Eigentlich dachte ich, die Verkehrswende sei beschlossene Sache. Die seltsamen Parlament-Arier der #FCKAfD mal ausgenommen, sind sich doch alle einig, dass es eine solche geben soll. Nein, dringend geben muss!

Weil es darüber einen grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Konsens gibt. (So grundsätzlich und konsensual wie in einer parlamentarischen Demokratie eben möglich.) Und das wiederum liegt daran, dass uns sowohl der gesunde Menschenverstand als auch die Wissenschaft längst sagen: „So geht´s nicht weiter!“

Was das „So“ ist, ist auch klar: Es geht um das Prinzip und das Primat der „Pkw-gerechten Stadt“. Darum, dass der MIV in unseren Innenstadt-Konzepten und Verkehrs-Planungen jahrzehntelang mit Vorrang und vielen Priviliegien gegenüber den Verkehrsformen (und Raumnutzungen), die wir heutzutage lieber in unseren Städten sehen würden, ausgestattet wurde – und nach wie vor wird!

Damit sollte auch klar sein, dass es bei der erwünschten Verkehrswende darum gehen muss, sich von der alten, Pkw-zentrierten Perspektive zu lösen und Verkehr ganzheitlicher und multi-modaler zu denken. Es geht ja schließlich (u.a.) darum, weniger Pkw-Verkehr in unseren Innenstädten zu haben. Dass dies nur gelingen kann, indem man dem Pkw-Verkehr Fläche und Privilegien entzieht, um sie fairer zu verteilen, ist Allgemeinwissen. Ebenso wie die andere Seite der Medaille, die es zu beachten gilt, nämlich die gleichzeitige Förderung und Bevorzugung des ÖPNV und des nicht-motorisierten Innenstadt-Verkehrs kombiniert mit ganz viel entsprechender Öffentlichkeitsarbeit.

Quelle: Umweltbewusstsein in Deutschland 2018
Bundesumweltamt

Dass es gerade dieser Öffentlichkeitsarbeit noch sehr stark und dringend bedarf, zeigen immer wieder die immer gleichen, reflexartigen Reaktionen der Verkehrswende-Skeptiker auf Facebook, die bei jeder öffentlich kommunizierten Veränderung am Gewohnten den Untergang des (geliebten) Abendlandes beschwören. Dass gerade sie es sind, die sich dabei über Innenstadt-Sterben, morgendlichen Stau im Eltern-Taxi und ständige Parkplatzsuche beschweren, scheint da nicht besonders widersprüchlich zu sein. Schließlich trägt einen ja das eigene ideologische Muster, das gerne auch verwendet wird, um den Befürwortern der Verkehrswende (also allen anderen) Ideologie vorzuwerfen.

Standard-Reflex Nr. 2 neben dem ideologischen Abwehr-Reflex scheint der „Aber-was-ist-mit-Reflex“ zu sein. Neudeutsch: Whataboutism. Egal um welches verkehrspolitische Thema es geht, sobald irgendwo der Trigger „Radfahrer“ auftaucht, geht der Sturm im Wasserglas (bzw. der Filterblase) los! Und es wird von A bis Z alles aufgetischt, was Radfahrer in ihrem Leben alles falsch machen können. Die Klischee-Schublade hält da diverse Radfahrer-Stereotypen zur Auswahl bereit… Viel mehr übrigens als die Ideologie-Schublade. In der liegt meist nur die links-grün-rot-versiffte Radfahr-Chaoten-Vorlage.

(Nicht abschließende) Liste der Standard-„Argumente“ zu jedem x-beliebigen Thema, bei dem Radfahrer eine Rolle spielen könnten:

  • Radfahrer halten sich grundsätzlich an keine Regeln!
  • Radfahrer fahren immer dunkel gekleidet und ohne Licht!
  • Radfahrer fahren nur im Sommer und bei Sonnenschein!
  • Radfahrer zahlen keine Steuern!
  • Radfahrer haben kein Nummernschild!
  • Radfahrer sind arm und haben (deshalb) nix zu sagen!
  • Radfahrer sind keine Autofahrer!
  • Wir sind ja nicht in Holland!
  • Radfahrer sind eh scheiße!

Ähnliche Standard-Phrasen wie für Radfahrer im Speziellen gibt´s genauso für die Verkehrswende im Allgemeinen. Meistens präsentieren die sachundienlichen Kommentare nur das Unwissen der Kommentierenden. Schlimm genug. In so manchen Pkw-affinen Gruppen ruft der Mobilisten-Mob allerdings regelrecht zur Jagd auf Radfahrer auf. Die Kommentare, bspw. unter Artikeln über getötete Radfahrer, sind teilweise ziemlich gruselig, wenn man sich vorstellt, dass die Verfasser bald wieder in ihren tonnenschweren, hochmotorisierten Kampfmaschinen sitzen.



Kann Mensch alles…

…so oder so sehen. Gibt ja auch genügend Leute, die den Klimawandel leugnen, an die Wirksamkeit des freien Marktes glauben oder an adrenochromsüchtige Reptiloiden usw…


Zum Weiterstöbern…

Infrastrukturatlas 2020, Heinrich Böll Stiftung