14,8 Milliarden Euro sollen in den kommenden zwei Jahrzehnten ins Rheinische Revier fließen, um den Strukturwandel im Übergang zur Nach-Braunkohle-Ära zu finanzieren. Man könnte von der „großen Transformation“ sprechen – in der Hoffnung, aus der Geschichte gelernt zu haben. Vgl. „The Great Transformation“, Karl Polanyi (1944)

Für den 2. November hatte die Zukunftsagentur Rheinisches Revier zum 2. Revierforum eingeladen. Aufgrund der Corona-Pandemie nicht in Präsenz, sondern online via Microsoft Teams. Thema und gleichzeitig Ziel der Veranstaltung war die sogenannte Bürgerbeteiligung. Eigentlich ging es aber eher um.die engen Grenzen der Bürgerbeteiligung im (noch zu entwickelnden) Bürgerbeteiligungsverfahren und generell im ganzen Prozess.

Ziel des zweiten Revier-Forums ist es, gemeinsam an der Beteiligungscharta für das Rheinische Revier zu arbeiten.

Die sogenannte „Revier-Charta“ soll die Leitlinien für die zukünftige Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Rheinischen Revier bilden. Sie soll als eigenes Kapitel in die neue Version des Wirtschafts- und Strukturprogramm (WSP) einfließen.

Quelle: Newsletter „Rheinisches Revier“

Tagesordnung

…aus der Einladung zum 2. Revierforum.

Bevor es in die Kleingruppen ging (oder auch nicht) verdeutlichten die OrganisatorInnen des Revierforums, in welch engem Rahmen man heute diskutieren wolle, indem sie den rund 50 Teilnehmenden direkt die strukturellen Grenzen der Bürgerbeteiligung aufzeigten.


Screenshot Präsentation während des 2. Revierforums:
„Partizipation“ endet da, wo Entscheidung beginnt!

Bürgerbeteiligung soll nämlich nur im informellen Teil der großen Transformation stattfinden – da wo es um gegenseitige Information geht. Sobald die gewonnenen Informationen in tatsächliche Entscheidungen und Handlungen umgesetzt werden, hat die Zivilgesellschaft nämlich nichts mehr zu sagen und die Partizipation ist offiziell beendet.

Bereits während des ersten Teils der Veranstaltung tobte der Chat und es wurde eine intensive Parallel-Diskussion geführt, die die ModeratorInnen irgendwie versuchten live mit in die Tagesordnung einzubinden. Es hatte den Anschein, als sei die Diskussion im Chat viel interessanter, als die eigentliche Tagesordnung bis dahin.

Leider konnte ich nicht an einer der Kleingruppen teilnehmen, da es anscheinend ein technisches Problem gab.


Irgendwann bin ich dann doch wieder ins Plenum reingekommen und habe noch einen Teil der Zusammenfassungen aus den Kleingruppen mitbekommen.

Screenshot: Zusammenfassung eines Kleingruppen-Ergebnisses.

Erinnerte mich irgendwie stark an die Veranstaltung „Von der Braunkohle zum Silicon Valley Deutschlands? Nachhaltiger Strukturwandel ist Gemeinschaftsaufgabe“ (Forum Politik, 02.03.2020). Zumindest bzgl. der geäußerten Kritik am „Leitbild“ und am Bürgerbeteiligungsprozess.

Dort wurden ganz ähnliche Fragen gestellt und diskutiert wie beim Revierforum. „Nur ein kleines Stück vom Kuchen?“ hatte ich den Artikel für den Gemeindebrief der Evangelischen Gemeinde zu Düren damals betitelt.


„Von der Braunkohle zum Silicon Valley Deutschlands? Nachhaltiger Strukturwandel ist Gemeinschaftsaufgabe“, 02.03.2020
(Artikel erschienen im Gemeindebrief der Ev. Gemeinde zu Düren, Ausgabe April/Mai 2020)

Ralph Sterck (FDP),
MdR der Stadt Köln und
Geschäftsführer der Zukunftsagentur Rheinisches Revier

Irgendwie scheint das Kuchenstück im letzten Dreivierteljahr nicht größer geworden zu sein. Und viele der gestellten Fragen scheinen noch unbeantwortet:

Wer entscheidet eigentlich über die Fördermittelvergabe – also wer sollte im Aufsichtsrat der Zukunftsagentur sitzen, um eine „faire“ Verteilung zu gewährleisten? Wer definiert eigentlich was „fair“ ist? Wie kommt man eigentlich an die „Kohle“ ran – als kleine Bürgerinitiative o.Ä.? Nach welchen konkreten Kriterien werden die Mittel vergeben – oder auch nicht? Welches übergeordnete Leitbild steckt hinter dem ganzen Prozess? Wie wird Zivilgesellschaft in die verschiedenen Prozessebenen inklusive der Entscheidungsebene angemessen eingebunden? Wie sieht´s mit der Transparenz aus, wer veröffentlicht da was und wie zugänglich ist der ganze Kram für Otto-Normal-Mensch? Gibt´s das alles auch in leichter Sprache? Und in anderen Sprachen? Wer hilft einem eigentlich bei der Antragstellung oder sind die so einfach gestaltet, dass sie auch von „den Richtigen“ genutzt werden können? …

Die Grünen (bzw. Oliver Krischer) sahen sich im Sommer veranlasst, eine Petition unter dem Motto „Strukturwandel im Rheinischen Revier: Zivilgesellschaft in den Aufsichtsrat der ZRR (Zukunftsagentur) / Entscheidung über Strukturwandel-Milliarden nicht der alten Kohlelobby überlassen!“ zu starten.

Außerdem gab es bspw. eine Kleine Anfrage von Horst Becker (Die Grünen): Steht und stand der Geschäftsführer der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) für seine verantwortungsvolle Aufgaben im Rheinischen Revier wirklich zur Verfügung…

Sowie Stellungnahmen wie die von BUND/LNU/NABU oder des Mitweltausschusses des Kirchenkreises Jülich. (Die üblichen Querulanten also…)

Die Kritik:

Noch einseitiger geht es kaum mehr!

Die Zusammensetzung des Aufsichtsrates bedeutet, dass diejenigen, die noch vor kurzem den Kohleausstieg zu verhindern versuchten und ganz auf Linie des RWE waren, jetzt alleine über eine Zukunft ohne Kohle entscheiden sollen. Diese Personen und Institutionen repräsentieren weder das gesellschaftliche noch das politische Spektrum im Rheinischen Braunkohlerevier sondern die alte Kohlelobby.

Quelle: Petition „Entscheidung über Strukturwandel-Milliarden nicht der alten Kohlelobby überlassen!

Sounds familiar?

Engagierte Zivilgesellschaft in den Aufsichtsrat

Diejenigen, die seit Jahren und Jahrzehnten für den Kohleausstieg kämpfen und es mit ihrem Engagement erst möglich gemacht haben, von der Kohle weg zu kommen und letztlich so Milliarden an Strukturhilfen in die Region geholt haben, sind im Aufsichtsrat bisher gar nicht vertreten. Ob Umweltverbände, Kirchen, Bürgerinitiativen, Energiegenossenschaften, Frauen … die engagierte Zivilgesellschaft fehlt im Aufsichtsrat der ZRR vollständig.

Anscheinend ist zwar eine Ausweitung des Aufsichtsrats auf 27 Mitglieder geplant, aber eine Berücksichtigung der kohlekritischen Zivilgesellschaft ist weiterhin ebenso wie eine Frauenquote nicht vorgesehen.

Quelle: Petition „Entscheidung über Strukturwandel-Milliarden nicht der alten Kohlelobby überlassen!

Wie sieht´s denn aus? Wer steckt dahinter? Wer entscheidet über die millionenschweren Projekte und das große Ganze, das unser Revier „nachhaltig“ prägen wird?

  • Industrie- und Handwerkskammern: 6 Plätze
  • Landräte: 7 Plätze
  • Landesregierung: 4 Plätze
  • RWE: 1 Platz
  • IGBCE: 1 Platz
  • Zivilgesellschaft: 0 Platz!

Beim Revierforum wurden sehr schnell sehr grundsätzliche politische Fragen aufgeworfen. Es wurde richtig demokratietheoretisch. Interessant dabei waren nicht nur Ideen wie: anstelle der Landräte die lokalen Ausschüsse stärker zu beteiligen oder gar noch direktere zivilgesellschaftliche Partizipation zu gewährleisten.

Spannend waren auch die „Zwischentöne“. Zum Beispiel wenn der Moderator bezüglich der Partizipation von Zivilgesellschaft von „abgeschichteter“ Bürgerbeteiligung sprach. Manchmal verrät die Wahl der Worte ja viel mehr als der Sinn, den sie dann zusammengewürfelt ergeben sollen. Besonders wenn sie spontan und frei gesprochen werden, also entweder ganz direkt aus Überzeugung von innen kommen oder halt perfekt an(indok)trainiert sind.

„Abgeschichtete“ Bürgerbeteiligung. Toll!
„Abgesagte“ Bürgerbeteiligung wäre wahrscheinlich ehrlicher…

Facebook-Schnipsel:
(…)
Mag sein, dass die Klima-Allianz nur für „wenige Menschen“ spricht. (Was sich irgendwie in sich widerspricht, da es sich ja um eine breite Allianz unterschiedlichster zivilgesellschaftlicher Gruppierungen handelt.) Sie ist aber bei weitem nicht der einzige zivilgesellschaftliche „Player“, der massive Kritik äußert.Es mag aus Ihrer Sicht so sein, dass die Zivilgesellschaft „bei Kernthemen wenig zu suchen hat“. Da vertreten Sie genau die Haltung der Zukunftsagentur: Zivilgesellschaft nur im informellen Teil „beteiligen“, sobald es an Entscheidungen geht, ist die Zivilgesellschaft raus und Partizipation beendet. Auch Herr Sterck betont ja immer wieder, dass die Zivilgesellschaft ausreichend durch die Kommunen repräsentiert sei und dass man da auch (politisch/juristisch) nicht rauskomme. Da kommt man schnell in demokratietheoretische Diskussionen (wie beim gestrigen 2. Revierforum) und ich halte genau diese Diskussionen an genau dieser Stelle für sehr angebracht. Bei so umfassenden „Transformationen“ halte ich ein bisschen mehr direkte (oder direktere – zumindest hinunter bis in die lokalen Ausschüsse – (Vorschlag von gestern)) Beteiligungsmöglichkeiten durchaus für überlegenswert. Einfach nur zu sagen und zu hoffen, dass die Kreise/Landräte ob ihres Mandats willens und fähig seien, die Breite und Vielfalt unserer Gesellschaft zu vertreten, ist mir persönlich nicht genug des Guten. Wäre doch mal progressiv (und eigentlich auch konsequent), ein wenig der Innovationen, die uns in der Region im Rahmen des von der ZA gelenkten Strukturwandels demnächst erwarten (Energiewende, nachhaltige und ressourcenintelligente Bioökonomie, Digitalisierung an allen Ecken, Stadt-Land-Synergien, … …. ….), auch in die „Innovatisierung“ des Bürgerbeteilgungsprozesses fließen würde. Da haben wir das geballte KnowHow der Welt in der Region und bzgl. Bürgerbeteiligung an der „großen Transformation“ *Zwinkersmiley* fällt uns im Jahre 2020 nix Besseres ein?


Hat das alles auch irgendwas mit radpendeln zu tun?

So, jetzt setze ich aber nochmal schnell die radpendler-Brille auf und lese (mal wieder) voller Begeisterung, dass nicht nur Klimaschutz-Teilkonzept, Green City Mobility Plan, Luftreinhalte- und Lärmschutzaktionsplan den Radverkehr fördern wollen.

(Schade eigentlich, dass die Leute, die sowas andauern beschließen, dies dann nachher nicht umsetzen wollen und plötzlich tausend Hindernisse sehen, die ihnen vorher wohl nicht aufgefallen sind.)

Wie dem auch sei. Jetzt kommen nämlich mal zwei richtig fette Brocken pro Rad, da wird sich ja bestimmt demnächst was tun in Richtung Verkehrswende: Radgesetz NRW und natürlich das knapp 15 Milliarden Euro schwere Wirtschafts- und Strukturprogramm der Zukunftsagentur, also quasi der Masterplan der großen Transformation. Dort heißt es (mal wieder)…

Ziel: das Radwegenetz sowie die dazugehörige Infrastruktur so zu entwickeln, dass Radfahren bzw. die Fortbewegung mit Leichtfahrzeugen für Pendler eine attraktive Alternative zum Auto darstellt und für Besucher einen touristischen Mehrwert generiert. Dazu gehörten auch die Förderung von Radschnellwegen sowie die Errichtung eines dichten Netzes von Mobilstationen.

» Akteure: Straßen.NRW, Bezirksregierungen, Kreise, Städte und Gemeinden, Verkehrsverbünde, ADFC, AGFS

» Roadmap:

• Kurzfristig: differenzierte Analyse (Wo wer- den Radwege benötigt?) und integrierte Verkehrsnetzplanung; Planung eines „Leichtfahrzeug Verkehrswegenetzes“; Festlegung

von Standards für Verkehrsführung (Vorbild NL); Reservieren von Flächen

• Mittelfristig: Pilotverkehrswege zu lückenlosen Korridoren zusammengefasst; bedeutende Mobilitätsstationen

• Langfristig: flächendeckende sichere und schnelle Radverkehrsinfrastruktur mit Verknüpfung zu Mobilitätsknoten; flächendeckendes Mobilstationsnetz

Quelle: WIRTSCHAFTS- UND STRUKTURPROGRAMM FÜR DAS RHEINISCHE ZUKUNFTSREVIER 1.0

Hört sich (wie immer) toll an. Der ADFC ist mit im Boot (irgendwie – siehe „Bürgerbeteiligung“ á la ZRR) und die Niederlande sind das Vorbild! Na, da wird ja wohl kaum noch etwas schiefgehen können.

*hüstel*

Moment mal… Gab´s da nicht auch mal die eine oder andere Eingabe von ProRad und der Dürener ADFC-Ortsgruppe? Wäre ja mal interessant nachzuverfolgen, welchen Weg diese Eingaben so gehen und wie viele Sterne sie vom ZRR-Aufsichtsrat zu erwarten haben.

Fortsetzung folgt…


Zum Nachschauen und -lesen:



Zum Weiter-Informieren: