Das Umweltbundesamt liefert mit Blick auf soziale Gerechtigkeit und Umweltverträglichkeit eine äußerst ernüchternde Bestandsaufnahme unseres Verkehrs und fordert:


Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020

Im Positionspapier werden auch diverse Wege aus der allseits bekannten Krise beschrieben, ich will aber an dieser Stelle nur mal einen kurzen Blick auf den Status quo werfen.

Soziale Gerechtigkeit

Auf dem Weg zu einer sozial gerechten Mobilität muss die Frage beantwortet werden, wer bislang primär vom motorisierten Individualverkehr (MIV) profitiert und wer wie viel Umweltbelastung verursacht.

Umweltbundesamt

Verursacher-Prinzip: Zunächst einmal sollte man sich mal anschauen, wer eigentlich die Probleme, mit denen wir alle uns täglich herumschlagen, verursacht. Um´s kurz zu machen:
Die autozentrierte Verkehrspolitik und Verkehrsplanung der vergangenen Jahrzehnte und in deren Konsequenz die massive Bevorzugung und Dominanz des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Äußert sich in…

  • Luftverschmutzung
  • Lärmbelastung
  • Verbrauch öffentlicher Flächen (Fahrbahnen, Parkraum…)
  • Verkehrstote und -verletzte
  • Finanzielle Belastung der Allgemeinheit
  • Ideologie-getriebene Planungen
  • Ignoranz wissenschaftlicher Erkenntnisse, gesellschaftlicher Forderungen und politischer Beschlüsse
  • Schlechte Aufenthaltsqualität in unseren Städten
  • Wenig Empathie & schlechtes Miteinander im Straßenverkehr

„Wenn es wenigstens die Richtigen treffen würde“, könnte man zynisch sagen. Aber noch nicht mal das ist der Fall. Denn
diejenigen, die die Probleme verursachen, sind genau diejenigen, die am wenigstens von den fiesesten Folgen betroffen sind. (Damit meine ich jetzt nicht die mühevolle tägliche Parkplatzsuche, sondern eher verlorene Lebensräume und -jahre.)

Hinzu kommt erschwerend, dass sie (die Problem-Pkw-Fahrer) sich trotzdem noch nicht mal angemessen an den von ihnen verursachten Kosten beteiligen (müssen). Beim Problem-Pkw wird das Verursacher-Prinzip komplett außer Kraft gesetzt! Und als täglich herausposaunte Autofahrer-Jammerei immer wieder zur echten Realsatire.

Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020
Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020

Die 47.7 Millionen Problem-Pkw, die wir Deutschen besitzen (Nie hatten wir mehr. Hurra!), verteilen sich ziemlich ungleichmäßig auf die 83 Millionen Einwohner. Denn: Je wohlhabender, desto mehr Pkw pro Haushalt. Desto mehr Anteil an der Problem-Verursachung. Je ärmer, desto weniger Teil des Problems.

Und zu unguter letzt muss man auch mal festhalten, dass unsere Verkehrsprobleme mächtig mannsgemacht und maskulin sind. In doppelter Hinsicht: Am Steuer und an den entscheidenden Stellen in Politik und Verwaltung sitzen i.d.R. – wer hätte das gedacht: (mittel-)alte, tendenziell sozioökonomisch eher besser gestellte (weiße, autofahrende) Männer. Ein wahrlich AUTOpoietisches System. *Luhmann-Zwinkersmiley*

Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020

Zeitmanagement ist auch ein spannendes, soziales Thema!

Teilt man die Bevölkerung in fünf Einkommensgruppen ein, so zeigt sich, dass die Menschen mit dem niedrigsten Einkommen im Durchschnitt täglich etwa nur die Hälfte der Strecke zurücklegen wie die Menschen mit sehr hohen Einkommen.

Umweltbundesamt

…und dafür vergleichsweise deutlich mehr Zeit benötigen als Leute mit hohem ökonomischen Status. Das Umweltbundesamt spricht von „Mobilitätsarmut“.

Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020

Über die Tragödie des Allgemeinguts hatte ich ja schon mal geschrieben. Diese ist offensichtlich ein soziales Problem. Denn hier offenbart sich die Unverhältnismäßigkeit enorm. Nicht nur, dass die, die es sich finanziell leisten können, von Jahr zu Jahr mehr Autos besitzen. Diese werden auch immer größer und breiter: ca. 20% SUVs sind bereits auf unseren Straßen unterwegs. Tendenz steigend! Verschönert wird die Lage durch das Festhalten an massig innerstädtischen Pkw-Parkplätzen, die man wiederum gesellschaftlich subventioniert und immer attraktiver zu machen versucht. Siehe hier.

Hinzu kommt mal wieder, dass wiederum die am stärksten Betroffenen nicht diejenigen sind, die die Probleme verursachen. Also, um mal klischeehaft zu sprechen: Die im Speckgürtel lebenden Eltern-SUV-Taxi-fahrenden Mehrfach-Garagenbesitzer mit Einfamilienhaus, schickem Garten und Co. sind weit weniger betroffen. Es trifft nämlich insbesondere die Nicht-Autofahrer wie bspw. Kinder, ökonomisch Benachteiligte, von Mobilitätsarmut Betroffene usw.

Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020
Vergleich unterschiedlicher Flächeninanspruchnahmen durch Pkw, Bus, Straßenbahn, Stadtbahn, Radfahrer und Fußgänger (pro Person) – Grafik: Martin Randelhoff, www.zukunft-mobilitaet.netCC BY 3.0

Symptom und Ursache für die verkorkste Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte ist die Finanzierung der unterschiedlichen Verkehrsformen. (Und natürlich die dahinterliegende Denke mit den dahinterstehenden Personen und Verflechtungen.) Insbesondere, wenn man den MIV den menschen- und umweltfreundlicheren Fortbewegungsmitteln gegenüberstellt.

Obwohl Autofahrer andauernd jammern, dass sie vom Staat gemolken und ungerechtfertigt abgezockt würden, muss man einfach mal feststellen, dass da nur Krokodilstränen fließen können. Denn Autofahrer beteiligen sich bei weitem nicht entsprechend dem Verursacherprinzip an den von ihnen erzeugten Kosten.

Autofahrer erzeugen 20 Cent Kosten pro Kilometer, die derzeit nicht durch Steuern und Abgaben gedeckt sind.

Fahrrad erwirtschaftet pro gefahrenem Kilometer einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen von 30 Cent.

Volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse für Auto und Fahrrad, Fahrradportal, BMVI

Hoffentlich ist damit auch mal endlich die immer wieder auflodernde Diskussion um eine Fahrrad-Steuer aus der Welt! *Zwinkersmiley*

Im Autoland Deutschland kommen Problem-Pkw-Fahrer geradezu unverschämt billig weg, wenn man sich mal Städte anschaut, deren Verkehre nicht mehr nur vom Auto aus gedacht werden und die wahrscheinlich mal eine Gesamtkosten-Rechnung aufgemacht haben.

Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020

Während wir zwischenzeitlich so Nebensächlichkeiten mitbekamen wie „kleinere“ Betrügereien bei Diesel-Fahrzeugen, neue Stau-Rekorde, Abwrack-Prämien und verhinderte StVO-Novellen, dürfen sich die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs über saftige Preissteigerungen freuen – während der MIV dank der Politik gut situierter, autofahrender Menschen glimpflich davon kommt. Obwohl er Jahr für Jahr riesige Etats in unseren städtischen Haushalten beansprucht.

Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020

Besser noch: Seit Jahrzehnten pumpen wir (als Allgemeinheit) Milliarden in die Subventionierung von Verkehrsträgern, deren Nutzung wir eigentlich zugunsten des Umweltverbundes aus Fuß/Rad/ÖPNV einschränken wollen. (Und die hauptsächlich von Besserverdienenden genutzt werden.) Es gibt da ja schließlich so etwas wie Klimaziele, den Wunsch nach generationengerechter, nachhaltiger Entwicklung, eine gesellschaftlich und politisch geforderte Verkehrswende und so weiter.

Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020

Trotz der flächendeckenden (infra)strukturellen Bevorteilung der Autofahrer und extrem widriger Umstände für Radfahrer sind diese auf innerstädtischen Strecken bis zu fünf Kilometer durchschnittlich sogar schneller am Ziel als der MIV. Die Differenz bei Strecken bis zu zehn Kilometer ist noch sehr überschaubar, Pedelecs sind bis zu 10 Kilometer sogar gleich schnell am Ziel wie Autos. Mit einer besseren Radinfrastruktur und Verkehrssteuerung ließen sich diese Werte bestimmt noch deutlich weiter in die demokratisch beschlossene Richtung lenken.

Quelle: Screenshot, Positionspapier „Verkehrswende für ALLE“, Umweltbundesamt, August 2020
Screenshot: Google Maps

Für Düren sähe ein Radius, in dem Radfahrer mindestens genauso schnell oder schneller von Ort zu Ort kämen als Autofahrer, ungefähr so aus. Siehe oben. Viele Menschen könnten (und würden!) mit dem Rad in die Stadt fahren, wenn sie moderne, sichere, gut vernetzte und bequeme Wege zur Verfügung hätten.

Stattdessen wurde bisher auch bei uns grundsätzlich falsch nach dem Motto verfahren: „Kapazität und Komfort für den MIV geht vor Sicherheit für Alle!“ Was dazu führt, dass wir auf wichtigen Verbindungsachsen groteske Verkehrsverhältnisse haben.

Denn Straßen wie die Aachener Straße führen unweigerlich zu…

  • Verkehrstoten und -verletzten: Hauptsache möglichst viele Pkw können sich durch das Nadelöhr quetschen – koste es, was es wolle!
  • Verkehrsarmut: Wer schickt sein Kind hier noch alleine mit dem Rad zur Schule oder steigt gerne mal selbst auf´s Rad?
  • Luftverschmutzung: Welche Anwohner bekommen am meisten ab vom Dreck, den die besser Verdienenden verursachen? Wohl eher die weniger Betuchten direkt entlang der Straße!
  • Lärmbelastung: siehe Luftverschmutzung. Lärm-Smog führt übrigens neben körperlichen Belastungen gerne auch zu psychischen Problemen. Die machen besonders Spaß!
  • Öffentlicher Raum: Wem fehlen Gärten, Parks, Grün- und Spielflächen vor der eigenen Haustür? Den Verursachern oder den Betroffenen?

Zum Weiterschauen und -lesen…


Fachtag „Bitte Wenden“ | Input Mobilitätsbenachteiligung | Kerstin Stark, Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt