befindliche Umbaumaßnahme des gesamten Brückenkopfes und des südlichen Arnoldsweilerweges genutzt werden. Durch die Baumaßnahmen wäre dies der aufwändigste Radschnellweg.

Klimaschutzteilkonzept Stadt Düren, Seite 97

Bei all den Vorteilen eines solchen Leuchtturm-Projektes muss man doch gar nicht mehr lange überlegen, wenn das Ziel die „Fahrradfreundliche Stadt Düren“ ist, oder? Mal richtig Zeichen setzen in Sachen Verkehrswende. So wie uns das unsere Nachbarn seit Jahrzehnten vormachen…

Die Finanzierungs-Frage stellt sich natürlich bei jedem Projekt – egal ob verkrustete Uralt- oder innovative Zukunfts-Planung. Sollte es daran scheitern? Gibt es nicht genügend Möglichkeiten, Strukturwandel- und Verkehrswandel-Fördertöpfe anzuzapfen oder Mittel aus der bisherigen Pkw-zentrierten B399n-Planung sinnvoll umzuwidmen? Könnte gut sein, dass das an unserer exzellenten Bürokratie scheitert? Mal optimistisch bleiben…

„Es wird keine gute Idee in der Umsetzung an finanziellen Mitteln scheitern, aber erst die Idee, dann gibt‘s Geld.“ So lautete das Versprechen vom Parlamentarischen Staatssekretär (PStS) beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, MdB Oliver Wittke, im Rahmen der Konferenz zu Braunkohle und Strukturwandel. Sie fand auf Einladung des CDU-Kreisverbandes Düren-Jülich im Restaurant am Indemann statt.

Ideensammlung zum Strukturwandel bei der Braunkohle-Konferenz (Paywall), Aachener Zeitung, 30.08.2018

Neben dem Radschnellweg RS 399n (und diversen weiteren Maßnahme-Vorschlägen) gibt es noch eine andere, sehr wichtige Forderung im Klimaschutzteilkonzept, das ja nun konsequent von/in Richtung „Zukunft Düren“ umgesetzt wird:

Modal Split – die Kernforderung!
Eine ganz zentrale Frage – wenn nicht die zentrale Frage – ist die nach dem Modal Split der Stadt Düren. Das ist ja schließlich das Instrument, mit dem man den aktuellen Stand der Dinge erfasst und die eigenen Ziele nachverfolgt. Wenn man bei einer etwaigen Evaluation nicht komplett im Trüben fischen will, muss es ja etwas Messbares geben, anhand dessen man nachvollziehen kann, ob sich Maßnahmen wie gewünscht auswirken oder nicht.

[Kurz erklärt] Was ist der Modal Split und was sagt er aus?

Das Ziel für Düren ist ganz klar beschrieben:
„Ziel ist es den MIV-Anteil bis 2025 um 10 % zu senken und zugleich den ÖPNV- und den Fahrradanteil um je 5 % zu erhöhen. Der Fußverkehrsanteil soll konstant gehalten werden.“ „Pro Jahr ein Prozent weniger Pkw in der Stadt“ war auch mal eine Ansage, die in diese Richtung ging.

Klimaschutzteilkonzept Stadt Düren, Seite 41

Alles schön und gut. Und wie ist der Stand der Dinge? 2021? Schließlich haben wir längst Halbzeit und sollten mal schauen (auch in Hinblick auf etwaige B399n-Planungen), was noch zu tun ist, um die Ziele zu erreichen. Die Anzahl der Wege soll innerhalb von zehn Jahren konstant bleiben, der MIV gleichzeitig zurückgehen, ÖPNV und Rad zunehmen. Und das alles so gut wie ohne Öffentlichkeitsarbeit pro Verkehrswende. Eine echte Herkules-Aufgabe!

Wie sind die konkreten Zahlen aktuell? Falls es jemand weiß – er/sie möge mir bitte Bescheid geben. Am 29. Mai 2020 hatte ich den Mobilitätsmanager der Stadt angeschrieben und gefragt: „Können Sie mir hierzu bitte folgende Zahlen nennen: Verkehrsanteile Pkw/ÖPNV/Rad/Fuß in der Entwicklung seit Beschluss des Klimaschutzteilkonzeptes. Es gibt doch bestimmt so etwas wie eine Zwischen- oder Halbzeit-Evaluation.“

Beantwortet wurde meine Anfrage mit einer ausführlichen Erläuterung zur Datenerhebung (hatte ich auch nach gefragt), jedoch mit wenig Infos zu aktuellen Zahlen:

Auf Grundlage dieser Daten konnte neben den Daten für den gesamten Kreis auch der Modal-Split für die Stadt Düren ermittelt werden. Die entsprechenden Ergebnisse finden Sie in den von Ihnen zitierten Klimaschutzteilkonzept.

Aufgrund des hohen Aufwandes und der entsprechend hohen Kosten wurde eine Evaluation der Ergebnisse bisher nicht durchgeführt.

Mobilitätsmanagement, Stadt Düren

Es liegen also gar keine aktuellen Zahlen vor, anhand derer man
a) die bisherigen (grandiosen) Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs (Mehrzweckstreifen-Offensive!) und
b) zukünftige Planungen wie die B399n, das Radvorrangroutenkonzept, die Umsetzung des Radgesetzes NRW evaluieren und gestalten könnte? Und es hört sich auch nicht so an, als seien nach der ersten (einmaligen?) Erfassung jemals wieder Zahlen überhaupt erhoben worden.
Na dann… Glück auf!

Klimaschutzteilkonzept Stadt Düren, Seite 51

Genau diese Zahlen werden aber demnächst mal notwendig werden. Spätestens wenn das zivilgesellschaftlich (nicht unbedingt partei-politisch gewollte) erkämpfte Radgesetz NRW in Kraft tritt. Erfahrungen aus StVO-Novelle etc. zeigen zwar, dass es bestimmt noch diverse Versuche des „Downsizings“ und Relativierens sowie des Verschiebens geben wird. Wir dürfen trotzdem hoffen, dass mit dem Gesetz endlich eine verbindliche Ansage kommt, die wir uns eigentlich eh schon längst selbst gegeben haben.

Radgesetz NRW

Denn auch das Radgesetz NRW ist versprochene Sache. Der Referentenentwurf sollte ja bis Ende des Jahres (2020) fertig sein, ist aber (wahrscheinlich Corona-bedingt) einfach noch nicht veröffentlicht worden. Oder man traut sich nicht, ihn zu veröffentlichen, weil im Entwurf die Forderungen von Aufbruch Fahrrad so weichgespült werden, dass man einen Shitstorm erwartet. *Zwinkersmiley*

We´ll see… Erst mal abwarten, was da nun genau drin steht und dann weiter sehen…

“Sonstiges“

By the way… Spielen eigentlich die nicht ganz neue „Vision vom dritten Gleis“ (2007), das im Rahmen des Strukturwandels kommen soll, sowie die geplante Revierbahn eine Rolle bei den B399n-Planungen? Und was sagen die Betroffenen (bspw. Nord-Dürener) heute zur B399n?

Einige Fragen sind anscheinend noch offen. To be continued…


Persönliches Fazit

  • Keine B399n, für die es bessere Alternativen gibt!
  • Keine B399n ohne RS 399n!
  • Keine vierspurigen Straßen in der City!
  • Keine Planungen, die dem Klimaschutzteilkonzept und/oder dem Radgesetz NRW entgegen laufen könnten!

Zum Weiterlesen…

Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen
Bundesgesetzblatt, 13.08.2020

Klimaschutzteilkonzept
Stadt Düren

Die neun Maßnahmen
Aufbruch Fahrrad

Eckpunkte für Fahrradgesetz vorgestellt – Wüst: Wir stärken Nordrhein-Westfalen als das Fahrradland Nummer 1!
Ministerium für Verkehr des Landes NRW

S-Bahn-Anschluss für Jülich?
Herzog-Magazin, 27.06.2020

Strukturstärkungsgesetz: Revier S-Bahn kommt mit Verbindung von Aachen über Jülich weiter in Richtung Düsseldorf
Dietmar Nietan, MdB (SPD)

Durchbruch für die Revierbahn
Patricia Peill, Landtagsabgeordnete (CDU)

Der „Revierbahn“ fehlt noch die Unterstützung aus Düsseldorf
Dürener Nachrichten (Paywall), 19.05.2020

Vorrangige Verkehrsinfrastrukturprojekte und empfohlene Verkehrsuntersuchungen für die IRR
Innovationsregion Rheinisches Revier