Wieder so ein Papier, das es eigentlich in sich hat, aber keinerlei Beachtung findet – weder im zuständigen “Fachausschuss”, noch in der allgemeinen (politischen, öffentlichen) Debatte und erst recht nicht in der praktischen Anwendung…
Ob sich daran etwas ändern wird, sobald aus dem neuerlichen “Arbeitspapier” bald (?) die novellierte Richtlinie geworden ist, bleibt abzuwarten. Nimmt man zur Kenntnis, dass schon die E Klima 2022 (s.u.) überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde, darf man skeptisch sein.
Hier geht´s zur E Klima 2022 und zu den dazugehörigen Steckbriefen zur E Klima 2022.
Worum geht´s (mal wieder)?
Im Grunde liefert das aktuelle Arbeitspapier einen Ausblick auf das, was bald als offizielles technisches Regelwerk der Verkehrsplanung anzuwenden ist. Und beschreibt damit gleichzeitig das, was schon heute, hier und jetzt zur Anwendung kommen könnte bzw. sollte.
Nachdem die “Empfehlungen für Anlagen des ruhenden Verkehrs” (EAR 23) bereits veröffentlicht wurden, sind nun die für kommunale Planung rechtlich noch deutlich verbindlicheren “Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen” (RASt 06) an der Reihe.
In der/den RASt wird alles Mögliche geregelt, was den innerstädtischen Straßenraum betrifft: Wie breit müssen Radfahrstreifen und Schutzstreifen mindestens sein, wieviel Sicherheitsabstand zu parkenden Pkw muss ausgewiesen werden und so weiter und so fort.
Das klingt alles nach ziemlich viel Kleinkram und das ist es auch. Dadurch bzw. darüber hinaus sind die RASt allerdings ein mächtiges, weitreichendes Instrument, denn sie regeln u.a. auch, wieviel Platz den verschiedenen Fortbewegungsmitteln zur Verfügung stehen soll.
Und sie geben dabei eine (neue, gänzlich andere) Priorisierung vor: Heutzutage spielen die (scheinbaren) Bedürfnisse der Autofahrer nämlich nicht mehr die prägende und das gesamte Regelwerk dominierende Rolle. Stattdessen werden Rad, Fuß & ÖPNV (Umweltverbund) dem Autoverkehr gegenüber bevorzugt behandelt und es gesellen sich Faktoren (bzw. gesellschaftliche & gesetzliche Anforderungen) wie Klimaschutz, nachhaltige Stadtentwicklung usw. an die Seite des Umweltverbunds.
Und nun?
Welche Folgen wird das alles für die politische Diskussion und Entscheidung bei uns vor Ort haben? Mal wieder überhaupt keine? Oder setzt sich der angebliche “Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik” nun doch endlich durch, nachdem er zwangsweise per Richtlinie angeordnet wurde? Aus echter politischer Überzeugung hinaus hat sich bzgl. “Paradigmenwechsel” hin zur Bevorzugung des Umweltverbunds gegenüber dem MIV bisher jedenfalls nicht viel getan. (Ist das dann eigentlich – endlich – auch der Todesstoß für die fragwürdige Dürener “Schutz”streifen-Strategie?)
Wahrscheinlich wird es (mal wieder) Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, “die Politik” (und Verwaltung?) daran zu erinnern, dass es da städtische Konzepte & Beschlüsse, neue Richtlinien usw. gibt, die man doch freundlicherweise bitte beachten möge. Ein Selbstläufer wird das mit Sicherheit nicht. Das haben die Erfahrungen der vergangenen Jahre deutlich bewiesen. Anders sähe es wahrscheinlich aus, wenn es sich um Pkw-freundliche Änderungen handeln würde, die die Entwicklung der Umweltverbund-Infrastruktur einschränken würden…
Diesmal gibt es hier keine weitere Textexegese. Och, wie schade! 😉 Wer mag, darf sich die neuen Handlungsempfehlungen für kommunale Verkehrspolitik natürlich gerne selbst durchlesen. Sie wurden genau dafür gemacht und kostenlos veröffentlicht. Es folgen nur ein paar Zitate und Links zur Einordnung…
Seit der Veröffentlichung der RASt 06 im Jahr 2007 wurden zahlreiche Forschungen zur Verkehrssicherheit innerstädtischer Verkehrsanlagen durchgeführt. Im Jahr 2022 hat die FGSV die „Empfehlungen zur Anwendung und Weiterentwicklung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen“ (E Klima 2022) veröffentlicht.
Quelle: FGSV-Verlag, Ad-hoc-Arbeitspapier zur Anwendung der RASt 06
Die RASt 06 befinden sich in der Überarbeitung und werden die Erkenntnisse aus den Forschungsvorhaben und die Ziele des Klimaschutzes gemäß den E Klima bei der Neufassung aufgreifen. Die Veröffentlichung des Arbeitspapiers dient dazu, in Kurzform über wesentliche Änderungen bei der Anwendung der RASt 06, die sich insbesondere aus der Forschung und den Impulsen des Steckbriefs zu den RASt 06 aus dem Anhang zu den E Klima ergeben, zu informieren und der Anwendungspraxis zur Verfügung zu stellen. (…)
Das Ad-hoc-Arbeitspapier richtet sich an alle Städte und Gemeinden und kann, individuell angepasst auf die typische Entwurfssituation, für jede Straßenkategorie Handlungsoptionen aufzeigen.
Die FGSV empfiehlt, bis zur Neufassung der RASt 06 die ergänzenden „Handlungsanleitungen zur Anwendung der RASt 06“ bei allen Planungsprozessen, die Stadtstraßen betreffen, zu berücksichtigen.
Aufgrund gewonnener Erkenntnisse und neuer Herausforderungen wie beispielsweise breitere Pkw, höheres Radverkehrsaufkommen, stärkere Verbreitung neue Verkehrsmittel wie Lastenräder oder Tretroller ist eine Aktualisierung der RASt 06 angezeigt. Daher wurde der Prozess einer Fortschreibung eingeleitet. Zur Unterstützung lief ein Forschungsprojekt. (…)
Vor dem Hintergrund der 2022 veröffentlichten E-Klima hat der Ausschuss das Ad-hoc-Papier „Ergänzende Handlungsanleitungen zur Anwendung der RASt 06“ erarbeitet, welches wesentliche geplante Änderungen der RASt vorwegnimmt.
FGSV 2.3 Stadtstraßen
Hintergrund
Im Zuge der stetig wachsenden Bedeutung des Klimawandels für die Lebenssituationen in den Städten und Gemeinden kommt der Unterstützung der Klimaschutzziele des Bundes auch bei der Straßenplanung eine immer größere Rolle zu. Die „Empfehlungen zur Anwendung und Weiterentwicklung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen“ (E Klima 2022) greifen das Thema auf. Sie geben mit den Steckbriefen im Anhang konkrete Hinweise, mit welchen Methoden aus den Regelwerken und Wissens- dokumenten schon heute bzw. durch welche Anpassungen in den technischen Regelwerken die Klimaschutzziele unterstützt werden können. Die drei maßgebenden Ziele sind die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen (THG), die Reduzierung des Energieverbrauchs und die Reduzierung des Material- und Ressourcenverbrauchs.Mit Hilfe der Planungs- und Entwurfsgrundlagen soll die zukünftige Angebotsqualität im Sinne eines nachhaltigen und verkehrsträgerübergreifenden Stadtverkehrs optimiert und gesteuert werden. Das betrifft insbesondere den Umbau von Stadtstraßen aber auch deren Neu- oder Rückbau. Kernelement ist eine deutliche Verbesserung der Situation für den Fuß- und Radverkehr sowie für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Dies soll erreicht werden durch Maßnahmen zur Steigerung der Verkehrssicherheit, der Aufenthaltsqualität sowie der Verkehrsqualität. Diese Maßnahmen sollen dazu führen, dass mehr Wege in den Städten und Gemeinden zu Fuß, mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden.
Dabei werden die neuen Forschungserkenntnisse zur Verbesserung der objektiven und subjektiven Sicherheit und des Komfortsdurch eine angepasste Gestaltung innerstädtischer Fußverkehrsanlagen, Radverkehrsanlagen, ÖPNV-Anlagen, Querungsanlagen, Knotenpunkte und ÖPNV-Beschleu- nigungsmaßnahmen berücksichtigt. Zudem ist es zweckmäßig, die Straßenräume künftig so zu entwickeln, dass sie zur Klimaresilienz der Städte beitragen. (…)
Förderung von Fußverkehr, Radverkehr und ÖPNV
Zur Erreichung von Klimaschutz- und Energieeinsparungszielen können attraktive Angebote für den Fuß- und Radverkehr sowie für den ÖPNV zu einer Änderung im Mobilitätsverhalten beitragen. Dazu ist es zweckmäßig, die Belange des Fußverkehrs, des Radverkehrs und des ÖPNV mit besonderer Priorität zu berücksichtigen, bzw. dann die Belange des fließenden und ruhenden Kfz-Verkehrs nachrangig zu betrachten. (…)
Für den Fuß- und Radverkehr sind durchgehend regelkonforme, insbesondere sichere und möglichst attraktive, barrierefreie Netze mit der zugehörigen Anbindung an Infrastrukturund Kultureinrichtungen, Wohnen und Gewerbe wünschenswert. Eine gemeinsame Führung von Fuß- und Radverkehr wird in der Regel nur außerorts und auf selbstständig geführten Wegen sinnvoll sein, auf straßenbegleitenden Wegen innerorts jedoch nur ausnahmsweise und unter Einhaltung der Ausschlusskriterien nach dem Abschnitt 6.1.6.4 der RASt und in Absprache mit der Straßenverkehrsbehörde.
Zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität empfiehlt es sich die Seitenräume stadtgestalterisch aufzuwerten, um die Akzeptanz der Anwohnerschaft zu steigern und den Transformationsprozess zur Förderung von Fußverkehr, Radverkehr und ÖPNV positiv zu begleiten. (…)
Ruhender Verkehr
Es empfiehlt sich, die Anzahl von Parkständen für den privaten Kfz-Verkehr im Straßenraum möglichst gering zu halten, um Flächen für andere umweltfreundliche Modi, für Aufenthalt, für Grünbereiche, für die Retention bzw. dezentrale Entwässerung zu gewinnen und ein Aufheizen von Straßenräumen zu verringern. Vor der Anlage von Parkflächen im Straßenraum ist entsprechend der Neufassung der EAR zu prüfen, ob dieser vermieden und auf fußläufig erreichbare zusammenhängende Parkflächen oder Parkbauten verlagert werden kann. Abstellanlagen für Fahrräder und Lastenräder hingegen können in Abhängigkeit zur städtebaulichen Randnutzung im unmittelbaren Umfeld vorgesehen werden.
Wenn Parken von Kfz im Straßenraum erforderlich ist, ist es zweckmäßig, die Parkstände baulich anzulegen oder zu markieren und das Parken am Fahrbahnrand möglichst zu vermeiden. (…)
Straßenräume mit Flächenknappheit
In beengten Situationen und bei Flächenkonflikten (sowohl punktuell als auch linear) ist es zweckmäßig, anstelle der Wahl einer durchgehenden Fahrbahnbreite auch einzelne Abschnitte (Orientierungslänge 50 bis 150 m) mit reduzierter Fahrbahnbreite anzustreben, um eine möglichst attraktive Infrastruktur für den Fuß- und Radverkehr anbieten zu können. Dies kann in Abstimmung mit der zuständigen Straßenverkehrsbehörde durch eine angeordnete redu-zierte zulässige Höchstgeschwindigkeit unterstützt werden. Sofern Belange des ÖPNV berührt sind, können Lichtsignalanlagen mit ÖPNV-Bevorrechtigung zur Anwendung kommen.
Ausschluss von Mindestmaßen
Um die objektive und subjektive Sicherheit und damit eine gesteigerte Nutzung von Fuß- und Radverkehrsanlagen zu gewährleisten, ist es zweckmäßig, die in den RASt angegebenen Regelmaße für Gehwege und Radverkehrsführungen anzuwenden und sie bei Flächenverfügbarkeit auch breiter auszuführen. Es wird empfohlen, die in den RASt angegebenen Klammerwerte für Radverkehrsanlagen sowie die Mindestmaße für Linienbus-Verkehrsräume nicht mehr anzuwenden.
Standardmäßig Sicherheitstrennstreifen
Wenn ruhender Verkehr nicht zu vermeiden ist, sind gemäß VwV-StVO Sicherheitsräume zu allen Arten der Radverkehrsführung vorzusehen – so auch bei Schutzstreifen und in Fahrradstraßen. Diese sind gemäß des Entwurfs der RMS, Teil: Stadtstraßen als Sicherheitstrennstreifen auszuführen. Es ist zweckmäßig, diese in einer Breite von mindestens 0,75 m auszuführen. Auch wenn Radverkehr in anderen Fällen im Mischverkehr auf der Fahrbahn geführt wird und eine Gefahrenlage durch Dooring-Unfälle mit Kfz-Türen absehbar ist, sind mindestens 0,75 m breite Sicherheitstrennstreifen neben markierten oder baulich ausgebildeten Flächen für den ruhenden Verkehr zweckmäßig. Die Anlage von Multifunktionsstreifen mit einer Regelbreite von 3,00 m, die diesen Sicherheitstrennstreifen inkludieren, bietet sich in solchen Fällen an. (…)
Ad-hoc-Arbeitspapier Ergänzende Handlungsanleitungen zur Anwendung der RASt 06 Ausgabe Februar 2024, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen Arbeitsgruppe Straßenentwurf
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