„Wir machen den Straßenverkehr noch sicherer, klimafreundlicher und gerechter“ (Bundesverkehrsministerium)
Wenige Tage nach Inkrafttreten der StVO-Novelle zieht unser „Fahrradminister“ Andi Scheuer (CSU) also schon wieder den Schwanz vor der Autolobby und den PetitionistInnen rund um die „Konterrevolutionsbewegung FÜHRERSCHEIN-FALLE DER #STVO-NOVELLE RÜCKGÄNGIG MACHEN“ ein.
Das muss man sich doch wirklich auf der Zunge zergehen lassen:
Bundesminister Andreas Scheuer:
Die letzte Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung war und ist ein Erfolg, weil wir die schwächeren Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Fahrradfahrer besser schützen. Und wir haben in der letzten Zeit einfach Auffälligkeiten: viel mehr Unfälle, vor allem bei den Fahrradfahrern. Deswegen haben wir die Straßenverkehrsordnung angepasst. Und alle sind auch sehr zufrieden, vor allem auch diejenigen, die im Straßenverkehr die Partnerschaft suchen, vor allem in einer Stadt. Es ist nicht ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. Und wir müssen eben diejenigen besser schützen, die weniger Schutz um sich haben. Auf der anderen Seite haben die Bundesländer im Verfahren viele Anliegen (100 Anträge) gehabt. Da kam es an einer einzigen Stelle zu einer Verschärfung, die aus meiner Sicht unverhältnismäßig ist. Deshalb bitten wir die Bundesländer, dies wieder in den alten Stand zurückzubringen. Das bezieht sich auf die Geschwindigkeitsbeschränkungen innerorts von 21 km/h und außerorts 26 km/h. Jeder muss sich an die Regeln halten. Das ist klar. Aber manchmal kommt es zu Härten, die an dieser Stelle wieder in eine Verhältnismäßigkeit gebracht werden müssen. Deswegen bitten wir die Bundesländer an nur dieser einen Stelle – sonst bleibt alles andere gleich, was wir geregelt haben – das einmonatige Fahrverbot wieder auf den alten Stand zurückzubringen. Somit haben wir die Verhältnismäßigkeit wiederhergestellt. Und somit können wir mit einer neuen modernen Straßenverkehrsordnung auch dem gerecht werden, dass Schutz zum einen und eine Verhältnismäßigkeit zum anderen gewährleistet ist. (Quelle: BMVI)
Ein herrliches Lehrstück politischer Kommunikation, lieber Herr Verkehrsminister. Diese aalglatte Komposition aus verkehrswende(hals)politischem Neusprech ist besonders gut gelungen. Die Kommunikationsberater haben durch die ganzen Maut-„Peinlichkeiten“ echt dazu gelernt und sind ihr (Steuer-)Geld wahrlich wert.
Besonders imponierend finde ich die demonstrative Unterwürfigkeit (danke an Rob für die Vokabel), die sich wie ein roter Faden durch diesen Meilenstein der politischen Debattenkultur zieht. Erst die Betonung des „Wir“, des gemeinsam Erreichten:
“Und alle sind auch sehr zufrieden, vor allem auch diejenigen, die im Straßenverkehr die Partnerschaft suchen, vor allem in einer Stadt. Es ist nicht ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. Und wir müssen eben diejenigen besser schützen, die weniger Schutz um sich haben.“
Wow, da wird einem richtig warm um´s 💖. Kommt Leute, der Rest der Novelle ist doch spitze. Jetzt lasst den Rasern doch auch noch ein bisschen Spaß!
Dann die Anbiederung (die flehentliche Bitte) an den Bundesrat, doch bittebittebitte die jahrzehntelang gehegte, gepflegte und gut bewährte „Verhältnismäßigkeit“ wiederherzustellen. Damit ist wahrscheinlich die auffallend hohe Zahl an Unfällen „bei den Fahrradfahrern“ gemeint. Da hat sich Andi bestimmt aus Versehen nicht ganz deutlich ausgedrückt und meint die stark gestiegene Unfallzahl mit Personenschaden und Rad-Beteiligung (die, wie wir ja wissen, größtenteils von Pkw und Lkw verursacht wird) im Verhältnis zu den vielen armen Menschen, die eine Strafe erwarten müssen, nur weil sie mal kurz ein paar Kilometerchen zu schnell waren.
Na gut, wir wissen ja, was gemeint ist: Mit 80 km/h durch die Innenstadt, mit 50 km/h durch die 30er-Zone an Schule, Blindenheim und KiTa vorbei sollte bei uns nach wie vor zum „guten Ton“ gehören und rechtfertigt nie und nimmer ein Fahrverbot von ein paar Wochen.
Wo kämen wir denn da hin – wenn auf einmal alle Raser nicht mehr wie gewohnt durch die Innenstädte heizen würden, um Kinder, Radler, SeniorInnen und alle möglichen anderen VerkehrsteilnehmerInnen zu gefährden? Sollen sich jetzt auf einmal alle an die seit Ewigkeiten geltenden Geschwindigkeitsregeln halten oder was? Hallo, wie utopisch und weltfremd ist das denn bitte?
Nee, die Argumentation mit der Verhältnismäßigkeit kann man schon gut nachvollziehen. Ich meine, die „Toleranzgrenze“, die man sich als Autofahrer individuell bezüglich vorgeschriebener Geschwindigkeit so gibt, ist doch echt flexibel. Das kommt doch jeden Tag neu darauf an, wie schnell man es hat oder wie gestresst man ist. Das muss man doch allein schon deshalb ein bisschen relaxter betrachten. Und außerdem ist es dem Schulkind doch letztlich auch scheißegal, ob es mit 30, 50 oder 70 Sachen umgenietet wird.
Gut, ist jetzt ein bisschen ungünstig in dem Zusammenhang, dass wir auch keine schützende Infrastruktur zB für Kinder, die mit dem Rad zur Schule fahren, haben, aber es geht ja um die Verhältnismäßigkeit. Da muss man ganz klar als Verkehrsminister, der sich gerne Fahrradminister nennen lässt und für die „Verkehrswende“ kämpft, sagen: „Kinder statt Inder!“ Ach nee, das war was anderes…
Also, Kinder und so sind natürlich auf jeden Fall irgendwie schützenswert. Nicht, dass das falsch verstanden wird. Das muss mal klar sein. Aber bitte stets mit Rücksichtnahme auf eine auch wirklich angemessene Verhältnismäßigkeit. Führerscheinbesitzer sind nämlich mindestens genauso schützenswert! Wir müssen endlich zu dem Bewusstsein kommen, dass Geschwindigkeitsübertretungen vollkommen normal, eine Lapalie und ein zentrales Element menschlichen Miteinanders in einer lebenswerten Innenstadt sind! Und dass sie die Wirtschaft befördern! Viel mehr als die blöden Kinder, wenn man sich das mal genauer anschaut.
Der Führerscheinbesitz trotz Raserei ist ein tragendes, ja geradezu systemrelevantes Element unserer Wirtschaft! Um dieses momentan selten genutzte Wort auch mal zu bemühen.
Führerscheinverlust=Arbeitsplatzverlust=geht gar nicht!
Man stelle sich nur vor, die ganzen Pendler, die es Tag für Tag nur pünktlich zur Arbeit schaffen, weil sie mit 80 km/h auf Parkplatzsuche durch die City rasen, kämen auf einmal nicht mehr zur Arbeit. Und müssten dann mit dem ÖPNV kommen oder mit dem Fahrrad. Echt gruselig!
Ich glaube, ich unterschreibe die Petition „Führerschein-Falle rückgängig machen“ auch. Weil: Die Vorstellung, dass bald nur noch Leute mit dem Pkw unterwegs sind, die sich an die Regeln halten und alle anderen auf dem Rad, in Bus und Bahn sitzen, ist mir einfach zu grotesk. Ich glaube, damit würde ich nicht klarkommen…
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