Voll über Rot! Oder auch nicht…
Vor einiger Zeit bekam ich Post vom Kreis Düren. Das Amt für Recht, Ordnung und Straßenverkehr meldete sich mit einem Anhörungsbogen wegen eines gegen mich eröffneten Bußgeldverfahrens:
Ihnen wird zur Last gelegt, am 30.08.2024 um 10:03 Uhr in Düren, Philippstraße, Höhe HausNr. 27 als Radfahrerin/Radfahrer folgende Verkehrsordnungswidrigkeit(en) nach § 24 StVG begangen zu haben: Sie missachteten als Radfahrer das Rotlicht der Lichtzeichenanlage. Die Rotphase dauerte bereits länger als 1 Sekunde an. § 37 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 132a.3 BKat
Anhörungsbogen, 06.09.2024
Gemeint ist die Ampel an der Einfahrt zum StadtCenter bzw. zur Evangelischen Gemeinde, stadteinwärts von der Philippstraße in die Kuhgasse.
Selbstzweifel
Als Beweismittel wurden aufgeführt: Zeugenaussage, Foto/Video. Der Zeuge muss wohl ein Polizeibeamter gewesen sein, denn hinter dem Namen steht „RBe“, was wohl soviel heißt wie „Regierungsbeschäftigter“ (Polizist). Laut Bemerkung/Tatfolgen wurde eine „DashCam-Aufzeichnung im VK Jülich gesichert“.
Die Ampel kenne ich ziemlich gut, weil sie auf meiner täglichen Pendel-Strecke liegt. Bin ich schon x-mal drüber gefahren. Je nachdem was die Ampel gerade anzeigt, biege ich da mal links ab, mal fahre ich erst geradeaus auf der Fahrbahn bis zur Fußgänger-Ampel, um dort die Straße zu queren. Aber bei Rot? Ist eigentliche nicht meine Art, will/kann ich aber auch nicht 100%ig ausschließen. Kann schon sein, dass ich mal etwas zu spät dran war und sie doch noch schnell links rüber genommen habe, bevor die Autos hinter mir wieder anfahren. Kommt ja in den besten Familien vor… Aber nach mehr als einer Sekunde Rotphase? Wer weiß? Was ist schon eine Sekunde?
Einen Moment hatte ich überlegt, mal in meinen Videos zu stöbern, die ich ab und zu mit einer auf dem Lenker befestigten GoPro mache. Vielleicht habe ich mich ja selbst beim Über-Rot-Fahren gefilmt? Eher unwahrscheinlich, obwohl ich an der Ampel tatsächlich ab und zu mal kurze Clips oder Fotos mache, um etwas authentisches Bildmaterial für den Blog und die politische Arbeit zu bekommen. Dort wird nämlich notorisch viel zu eng überholt, kaum ein Autofahrer hält sich dort an den Überholabstand.
Einschub: Hinter der Ampel findet man die klassische Situation, die man in Düren dank der Jahre langen „Schutz“streifen-Offensive an vielen Stellen erleben darf. Wie bspw. auch auf der Aachener Straße, der August-Klotz-Straße, der Schenkelstraße… Eine (!) überbreite Fahrspur, die aber zweispurig von Pkw&Lkw befahren wird. Am Rand viel zu schmale „Schutz“- oder „Mehrzweck“streifchen für die letzten verbliebenen Radfahrer, die sich dort überhaupt noch trauen zu fahren. Im Grunde sind das all die Straßen, von denen im aktuellen Koalitionsvertrag „Zukunft Düren 2020-2025“ zu lesen ist:
„Alle vierspurigen und überbreiten Straßen sollen auf zwei Fahrspuren für den motorisierten Verkehr für sichere Fahrradwege zurückgebaut werden. Die Achse August-Klotz Straße bis Birkesdorf, die Stürtzstraße und die alte B56 werden zuerst in Angriff genommen.„
Wenn, wie zu meinen üblichen Zeiten eigentlich immer, beide Spuren befahren werden, können die auf der rechten Spur fahrenden Autofahrer Radfahrende gar nicht überholen und gleichzeitig den vorgeschriebenen Abstand von 1.5m einhalten. Dafür ist einfach nicht genügend Platz vorhanden. Falls sie nicht auf die linke Spur ausweichen können, müssten sie also hinter dem Radverkehr bleiben. Was natürlich keiner macht. Weder hier noch sonst irgendwo. Obwohl dadurch gar kein Zeitverlust entstünde, denn die nächste rote Ampel (Musikschule, Pleußmühle, Polizei, Kaufhof…) ist immer nur wenige Meter entfernt.
Da ich das Bildmaterial von der GoPro aber aus Datenmüll- und Datenschutz-Gründen immer direkt lösche, nachdem ich mir ggf. schnell ein paar Screenshots für den Blog gesichert habe, habe ich den Gedanken ans Auffinden eigener „Beweismittel“ schnell wieder verworfen.
Was soll´s dachte ich mir. Wenn die Polizei ihr eigenes Dashcam-Video gemacht hat und es ein Polizeibeamter auch noch bezeugt, dann wird das wohl so gewesen sein. Muss man akzeptieren und seinen Fehler eingestehen. Also habe ich den Anhörungsbogen entsprechend ausgefüllt und noch eine kleine „Erklärung zur Sache beigefügt…
Erklärung zur Sache:
Dies dient nicht als Versuch der Legitimierung meiner Rotlicht-Fahrt per Fahrrad, sondern soll nur die widrigen Umstände an dieser Lichtsignalanlage für Radfahrende erklären.
A) Beim Wechsel von der Nebenanlage auf die Linksabbiegerspur Richtung StadtCenter gibt es kein Grün-Signal. Dass eine Querung möglich ist, wird allein durch das Erlöschen des Rot-Abbiegesignals vermittelt.
B) Um auf die Linksabbiegerspur zu gelangen, muss man als Radfahrer eine durchgezogene Linie überfahren, um dann erneut an der roten Ampel warten zu müssen.
C) Viele Radfahrende entscheiden sich aufgrund der widrigen Umstände beim Linksabbiegen dazu, erst geradeaus zu fahren, um dann hinter der Ampel auf den Gehweg zu wechseln, um die dortige Fußgänger-Ampel als indirekte und unkomfortable Abbiegemöglichkeit zu nutzen. Viele Radfahrende bleiben Infrastruktur-bedingt sogar auf dem Gehweg bis zur Fußgängerampel.
Der Wechsel von der Nebenanlage auf die Fahrbahn (nicht mehr aktuellen Richtlinien entsprechender „Mehrzweckstreifen“, der kaum noch erkennbar ist) ist per se gefährlich, da sich der motorisierte Verkehr auf der rechten Spur regelmäßig nicht an den vorgeschriebenen Mindest-Überholabstand hält. Dieses Thema wurde und wird von der ADFC-Ortsgruppe wiederholt bemängelt und in die zuständigen Gremien gebracht. Außer einer Erneuerung des Pollers vor der Ampel, die nicht zu Verbesserung der Situation beigetragen hat, ist bisher trotz der offensichtlichen Gefährdungslage nichts geschehen.
Da dies mein täglicher Arbeitsweg ist, beobachte ich ständig Pkw und andere Motorisierte, die die Ampel(n) bei Rotlicht überfahren. Dies soll kein Whataboutism sein, sondern ist verbunden mit der Bitte (ebenfalls wiederholt vom ADFC Düren kommuniziert), endlich Rotlicht-Knipser an dieser (und vielen weiteren) Ampel(n) zu installieren. Zusammenfassend: Schlechte Infrastruktur führt zu schlechtem Verhalten. Dass dies auch mich als ADFC-Aktiven einschließt, bedauere ich. Zukünftig werde ich mich strikt an die StVO halten und ggf. infrastrukturell bedingte Umwege und Wartezeiten in Kauf nehmen.
Mit freundlichen Grüßen…
Zweifel
Nachdem ich das Ding auf den Weg gebracht hatte, kam mir eins allerdings etwas suspekt vor. Nicht, dass ich entgegen meiner Gewohnheit bei Rot links abgebogen sein könnte, sondern dass ich die Post vom Ordungsamt überhaupt bekommen habe. Schon seltsam. Ich bin doch gar nicht von der Polizei angehalten worden und mein Fahrrad hat kein Nummernschild. Wie kommen Ordnungsamt und/oder Polizei eigentlich darauf, dass der, der da über Rot gefahren ist, ich bin? Wie konnten sie die Tat meiner Person zuordnen? Mein Rad ist zwar ein wenig auffällig, weil es mit vielen Aufklebern verziert ist. Aber woher sollten die Beamten wissen, dass das mein Rad ist, oder wer ich bin? Der Name des als Zeuge genannten Polizeibeamten sagt mir auch nichts. Seltsam.
Weil ich das gerne einmal nachvollziehen wollte, habe ich eine Mail an das zuständige Amt und später auch an die Polizei geschickt, aber auch nach mehrfacher Nachfrage über mehrere Wochen hinaus keinerlei Antwort bekommen. Irgendwann gelang es mir dann doch, die zuständige Sachbearbeiterin telefonisch zu erreichen. Sie war so nett, mir die Rückmeldung der Polizei weiterzuleiten:
Sehr geehrte Frau (Sachbearbeiterin), sehr geehrte Damen und Herren,
Rückmeldung Kreispolizeibehörde
der Betroffene (Anmerkung: ich) erstattete am 31.08.2024 eine Online-Anzeige gegen den Fahrer eines Lastkraftwagens wegen zu geringen Seitenabstands. Er führte sich nach seinen eigenen Angaben als Radfahrender auf. Der Betroffene übermittelte mit dieser Online-Anzeige ebenfalls eine Videoaufzeichnung seiner am Fahrrad befindlichen Dash-Cam. Aus der Aufzeichnung ergab sich, dass der Anzeigenerstatter bei einer für ihn als Fahrradfahrer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage die Straße befahren hat. Der Fahrer des Lastkraftwagens hatte nach hiesiger Würdigung keine Gelegenheit für ein Ausweichmanöver. Die Schaltung der Ampelanlage wurde durch die hiesigen Polizeibeamten vor Ort in Augenschein genommen. Es wurde dabei festgestellt, dass die Schaltung der Lichtzeichenanlage so konzipiert ist, dass der fließende Verkehr durch separate Lichtzeichenanlage zum Stillstand kommt, wobei die Fahrradfahrer dann bei Grünlicht zeigender Lichtzeichenanlage gefahrlos die Straße befahren können.
Die Zuordnung der Person als Betroffener (Führer des Fahrrads) ergibt sich somit aus seinen eigenen Angaben in der Online-Anzeige. Mit freundlichen Grüßen…
Noch mehr Zweifel: Antwort erzeugt Fragen
Okay, damit hat sich die Frage nach der Identifizierung meiner Person geklärt.Ich wurde gar nicht auf frischer Tat ertappt und gefilmt, sondern habe mich quasi selbst beschuldigt, indem ich meiner Online-Anzeige Bildmaterial beigefügt habe. So blöd muss man erstmal sein…! 🥳
Rot, Grün, Irgendwas?
Allerdings stellte sich der eigentliche Tatvorwurf (Fahrt über Rotlicht) damit auch komplett anders dar, als ich ihn bisher verstanden hatte. Ich war ja aufgrund des Anhörungsbogens die ganze Zeit davon ausgegangen, dass ich (angeblich) beim Linksabbiegen in Richtung StadtCenter über die rote Radfahrer-Ampel gefahren (und dabei beobachtet worden) sei. An einen Zusammenhang mit meiner Anzeige gegen den Lkw-Fahrer, der mich hinter dieser Ampel mit nur wenigen Zentimetern Abstand überholt hat, hatte ich bis dahin gar nicht gedacht. Da bin ich ja auch geradeaus gefahren und nicht links abgebogen. Es geht also um mein Geradeausfahren über eine (angeblich) rote Ampel, nicht ums Linksabbiegen bei Rot. Aha.
Die Antwort der Polizei auf meine Frage nach der Identifizierung meiner Person, führte also zwangsläufig zu ganz neuen Fragen:
- Bin ich wirklich bei Rotlicht zeigender Ampel vom Radweg auf die Straße aufgefahren? (Ist das geradeaus überhaupt möglich?)
- Welche „Grünlicht zeigende Lichtzeichenanlage“ meint die Polizei überhaupt?
- An wen richten sich die beiden Fahrrad-Ampeln, von denen die Rede ist, jeweils? Linksabbieger, Geradeaus-Fahrer, Gehweg-Radfahrer?
- Was sagt das Video, das ich nun doch noch heraussuchen konnte, da ich es aufgrund meiner Anzeige noch nicht gelöscht hatte, sondern es sogar teils im Blog veröffentlicht hatte?
Schauen wir uns die Ampel nochmal an:
Die Ampel besteht aus zwei separaten Fahrrad-Ampeln. Die linke Fahrrad-Ampel mit dem waagerchten Pfeil nach links signalisiert meistens Rot, nämlich immer dann, wenn die Autos Grün haben. Haben die Autos Rot, erlischt das Fahrrad-Links-Rotlicht. Bevor es wieder anspringt, wird darunter für 2-3 Sekunden mit dem gleichen Zeichen gelb geblinkt, als Hinweis darauf, dass man gleich wieder Rot bekommt. Die rechte Ampel mit dem gelben Pfeil schräg nach oben bzw. schräg nach vorne schaltet sich aus, nachdem die Auto-Ampel auf Rot gewechselt ist. Sobald die Auto-Ampel wieder Grün zeigt, blinkt diese Ampel unentwegt.
Das hat für mich bisher auch durchaus Sinn ergeben, denn ich wäre und bin noch nie auf den Gedanken gekommen, dass sich die linke Abbiege-Ampel mit dem waagerechten Pfeil nach links auf die Geradeaus-Weiterfahrt auf der Fahrbahn bzw. dem Mehrzweckstreifen beziehen könnte. Dafür gibt es ja die rechte Ampel, die auf vorsichtiges Einfädeln vom Radweg auf die Fahrbahn hinweisen soll. So interpretiere ich sie zumindest.
Das scheint die Polizei, die sich sogar die Mühe gemacht hat, die Ampel vor Ort in Augenschein zu nehmen, allerdings ganz anders zu sehen. Aus der Polizei-Rückmeldung geht leider nicht hervor, welche „Grünlicht zeigende Lichtsignalanlage“ gemeint sein soll. Die Fahrrad-Ampel verfügt überhaupt kein Grünlicht.
Lese ich die Polizei-Antwort richtig, soll die linke Rad-Ampel also durch den waagerechten Pfeil nach links inklusive Rotlicht signalisieren, dass das Einfädeln geradeaus auf die Fahrbahn verboten ist. Das hieße im Umkehrschluss allerdings, dass ich mich nur vom Radweg auf die Fahrbahn einfädeln darf, wenn diese Ampel gar nicht leuchtet, die Autos also Rot haben und stehenbleiben müssen. (Wie gesagt: Es gibt keinerlei Grünlicht an der Fahrrad-Ampel.) Falls dem so sein sollte, hieße das wiederum, dass ein Wechsel vom Radweg auf die Fahrbahn nur in den ca. 15 Sekunden gestattet ist, während derer die Autos Rot haben. Während der gesamten Grünphase für Pkw soll Radfahrenden das Wechseln auf den Mehrzweckstreifen also verboten sein? Das kann ich kaum glauben. Schließlich wurde die Ampel mal als „innovative“ Fahrradweiche bezeichnet. Allerdings zu einer Zeit, in der es dort noch separate Führungen für den Radverkehr gab – eine Linksabbiegespur (linke Fahrrad-Ampel) und eine Einfädel-Spur zum Wechsel auf die Fahrbahn (rechte Fahrrad-Ampel).
Hier ein Foto aus dem Klimaschutzteilkonzept „Klimafreundliche Mobilität in Düren:
Benutzungspflichtiger Radweg?!
Diese Führung aka „Fahrradweiche“ wurde im zentralen städtischen Verkehrskonzept also „innovativ“ genannt. 🥳 Damals war der Mehrzweckstreifen ab der Fahrrad-Ampel übrigens noch eindeutig als benutzungspflichtiger Radweg gekennzeichnet. Das Schild unter der Ampel ist wahrscheinlich irgendwann mal verschwunden, nachdem die generelle Radwegebenutzungspflicht schon längst aufgehoben worden war, bzw. nachdem festgestellt wurde, dass sich lächerlich schmale, den technischen Regelwerken widersprechende „Schutz“- und „Mehrzweck“streifchen nicht als benutzungspflichtiger Radweg qualifizieren. Wie dem auch sei. Das alte Bild von der „innovativen“ Ampel bestärkt mich in meiner bisherigen Wahrnehmung, dass es sich bei der linken Ampel um die für´s Linksabbiegen handelt und bei der rechten um die für´s Einfädeln bzw. Geradeausfahren.
Allerdings komme ich ein wenig ins Grübeln. Kann es vielleicht doch sein, dass die Polizei Recht hat und mich der waagerechte rote Pfeil nach links darauf hinweisen soll, dass ich gerade nicht geradeaus auf die Fahrbahn wechseln darf? Was hieße das aber für die rechte Ampel, die sich dann ja wohl nicht auf das Geradeausfahren beziehen kann? Etwa dass diese darauf hinweist, dass ich dort als Radfahrer auf dem Gehweg weiterfahren soll? Genau das machen viele Radfahrende dort. Bisher dachte ich, sie tun das, weil ihnen der Wechsel auf die Fahrbahn (aus guten Gründen) viel zu gefährlich erscheint. Dass sie sich von der Ampel auf den Gehweg geleitet fühlen könnten, kam mir bisher gar nicht in den Sinn. Offenbar sieht es die Polizei jedoch so. Habe ich mich all die Jahre, die ich dort fast täglich unterwegs bin, grundsätzlich geirrt?
Wenn ich mir den Gehweg anschaue, auf dem mich die Polizei mutmaßlich gerne fahren sehen würde, kann ich das kaum glauben. Denn der Gehweg verengt sich hinter der Fahrrad-Ampel rapide. Das soll ein gemeinsamer Rad- und Gehweg sein? 🤷🏼♂️ Come on! Erst kommt eine Parkplatz-Ausfahrt, dann die Fahrbahn-Ampel, die sich fast mittig auf dem Gehweg befindet, dann die Fußgänger-Ampel, vor der nicht nur zu Fuß Gehende warten, sondern auch die Radfahrenden, die sich dazu entschieden haben, auf dem Gehweg weiterzufahren, statt an der fraglichen (und fragwürdigen) Fahrrad-Ampel auf den gefährlichen Mehrzweckstreifen aufzufahren bzw. direkt dort links abzubiegen.
Hier soll ich mir nach Polizei-Meinung also den Gehweg mit Fußgängern teilen? Darauf soll die rechte Fahrrad-Ampel hinweisen? Verstehe ich das richtig? Welchen Sinn macht es dann eigentlich, dass die rechte Ampel ausgeht, sobald die Auto-Ampel davor auf Rot springt? Sollte ich mich etwa weniger um die Fußgänger auf dem (angeblich) gemeinsamen Rad-Gehweg scheren, nur weil die Pkw auf der Fahrbahn gerade Rot haben? Welche Logik haben die Polizeibeamten bei ihrer Vor-Ort-Besichtigung hinter dieser Schaltung entdeckt?
Für meine „Theorie“ (linke Ampel gilt für Linksabbiegen, rechte Ampel für Schräg-Geradeaus-Einfädeln auf die Fahrbahn) spricht auch, dass der Bordstein an der Fahrrad-Ampel komplett abgeflacht ist – wohl damit Radfahrende hier (Fahrradweiche) auf die Fahrbahn wechseln können/sollen.
Gehen wir mal ein paar Meter zurück. Vor der Eisenbahnunterführung werden Radfahrende vom Mehrzweckstreifen, den es nach heutigen Richtlinien so dort eigentlich gar nicht geben dürfte (worüber sich kein Polizeibeamter jemals aufregen würde), auf die Nebenanlage geleitet. Gekennzeichnet wird dies durch das blaue Schild „Getrennter Rad- und Gehweg“ (Zeichen 241-30). Als Trennstreifen dient eine im Nichts endende Abflussrinne.
Hier beginnt also der benutzungspflichtige Radweg. Aber wo hört er wieder auf? An der besagten Ampel? An der ersten oder zweiten Parkplatz-Einfahrt? An der Fußgänger-Ampel? An der Kreuzung Musikschule?
Übrigens…
…dürfte die „innovative“ Ampel den Behörden wohl (oder übel) bestens bekannt sein. Denn irgendwann ist irgendwem aufgefallen, dass es wohl doch nicht so „innovativ“ ist, den Radverkehr in einer Rechtskurve ohne jeglichen Schutz fast frontal hinter der Rad-Ampel in den (gerne zu schnell) fließenden Autoverkehr hineinzuleiten. Siehe nochmal folgendes Foto 1 der „Farradweiche mit Ampel“ aus dem Klimaschutzteilkonzept „Klimafreundliche Mobilität in Düren↗. Daraufhin wurden irgendwann zwei schmale Pollerchen installiert. Aber auch die reichten längst nicht aus, um die Autofahrer dazu zu bringen, den Radverkehr vernünftig zu beachten und sich an die Verkehrsregeln (1.5m Mindestabstand) zu halten. Es folgte eine noch auffälligere Bake auf einem massiven Sockel. Zwischendurch hatte es sogar eine kleine Demo gegen die fahrradfeindliche Infrastruktur an der Stelle gegeben. Gebracht hat das alles nichts.
Im April wurde ein Radfahrer übrigens an genau dieser Stelle von einem Lkw-Fahrer angefahren (0,00m Überholabstand) und beinahe überrollt. Diesmal hat es „nur“ das Fahrrad des 56-Jährigen erwischt.
Wieviele Beinahe-Unfälle es dort schon gab, die niemals angezeigt oder öffentlich bekannt wurden, weiß kein Mensch. Meine tagtägliche Beobachtung lässt vermuten, dass es viele sein müssen. Jedoch offenbar immer noch nicht genug, um Stadt, Polizei und lokale Verkehrspolitik dazu zu bewegen, die Stelle endlich mal sicher zu machen. Man wartet wohl noch sehnsüchtig auf den nächsten richtigen Unfall. Gibts es in Düren noch nicht genügend Ghost-Bikes?
Widerspruch
Aufgrund der neuen offenen Fragen – insbesondere auch aufgrund der fragwürdigen polizeilichen Interpretation der ganzen Sache – blieb mir leider nichts Anderes übrig, als doch noch Widerspruch einzulegen.
Was mir auch noch nicht ganz klar geworden ist, ist die Motivation der Polizei, mich proaktiv anzuzeigen – aufgrund meiner Anzeige gegen einen viel zu eng überholenden Lkw-Fahrer. Die Behauptung, „Der Fahrer des Lastkraftwagens hatte nach hiesiger Würdigung keine Gelegenheit für ein Ausweichmanöver“, ist aus meiner Sicht ebenfalls ziemlich fragwürdig, zeigt das Video des Vorfalls doch, dass die linke Fahrspur frei war, der Lkw-Fahrer aber weder auf diese ausgewichen ist, noch irgendwelche Anstalten gemacht hat, seine Geschwindigkeit zu reduzieren. Obwohl ich fast vier Sekunden vor ihm auf die Fahrbahn eingefädelt bin. Das riecht ein bisschen nach Täter-Opfer-Umkehr…
Widerspruch:
Sehr geehrte XXXXXXXX,
hiermit widerspreche ich dem Vorwurf einer Rotlichtfahrt per Fahrrad, da sich diese inzwischen gänzlich anders darstellt, als mich die Schilderung im Anhörungsbogen (06.09.2024) vermuten ließ.
Laut Anhörungsbogen missachtete ich als Radfahrer das Rotlicht der Lichtzeichenanlage. Demnach war ich davon ausgegangen, dass ich beim Linksabbiegen in Richtung Kuhgasse über Rot gefahren wäre. Nun stellt sich aufgrund der Stellungnahme der Polizei allerdings heraus, dass ich nicht beim Linksabbiegen, sondern beim Geradeausfahren (Einfädeln auf die Fahrbahn (Mehrzweckstreifen) Philippstraße) über Rot gefahren sein soll. Hierzu sei angemerkt, dass die Lichtsignalanlage für Radfahrende, die geradeaus fahren bzw. auf die Fahrbahn wechseln, gar kein Rotlicht hat. Die Lichtsignalanlage mit Rotlicht für Radfahrende weist einen horizontalen Pfeil nach links auf, weshalb ich davon ausgehen muss, dass sich dieser auf das Linksabbiegen in Richtung Kuhgasse bezieht und nicht auf das Geradeausfahren.
Da sich auf der Fahrbahn eine Markierung (Mehrzweckstreifen) befindet und es einen Poller gibt, der den MIV offensichtlich auf den Mehrzweckstreifen bzw. sich dort einfädelnde Radfahrende hinweisen soll, gehe ich davon aus, dass Radfahrende dort auf die Fahrbahn übergeleitet werden sollen, für sie also das orange blinkende Lichtsignal schräg nach vorne gilt. Hierfür spricht auch, dass es hinter der Radfahrenden-Ampel keinerlei Trennung des vorher noch gemeinsamen, getrennten Rad-/Gehwegs auf der Nebenanlage gibt.
Der Gehweg ist hinter der Ampel (ab der dritten Ampel) zudem so schmal, dass eine gemeinsame Nutzung von Radfahrenden und Fußgängern praktisch nicht möglich ist, was mich ebenso dazu verleitet, diesen nicht zu benutzen wie die davor liegende Parkplatz-Ausfahrt. Sollte es tatsächlich so sein, dass sich das orange blinkende Lichtsignal darauf bezieht, mit dem Fahrrad auf dem Gehweg weiterfahren zu sollen anstatt auf den Mehrzweckstreifen zu wechseln, habe ich die Signalanlage falsch interpretiert.
Ich gehe nach wie vor davon aus, dass mich das orange blinkende Signal auf Vorsicht beim Einfädeln auf den Mehrzweckstreifen hinweist und das Rotlicht-Signal auf die Nicht-Möglichkeit zum Linksabbiegen. Eine gemeinsame Nutzung von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden kann ich mir beim besten Willen unter den gegebenen Voraussetzungen kaum vorstellen. Hiergegen spricht aus meiner Sicht auch, dass das orangene Blinklicht nicht dauerhaft blinkt, was bei einer vorgesehenen Benutzung des Gehwegs durch Radfahrende und zugleich Fußgängern sinnvoll wäre, sondern dies offensichtlich mit der Auto-Ampel gekoppelt ist.
Ich bitte um Klarstellung bzw. Überprüfung, damit ich mich zukünftig regelkonform verhalten kann. Findet die Einfädelung Radfahrender auf die Philippstraße also auf Höhe der Parkplatzeinfahrt statt, oder muss ich mich nach der Fußgänger-Ampel einfädeln und bis dorthin auf dem Gehweg fahren, wenn ich in Richtung AugustKlotz- Straße mit dem Fahrrad geradeaus fahren möchte? Ist die Nutzung des Gehwegs auch hinter der Fußgänger-Ampel für mich als Radfahrenden erlaubt?
Mit freundlichen Grüßen…
Wie geht´s weiter?
Was das Bußgeldverfahren gegen mich betrifft: Geschenkt! Die Strafe samt Verwaltungsgebühren habe ich längst gezahlt und auch ein (erster) Punkt in Flensburg wäre mir vollkommen egal. Ob es irgendeinen Einfluss auf meine Anzeige gegen den Multitonnen-Zu-Eng-Überholer hat, falls mein Widerspruch erfolgreich ist? Keine Ahnung, werde ich wohl auch nie erfahren.
Viel wichtiger ist die Frage danach, ob sich an der Stelle etwas zum Besseren verändern wird? Nachdem die sogenannte „Unfallkommission“ (bestehend aus Fachamt, Polizei und Bezirksregierung?) die Kontrolle von Überholabständen bekanntlich nach einem einzigen Tag wieder eingestellt hat, und die sogenannte „Koalition Zukunft“, die mal so etwas wie eine Verkehrswende in Düren auf die Beine stellen wollte, letztens kläglich mit einem zaghaften Antrag, ihren Koalitionsvertrag an dieser Stelle teilweise umzusetzen, gescheitert ist, müssen wir wohl davon ausgehen, dass mal wieder gar nichts geschehen wird. Fraglich und offen bleibt auch, ob Radfahrende in Düren in der Polizei wirklich „Freunde und Helfer“ haben, oder ob bei ihr – wie auch in der lokalen Verkehrspolitik – gilt: In dubio pro Pkw & Lkw!
Fortsetzung folgt…
26. November 2024 um 12:51 Uhr
Ganz herzlichen Dank für diese ausführliche Recherche, also auch für die Lebenszeit, die Du dafür aufwendest!
Auch ich komme häufig mit dem Rad an dieser Stelle vorbei und habe ähnliche Fragen, die Du in dem Beitrag ansprichst.
27. November 2024 um 18:41 Uhr
Danke für die Rückmeldung! Mal sehen, wie es an dieser (und vielen anderen) Stelle(n) weitergeht… Fortsetzung folgt… 🙂