Die B399n ist ein unschönes Beispiel dafür, dass faktenbasierte Debattenkultur bei uns gerade nicht unbedingt Hochkonjunktur hat. Insbesondere wenn es um Themen geht, die stark emotional besetzt sind und von denen alle meinen, eine fundierte Meinung zu haben, weil sie (zwangsläufig) Betroffene sind.

Dazu gehört selbstverständlich das Thema „Verkehrswende“, in dem wir mitten drin stecken. Nicht erst seit Beschluss des Koalitionsvertrags von „Zukunft Düren“. Nicht minder emotional triggernd, aber irgendwie anscheinend für Viele noch etwas weiter entfernt vom Alltags-Horizont ist der Strukturwandel – die „große Transformation“ des Rheinischen Reviers.

Irgendwie scheint mir, gibt es da Tendenzen und Versuche, die beiden großen Prozesse gegeneinander auszuspielen und für die jeweils ganz eigenen Interessen zu instrumentalisieren, anstatt sie als zusammenhängende, aufeinander aufbauende Prozesse zu denken. Alles halb so wild. Jeder Jeck ist halt anders und gerade bei uns im Rheinland pflegt man natürlich auch gerne lang gehegte Freundschaften und Traditionen sowie sowieso intensive Klüngelei. Kein Problem, Et es wie et es (RhGG, Art. I).

Mein Problem dabei sind nicht die unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven. Darum wurde und wird ständig gerungen. Kritisch sehe ich aber die Art der Kommunikation, die – gerade in Bezug auf die B399n – oft wenig fakten-basiert sondern ziemlich ideologie-getrieben daher kommt.

…da kann man doch froh sein, einer PARTEI anzugehören, die sich wenigstens offen zu ihrem Populismus bekennt und die ein feines Gefühl dafür hat, welche stilistischen Mittel in der Kommunikation mit dem Wahlvieh angemessen sind. *Zwinkersmiley*
Und die auch sehr gut mit den (a)sozialen Medien umgehen kann. Ich sage nur: „Hummus-Liebe statt Heimatliebe!“ ;;


Ideologisierung

Ideologie heißt in meiner Sicht ja eigentlich nicht mehr, als dass man sich auf eine persönliche Weltanschauung/Sicht der Dinge beruft, ohne die tatsächlichen Fakten, Zusammenhänge und Sichtweisen andersdenkender Menschen angemessen (oder überhaupt) zur Kenntnis zu nehmen und sie durch gesunden Menschenverstand mit der eigenen Weltanschauung abzugleichen.

Faszinierend zu beobachten ist, dass es gerade in den (a)sozialen Netzwerken sehr zur Mode geworden ist, der jeweiligen Gegenseite „Ideologie“ vorzuwerfen und dies mit nicht mehr als den eigenen Ideologien zu begründen. Das hat zwar oft etwas sehr Unterhaltsames und Entlarvendes beim Lesen, aber in der sachlichen Diskussion und der praktischen Umsetzung der politischen Beschlüsse bringen uns solche Debatten leider wenig sinnvollen Input.

Zumal sie oft nur mit Totschlag-Argumenten hantieren, die nur zu weiteren (ideologisierten) Debatten führen. Deshalb tue ich mir solche Diskussionen in den (a)sozialen Medien nur in der eigenen Filterblase an – und nicht in den offenen DN-Facebook-Gruppen, in denen auch Netiquette oft ein Fremdwort ist. Das mag zwar auch irgendwie etwas ideologisch sein *Zwinkersmiley*, schont aber ungemein die Nerven.


Ein Beispiel für die Ideologisierung und Instrumentalisierung der B399n ist für mich das „Argument Alternativlosigkeit“. Dr. Stefan Cuypers, Geschäftsführer der Vereinigten Industrieverbände, spricht in der heutigen (15.11.2020) Zeitung am Sonntag zwar nur von einer „Selbstverständlichkeit“ und lässt offen, wie schnell und in welcher Form (alte Variante oder nochmal neu anschauen) er sich die Umsetzung der B399n vorstellt. Die IGBCE Düren sowie der Dürener Petitionist (aka „Dürener Industrieller“, unterstützt von Ralf Nolten (cDU)) drängen hingegen deutlich auf eine schnelle Umsetzung der veralteten Planung.


„Kommunalpolitik ist gefordert! VIV sind besorgt über die Lage der Wirtschaft in der Region“, Zeitung am Sonntag, 15.11.2020

Ich frage mich, ob sie, um in der Industrie-Perspektive (Totschlagargument Arbeitsplätze) zu bleiben, eine neue Fabrik, ein neues Logistikzentrum etc. heute ebenfalls noch genauso bauen würden, wie sie es vor 10/20/30 Jahren gebaut hätten. Obwohl sich zwischenzeitlich ein „paar Kleinigkeiten“ geändert hätten wie…

  • gesetzliche Grundlagen bzw. aktuelle Vorschriften und Richtlinien, denen die Alt-Planung nicht mehr gerecht wird: ERA, RASt…
  • (einstimmige) politische Beschlüsse und dringende Maßnahmenempfehlungen, die durch die 1:1-Umsetzung der alten Planung konterkariert und ad absurdum geführt würden: bspw. Klimaschutz-Teilkonzept
  • allgemein-politischer Konsens: Bewusstsein für Notwendigkeit etwas gegen Klimawandel, Luftverschmutzung, und ungerecht verteilte öffentliche Flächen zu unternehmen hat sich sehr gewandelt – Nationaler Radverkehrsplan, Fahrradgesetz NRW sind die Planungs-Maßstäbe von heute.
  • Es sind neue Technolgien vorhanden, die in der alten Planung nicht berücksichtigt wurden/werden konnten. Und auch neue wissenschaftliche sowie praktisch geprüfte Erkenntnisse. (Einfach mal in die Niederlande schauen…). Im Rahmen des Strukturwandels sollen insbesondere Digitalisierung und Innovationen in Richtung nachhaltiger, ressourcenschonender Bio-Ökonomie eine große Rolle spielen. Wir sollen zur Modell-Region für Strukturwandel und Verkehrswende werden. Siehe oben: politischer Konsens. Sind da Jahrzehnte alte Planungen noch wirklich angemessen?
  • Inzwischen fahren Pedelecs herum, mit denen bspw.Pendler deutlich weitere Strecken zurücklegen, es gibt E-Scooter, die auf den Radwegen fahren müssen, es sollen automatisierte selbstfahrende Busse eingesetzt werden… Alle neuen Verkehrsformen mitbedacht in der Alt-Planung?
  • Die finanzielle Seite muss entsprechend der o.g. Punkte ebenfalls komplett neu angeschaut, kalkuliert und maximal transparent kommuniziert werden. Es ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, an aktuelle Unterlagen zur sogenannten „Nordumgehung“ heranzukommen. Da sollte noch ein bisschen aufgeklärt und Bürgernähe praktiziert werden, bevor es richtig losgeht mit der großen Baustelle (oder auch nicht). Wer versteht sonst solche Zahlen (s.u.)?
  • Die zivilgesellschaftliche Beteiligung könnte man sich auch über reine Finanz-Infos hinaus nochmal anschauen. Sollen die Bürger vor vollendete (veraltete) „Tatsachen“ gestellt werden und müssen diese trotz der offenen Fragen (s.o.) einfach schlucken, oder wäre es nicht sinnvoll, sie angemessen zu beteiligen, in den Prozess einzubeziehen, anstatt jetzt etwas umzusetzen, das so manch ein betroffener Anwohner heute gar nicht auf dem Schirm hat?

Was kostet der Spaß eigentlich genau?

Da die Unterlagen zur B399n nicht in digitaler Form zur Verfügung stehen, muss man sich schon zu Straßen.NRW aufmachen, um einen Blick darein werfen zu können. Den Aufwand betreibt leider nicht jeder, der sich ein wenig als Bürger informieren will. Das Ratsinformationssystem der Stadt gibt auch nicht gerade viel her (oder bin bin zu medieninkompetent für die Suche?), also tappt man manchmal ziemlich im Dunkeln. Das ist natürlich von niemandem so gewollt. *Verschwörungs-Zwinkersmiley*

Deshalb bitte ich mal um eine Erklärung und um eine aktuelle Kostenkalkulation, um zu wissen, über was wir eigentlich reden. Das, was man so im Netz findet, ist für Nicht-Kämmerer etwas verwirrend…

Drucksache 15/2954, Deutscher Bundestag, 23.04.2004

Screenshot: Strukturwandel gestalten, Chancen nutzen!, WIN.DN GmbH, 12/2018

Wie das alles mit den verschiedenen Reduzierungen der „Verpflichtungsermächtigungen“ für die B399n zusammenhängt, muss ich mir auch noch erklären lassen.

Zur Deckung einer notwendigen Verpflichtungsermächtigung bei der Maßnahme A650H00097 wird im Budget des Amtes 66 bei Investitionsmaßnahme A660S00013 „Nordumgehung DN (B399n)“ die Verpflichtungsermächtigung um 400.000 € reduziert.

Beschlussvorlage 2015-0165, Amt für Gebäudemanagement

Verkehrsentlastung und/oder Gewerbegebieterschließung?

Etwas perfide finde ich den ständigen Bezug auf die angebliche Verkehrsentlastung, die die B399n-Altplanung in der Innenstadt, in Birkesdorf, Arnoldsweiler usw. bringen soll. Bevor der andauernd hergestellt wird, möchte ich ein paar Fragen beantwortet haben:

  • Auf welchen Daten basieren die Verkehrsentlastungs-Prognosen?
  • Sind diese Daten noch aktuell?
  • Sind durch Faktoren wie den Autobahnanschluss A4 Langerwehe neue Voraussetzungen gegeben, die mitgedacht werden könnten?
  • Sind die anderen zwischenzeitlichen Veränderungen und Bedarfe (siehe Liste oben) für die heutige Umsetzung irrelevant oder sollte man sich nochmal einen Blick darauf gönnen, bevor man für die nächsten Jahrzehnte Nägel mit Köpfen macht (bzw. fette Innenstadt-Straßen ohne vernünftige Rad- und Fußwege baut)?

Ich behaupte, dass die eigentliche Motivation für die Umsetzung der veralteten B399n-Planung ausschließlich die Erschließung des Gewerbe- und Industriegebietes hinter dem DSB und entlang der Rur ist. Die Entlastungs-Prognosen sind ein reines Schein-Argument. Ginge es ehrlich um Reduzierung des Pkw- und Lkw-Verkehrs oder irgendwie um „Verkehrswende“, würde man sich doch die aktuellen Gegebenheiten nochmal anschauen, bevor man anachronistische Pläne einer Durchgangsstraße mit Bundesfernstraßen-Charakter blindlings für die nächsten Generationen zementiert.

Aber das ist ja alles wie immer eine Frage der Perspektive. Da hat jemand, dessen Kinder jeden Tag mit dem Rad quer durch die Stadt zur Schule fahren, eine andere Sicht drauf als ein „Dürener Industrieller“ oder ein Wirtschaftsförderer, dem es „nur“ um wirtschaftliches Wachstum, Profitmaximierung, Effizienzsteigerung und – Vorsicht Totschlag-Argument – Arbeitsplätze(!!!) geht. Aber nicht um sicheren, fair aufgeteilten öffentlichen Raum für Alle… (Dessen Profit-Potenziale leider nie einkalkuliert werden.)

Für den öffentlichen Raum gelten auch keine betrieblichen Leitlinien und industrielle Gepflogenheiten oder so etwas. Ich denke da mal wieder an den innovativen Hightech-Modell-Regions-Charakter-Standort Düren. Alles nachhaltig, zukunftsorientiert, energieeffizient, bio-öko-top-modern und digital auf Effizienz und globale Fairness getrimmt. Nur im Straßenbau noch mit vergilbtem Milimeter-Papier aus dem 20. Jahrhundert unterwegs? Passt das zusammen?

A propos „Leitlinien“. Diese werden ja gerade von der bürgernahen Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) unter Maximal-Beteiligung der geliebten Zivilgesellschaft in einem vollkommen unumstrittenen Beteiligungsprozess zusammengeschustert. Toll! Da lernt man dann so geniale Begriffe wie „Präklusion“ kennen. Dazu mal an anderer Stelle mehr… 😉 Gehört aber auch hier irgendwie rein, da die B399n ja auch ein Projekt im Rahmen des von der ZRR diktierten *Verschwörungs-Zwinkersmiley* großen Transformationsprozesses ist. Und weil uns augenscheinlich noch die passende große Vision dafür fehlt. Wo wollen wir eigentlich genau hin? Verkehrswende oder Strukturwandel? Oder beides? Nur in unterschiedliche Richtungen?

Screenshot: Strukturwandel gestalten, Chancen nutzen!, WIN.DN GmbH, 12/2018

(…) Neben der Fertigstellung der B56n dient auch die geplante B399n zur verkehrlichen Entlastung der Dürener Innenstadt. Erhofft wird insbesondere eine Verbesserung im Bereich des Schwerlastverkehrs, der in Düren rd. 10% des MIV. Dieser soll durch die B399n stärker gebündelt und flüssiger die Industrieareale entlang der Rur erreichen, ohne zu viele Standzeiten aufgrund von Ampelanlagen hinnehmen zu müssen. (…)
In den Spitzenstunden morgens und abends führen diese Belastungen zu Verkehrsstaus, die sich im normalen Berufsverkehr aufgrund von Leistungsengpässen an den maßgeblichen Knotenpunkten immer weiter aufbauen. Der Verkehrsfluss des überregionalen Verkehrs (insbesondere des deutlich gestiegenen Güterverkehrs) wird hierdurch bereits heute erheblich beeinträchtigt.

Auf Basis der Fertigstellung der B399n könnte bedeutende städtebauliche Entwicklungsgebiete erschlossen und betriebliche Reserveflächen der Papier- und Textilindustrie aktiviert werden.

Strukturwandel gestalten, Chancen nutzen!, WIN.DN GmbH, 12/2018
Hervorhebungen von mir.

Presseschau

Alternativlos oder ergebnisoffen? Bisher hatte ich den Eindruck, der Bau der B399n-Altplanung würde ziemlich einseitig in der Lokalpresse dargestellt. Insbesondere bei den Kommentaren. Nämlich als alternativlos: Arbeitsplätze, Wachstum, Strukturwandel und natürlich Verkehrsentlastung! Umso mehr freue ich mich, mal eine mehr ergebnisoffene Sicht der Dinge zu lesen.

Die Ankündigung, alle vierspurigen und überbreiten Straßen in der Stadt auf zwei Fahrbahnen zu verkleinern, um dem wachsenden Radverkehr sicheren Raum zu geben, ist grundsätzlich überlegenswert. Wenn die Ostumgehung im Februar zur Verfügung steht, lässt sich ohne höhere Mathematik voraussagen, dass sowohl Schoeller-, als auch Euskirchener Straße (stadtauswärts) weniger befahren werden. Hier gibt es also einen Hinweis darauf, dass nur noch zwei Spuren funktionieren könnten. In allen Fällen ist es unerlässlich, die Verkehrsströme mit frischen Zahlen zu berücksichtigen und in eine Abwägung einfließen zu lassen. An einer Stau-Stadt kann niemand Interesse haben. Ein einheitliches Konzept ist dann gut, wenn es gut funktioniert!

Kommentar von Volker Uerlings in den Dürener Nachrichten, 14.11.2020

Fortsetzung folgt…