Laienschauspiel-Theater im Bundesrat:

Heute: Die StVO-Novelle!
Siehe Programmheft.


Radfahrer leben gefährlich…

Am Anfang war das Auto. Und sehet, der Personenkraftwagen war gut.

Nur leider auch ziemlich tödlich. Nicht nur wegen der ganzen Smog-, Feinstaub- und Lärmbelastungen, wegen der sozialen & globalen Auswirkungen und so. Die lassen sich allerdings statistisch wunderbar unter den Teppich kehren, da harte Fakten schwer zu beschaffen sind. Wer kann schon sagen, ob der Feinstaub den Krebs ausgelöst hat oder die Marlboro. War´s der Industrie-Smog oder das Auto-Abgas? Oder die Arbeitsbedingungen in den Minen der Zuliefererindustrie?

Richtig zählbar und fies sichtbar sind hingegen durch Pkw(-Fahrer) verursachte Unfälle mit Personenschaden. Die lassen sich schwer verbergen und sind auch nicht durch einen Unfall-Zertifikate-Handel glattzubügeln.

Jeder siebte Mensch, der 2019 im Straßenverkehr ums Leben kam, war mit dem Fahrrad unterwegs
Mehr als die Hälfte aller getöteten Radfahrerinnen und Radfahrer war 65 Jahre oder älter.

WIESBADEN – Der Umwelt oder der Gesundheit zuliebe, vielleicht auch einfach, weil es Spaß macht – immer mehr Menschen nutzen das Fahrrad, um von A nach B zu gelangen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, war im Jahr 2019 jeder siebte Mensch, der im Straßenverkehr ums Leben kam, mit dem Fahrrad unterwegs. Insgesamt starben im vergangenen Jahr 445 Radfahrerinnen und -fahrer bei einem Unfall, darunter fuhren 118 ein Pedelec (auch Elektrofahrrad genannt). Die Zahl der getöteten Radfahrenden ist gegenüber 2010 um 16,8 % gestiegen. Dies ist eine Entwicklung gegen den Trend: Die Zahl der Verkehrstoten insgesamt lag im Jahr 2019 um 16,5 % niedriger als 2010.

Die Bundesregierung plant, den Radverkehr zu fördern und für mehr Sicherheit zu sorgen. Profitieren würden davon auch die älteren Radfahrenden, die besonders gefährdet sind. Unter den tödlich verletzten Fahrradfahrerinnen und -fahrern war 2019 mehr als die Hälfte (53,8 %) 65 Jahre oder älter, bei Elektrofahrrädern lag der entsprechende Anteil der Seniorinnen und Senioren sogar bei 72,0 %. (…)

Autofahrerinnen und -fahrer sind häufigste Unfallgegner von Radfahrenden

An rund 65 200 Fahrradunfällen mit Personenschaden war eine zweite Verkehrsteilnehmerin oder ein zweiter Verkehrsteilnehmer beteiligt, in 73,9 % der Fälle war dies eine Autofahrerin oder ein Autofahrer (48 230 Unfälle).

Fahrradfahrerinnen und -fahrer, die in einen Unfall mit Personenschaden verwickelt waren, trugen insgesamt an weniger als der Hälfte der Unfälle die Schuld (45,4 %). Je nach Unfallbeteiligten zeigen sich allerdings Unterschiede: Waren Autofahrerinnen oder -fahrer an einem Radunfall mit Personenschaden beteiligt, trugen die Radfahrenden nur in 23,4 % der Fälle die Hauptschuld. Bei Radunfällen mit Güterkraftfahrzeugen lag der Anteil noch darunter: Nur zu 18,8 % wurde die Hauptschuld bei der Radlerin oder dem Radler gesehen. Bei Unfällen mit Fußgängerinnen und Fußgängern wurde dagegen der Person auf dem Fahrrad häufig (59,5 %) die Hauptschuld angelastet. Auch Kollisionen mit Krafträdern wurden überwiegend von Radfahrinnen und -fahrern verschuldet (51,7 %). (…)

Pressemitteilung, Statistisches Bundesamt, 19.08.2020

Nochmal zum Mitschreiben, weil es beim folgenden Theaterstück ja eigentlich nur um die „Verhältnismäßigkeit“ geht. Und nicht um einen juristischen Fehler am Zitiergebot (siehe bspw. hier: Nummer 3 fehlt).

  • Es fahren immer mehr Menschen Fahrrad.
  • Das ist gut und (politisch) so gewollt.
  • Unsere bestehende Infrastruktur ist auf die Anforderungen des steigenden Radverkehrs überhaupt nicht vorbereitet. Das führt zwangsläufig zu Konflikten und Unfällen.
  • Die Gesamtzahl der Verkehrstoten ist in den letzten zehn Jahren um 16,5% gesunken. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der getöteten Radfahrer um 16,8% gestiegen.
  • Dreiviertel der Unfälle zwischen Fahrrad und Pkw werden durch Autofahrer verursacht.
  • Unfälle Fahrrad-LKW werden nur zu 18,8% hauptursächlich vom Radfahrer verursacht.
  • Unfälle Radfahrer-Fußgänger werden überwiegend (59,5%) von Radfahrern verschuldet.
  • Der deutsche Bußgeldkatalog ist im Europavergleich autofahrerfreundlich.

Übrigens gehe ich mal davon aus, dass sehr wenige Verkehrstote auf Kosten von Radfahrern gehen…



Dass das irgendwie schlecht zusammenpasst, ist offensichtlich: Einerseits sollen immer mehr Leute auf´s Rad steigen, andererseits wird immer noch geplant, als müsste man es zu allererst den Autofahrern komfortabel machen. Während Paris und andere Städte tausende Pkw-Parkplätze abbauen, um sichere Rad- und Fußwege zu schaffen, ist unser Ziel nach wie vor, dass es das unveräußerliche Recht eines jeden freien Düreners sein muss, mit dem Pkw direkt bis vor´s Geschäft, die Schule und die eigene Wohnungstür fahren zu können.

Gleichzeitig wollen wir allerdings die „Vision Zero“. Ein Jahr ohne Verkehrstote! Und immer mehr SUVs in unseren Städten!

Die Kfz-Zulassungszahlen stagnieren auf gewohnt hohem Niveau, der Modal Split, den die Stadt Düren im Klimaschutz-Teilkonzept beschlossen hat, wird gar nicht mehr erfasst und vom Ziel unseres Mobilitätsmanagers, jährlich stolze ein Prozent weniger Autos in der Stadt zu haben, hört man irgendwie auch nichts mehr…

Aber wir wissen, dass die absolute Mehrzahl der Verkehrstoten durch Pkw und Lkw verursacht werden. Und genau so geschieht es auch Jahr für Jahr bei uns in Düren.

Ich kann ehrlich gesagt das Gelaber von den chaotischen Radfahrern nicht mehr hören. Wenn wir mal beim Thema „Verhältnismäßigkeit“ sind. Ständig wird sich über die ach so bösen Radfahrer aufgeregt, es hagelt Shitstorms, wenn mal 350 Meter geschützter Radweg als Teststrecke installiert werden. Radfahrer kennen keine Regeln und sind die Plage unserer Innenstädte! Ist klar!

Um mal bei der Wirklichkeit zu bleiben, muss man feststellen, dass die Motorisierten diejenigen sind, die den großen Mist bauen. Und komme mir ja niemand mit Dunkelziffer und fehlendem Nummernschild. Die unzähligen nicht geahndeten Verstöße von asozialen Autofahrern, die besonders nachts rote Ampeln und jegliche Geschwindigkeitsbegrenzungen ignorieren, gehen auf keine Kuhhaut. Und die ganzen Kuschel-Überhol-Manöver und genialen Parkzeug-Aktionen, die niemals ein Ordnungsämtler kontrolliert. Aber alles halb so wild, wenn man mal wieder einen jugendlichen Radfahrer ohne Licht auf dem Gehweg gesehen hat.



Verhältnismäßigkeit

Und nun will unser beliebter und kompetenter Bundesverkehrsminister die durch die böse Novellierung der Straßenverkehrsordnung und des Bußgeldkatalogs gefährdete „Verhältnismäßigkeit“ wieder herstellen? Hmm, OK. Hat er wohl den ganzen Prozess bis hin zum Novellen-Kompromiss irgendwie nicht mitgekriegt. Oder er war halt mal wieder Essen mit einem Kumpel aus der Auto-Lobby, kennt ein paar Spezis von der Kampagne wider die Führerschein-Falle aka Führerschein-Vernichtungsmaschine oder so… Man weiß es nicht.

Auf jeden Fall muss mal klar sein, dass innerorts 21km/h zu schnell zu fahren eine Lappalie ist, die jedem Berufstätigen immer mal schnell passieren kann. Tagtäglich auf dem wohlbekannten Pendler-Weg. Dafür einen Warnschuss bekommen und einen Monat den Lappen abgeben? Absolut unverhältnismäßig! Hält vor keinem deutschen Gericht stand!

Obwohl… Vor Schulen, Kitas und Altenheimen vielleicht? Hmm…

Wobei wir doch eigentlich nur den kleinen Formfehler beheben wollten, der unserem Ministerium da aus Versehen passiert ist. Ein bisschen peinlich (und teuer) die Sache, aber das sind wir im Scheuer-Ministerium ja gewöhnt.

Nun gut, jetzt wo das trojanische Pferd namens „Zitiergebotfehler“ seinen Dienst getan hat, können wir uns natürlich auch die ganze Novelle noch einmal zur Brust nehmen, um noch möglichst viele Wünsche unserer Kumpane aus der Auto-Lobby einzuschleusen.

Wir verkaufen das einfach als weitere Suche nach dem bestmöglichen Kompromiss, nach Rechtssicherheit und natürlich als Wiederherstellung der von uns definierten Verhältnismäßigkeit und werfen gleichzeitig dem politischen Gegner vor, den Prozess verschleppen zu wollen, den wir boykottiert haben.

Und schon steht das Theaterstück!


Schauspielhaus Bundesrat

Real-Politisches Kabarett:
Die Verkehrsministrierenden und ihre Novelle…

Heute in den Hauptrollen:
  • Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Baden-Württemberg
  • Anke Rehlinger (SPD), Saarland
  • Steffen Bilger (CDU), BMVI
  • Es fehlt entschuldigt: Dr. Andy B. Scheuert (cSU)

Vorerst keine Reparatur der StVO-Novelle

Der Bundesrat hat am 18. September 2020 über Änderungen im Straßenverkehrsrecht debattiert – insbesondere über eine mögliche Reparatur der StVO-Novelle vom 20. April 2020, die derzeit wegen eines Formfehlers teilweise außer Vollzug gesetzt ist.

Zur Heilung des Formfehlers oder Änderungen an der Straßenverkehrsordnung wird es jedoch vorerst nicht kommen: Entsprechende Vorschläge aus den Fachausschüssen fanden jeweils nicht die erforderliche absolute Mehrheit im Plenum.

Was die Fachausschüsse vorgeschlagen hatten

Verkehrs- und Innenausschuss hatten übereinstimmend empfohlen, die StVO-Novelle inklusive der ergänzten Eingangsformel noch einmal neu zu erlassen – und dabei die ursprünglich beschlossenen, derzeit aber nicht angewandten Sanktionen für Geschwindigkeitsüberschreitungen ab 21 km/h innerorts und 26 km/h außerorts zu modifizieren: Fahrverbote sollten künftig nur bei Geschwindigkeitsverstößen an Gefahrstellen wie Autobahnbaustellen oder Schulen und Kindergärten sowie im Wiederholungsfall verhängt werden. Rasern sollten dafür aber höhere Bußgelder drohen. Dieser Vorschlag erhielt keine Mehrheit im Plenum.

Der Umweltausschuss hatte dafür plädiert, ausschließlich den Formfehler im Einleitungsteil der StVO-Novelle zu heilen, den Inhalt der damaligen Verordnung aber unverändert noch einmal neu zu erlassen. Auch diese Empfehlung fand in der Plenarsitzung nicht die erforderliche absolute Mehrheit.

Zeitplan offen

Wann es zu einem weiteren Reparaturversuch kommt, ist derzeit nicht absehbar. Die nächste Plenarsitzung findet am 9. Oktober 2020 statt.

Aufhänger: Umsetzung von EU-Recht

Zustimmung fand allerdings die Grundlage der aktuellen Beratungen – eine Verordnung der Bundesregierung zur Umsetzung einer EU-Richtlinie zu den höchstzulässigen Abmessungen und Gesamtgewichten für bestimmte Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen: Ihr stimmte der Bundesrat mit einigen fachlichen Änderungsmaßgaben zu. Setzt die Bundesregierung diese um, kann sie die Verordnung im Bundesgesetzblatt verkünden.

Quelle: Bundesrat, Stand: 18.09.2020

Beschluss zur StVO-Novelle vertagt.


Zum Weiterlesen…