Mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD hat der Landtag NRW am 18. Dezember beschlossen, dass unser Land als erstes deutsches Flächenland ein Fahrradgesetz bekommt!

Siehe Video der Sitzung. TOP „Aufbruch Fahrrad“ ab 15:51:20 Uhr

Screenshot: landtag.nrw.de


Dass sich unsere Landesregierung per Gesetz zu einem deutlichen Ausbau eines sicheren Radwegenetzes (und diversen weiteren Maßnahmen) gesetzlich verpflichten will, ist selbstverständlich nicht auf dem Mist der gewählten Volksvertreter gewachsen. Es geschah auch nicht auf Drängen der Kommunen. Nein, es bedurfte wieder des bürgerschaftlichen Engagements, um die Sache ins Rollen zu bringen.

Die Initiative „#Aufbruch Fahrrad“ hatte fast 207.000 Unterschriften in NRW gesammelt (knapp 68.000 wären ausreichend gewesen) und damit die Politik vor die Wahl gestellt: entweder komplett das Gesicht verlieren oder den dringenden Bedarf ernst nehmen und sich der viel beschworenen „Verkehrswende“ endlich annehmen. Wahrscheinlich werden die Fraktionäre trotzdem zukünftig versuchen, das Fahrradgesetz als ihren Erfolg darzustellen. (Wenn es denn irgendwann kommt und umgesetzt wird.)

Das erklärte Ziel der Initiative „#Aufbruch Fahrrad“ ist, den Radverkehrsanteil in NRW von derzeit landesweit rund acht Prozent auf 25 Prozent zu steigern – bis 2025! Zur Erreichung dieses Ziels hat die (Volks-)Initiative neun Maßnahmen beschrieben, die umgesetzt und in einem Fahrradgesetz des Landes verankert werden sollen.

Die „Neun Maßnahmen“ der Initiative „#Aufbruch Fahrrad

1. Mehr Verkehrssicherheit auf Straßen und Radwegen
2. NRW wirbt für mehr Radverkehr
3. 1000 Kilometer Radschnellwege für den Pendelverkehr
4. 300 Kilometer überregionale Radwege pro Jahr
5. Fahrradstraßen und Radinfrastruktur in den Kommunen
6. Mehr Fahrrad-Expertise in Ministerien und Behörden
7. Kostenlose Mitnahme im Nahverkehr
8. Fahrradparken und E-Bike Stationen
9. Förderung von Lastenrädern

Der Landtag hatte das Anliegen der Volksinitiative „#Aufbruch Fahrrad“ Anfang September an den Verkehrsausschuss verwiesen. Dieser wiederum empfahl dem Plenum in seiner Beschlussempfehlung vom 20.11.2019 „dem Anliegen der Volksinitiative mit der Kurzbezeichnung „Aufbruch Fahrrad“ zu folgen.“

Genau dies hat der Landtag in seiner Sitzung am 18.12.2019 gegen die Stimmen der AfD gemacht. Weiterhin hat der Landtag mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD allerdings auch den „Entschließungsantrag“ von CDU/FDP angenommen. Die Grünen stimmten dagegen, die AfD enthielt sich. (Grüne und AfD hatten eigene Entschließungsanträge eingebracht, die allerdings erwartungsgemäß keine Mehrheiten fanden. Es stimmten jeweils nur die eigenen Fraktionen dafür.)

In der Beschlussfassung des Antrags von CDU/FDP heißt es:

„Der Landtag beauftragt die Landesregierung, noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz zu erarbeiten und in den Landtag einzubringen, das die Forderungen der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ aufgreift. Dabei ist insbesondere darauf Wert zu legen, wie die Aspekte der Verkehrssicherheit auf Straßen und Radwegen, der Werbung für die verstärkte Nutzung des Rads, des Ausbaus der Fahrrad- und Fahrradwegeinfrastruktur inklusive Abstellmöglichkeiten, der Aufstellung eines Radwege-Bedarfplans für ein überregionales Radwegenetz, des Aktionsplans Nahmobilität sowie der Förderung von Lastenrädern zukünftig eine gesetzliche Grundlage erhalten können. Die Belange des Radverkehrs sind dabei im Kontext mit anderen Formen der Nahmobilität zu sehen.“

Man darf gespannt sein…

…wie die neun Maßnahmen in Gesetzesform aussehen werden. Und wieviel von ihnen übrig bleibt, nachdem Haushalts-Jongleure, Lobbyisten und Juristen alles spruchreif geklopft haben. Wenn ich schon lese, dass die Forderungen der Volksinitiative nur „aufgegriffen“ werden sollen, kann ich mir schon ungefähr ausmalen, in welche Richtung die Gesetzgebung gehen wird. Und dass gerade auf die Forderung nach „Mehr Fahrrad-Expertise in Ministerien und Behörden“ anscheinend nicht besonderer Wert gelegt werden soll, lässt auch nichts Gutes vermuten. Aber wahrscheinlich bin ich einfach zu pessimistisch.

Deutlich progressiver las sich der „Entschließungsantrag“ von Bündnis 90/Die Grünen. „Dem Anliegen der Volksinitiative mit der Kurzbezeichnung „Aufbruch Fahrrad“ wird gefolgt. Die Ziele der Volksinitiative werden verbindlich in ein Fahrradgesetz für NRW aufgenommen.“ Ziemlich unmissverständlich. Zusätzlich hatten sie noch diverse Eckpunkte zur Konkretisierung und Beschleunigung sowie die jährliche Evaluation der Maßnahmen in ihren Antrag einfließen lassen.

Man darf auch gespannt sein, wann mit dem ersten konkreten Gesetzentwurf zu rechnen ist. Soll ja noch innerhalb dieser Legislatur, also bis 2022 – wenn nichts dazwischen kommt – geschehen. Dass darauf nicht gewartet werden kann, müsste auch allen klar sein, die das Ziel 25% bis 2025 befürwortet haben. Die Zeit wird knapp!

Insbesondere wird es eng, wenn nicht umgehend auch diverse Verwaltungs- und Bauvorschriften, Genehmigungsverfahren etc. (ich bin kein Jurist) mit geändert werden. So wie ich das (lokal und national) beobachte, sind Bauprojekte in Deutschland doch eher langwierige Geschichten. Zumal wenn sie auch noch in bestehende (geliebte und internalisierte) Strukturen (und Denkmuster) eingreifen müssen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Da müssen wir einfach etwas „niederländischer“ werden und Dinge einfach machen anstatt sie totzudiskutieren.

Sehr interessant wird in dieser Beziehung sein, wie das neue Landesgesetz kommunal umgesetzt wird bzw. umgesetzt werden kann. Da muss das Land wirklich gut investieren. Nicht nur in Personal, KnowHow, Verordnungen und grundsätzliche Überzeugung (intern&extern), sondern vor allem auch finanziell! Dafür finde ich den grünen Balken da unten noch ziemlich klein. Und irgendwie sind die Proportionen auch ziemlich schräg…

Quelle: ProRad Düren

Ich denke, die Sache mit der angeblich politisch so gewollten „Verkehrswende“ und dem „Umweltverbund“ wird nur funktionieren, wenn es zu einem radikalen gesamtgesellschaftlichen Perspektivwechsel hinsichtlich unserer Mobilität und Lebensqualität in den Städten kommt. Weg vom autozentrierten Blick, der jahrzehntelang dominiert hat. Hin zum Blick auf die Menschen, die sich in den Städten aufhalten. Das scheint mir aber eher ein langfristiges bis nahezu utopisches Projekt zu sein. Irgendwie bin ich noch skeptisch, was das neue Fahrradgesetz betrifft…

Hier der Link zum BMVI-Referentenentwurf.

Einiges aus dem Referentenentwurf ist ja bereits auf deutliche Kritik gestoßen. Zum Beispiel § 12: „In Absatz 4 wird nach Satz 2 folgender Satz eingefügt: „Fahrräder sind außerhalb von Seitenstreifen und Fahrbahnen abzustellen.““ Siehe StVO-Änderung: Wo darf ich künftig mein Fahrrad parken? / Pressedienst Fahrrad. Weitere Kommentare zum Entwurf bspw. im Blog DS-pektiven.

Wir werden gespannt beobachten, was so alles im Fahrradgesetz für NRW stehen soll, wann das Gesetz in Kraft tritt und wann mit mit konkreten, kurzfristigen Maßnahmen begonnen wird!