Der Luftreinhalteplan für das Stadtgebiet Düren ist eins dieser Konzepte, die eigens dafür geschaffen wurden, um die maßgeblich durch den ständig zunehmenden Pkw-Verkehr erzeugten Probleme wieder in den Griff zu bekommen.

Wir erinnern uns: „In Düren hatte sich aus Untersuchungen für den vorhergehenden Luftreinhalteplan der Straßenverkehr als Hauptverursacher der NO2-Belastung herauskristallisiert.“ Siehe unten.

Naja, „der Straßenverkehr“ ist zwar eigentlich viel mehr als nur der mitweltverschmutzende Pkw- und Lkw-Verkehr, aber diese sprachliche Feinheit hat sich selbstverständlich noch nicht herumgesprochen. Man kann nun wirklich auch nicht erwarten, dass die Verfasser von Luftreinhalteplänen & Co inzwischen „internalisiert“ hätten, dass Verkehr nicht nur aus Pkw besteht. Wo kämen wir denn da hin? Zu sauberen, attraktiven und lebenswerten Innenstädten? *Zwinkersmiley*

Wie dem auch sei. So erklärt sich denn auch vielleicht die andauernd bemühte, ach so wichtige „Verhältnismäßigkeit“, die bspw. auch bei der StVO-Novellen-Verhinderung eine interessante sprachliche Rolle gespielt hat.

„Verhältnismäßigkeit“ – was für ein Begriff! Geht´s vielleicht noch ein wenig ungreifbarer? Auf welchen Grundlagen und/oder Zielen sollen diese ominösen Verhältnismäßigkeiten für wen und von wem definiert werden? Wessen Perspektive bestimmt die Gewichtung der jeweiligen Verhältnismäßigkeit? Die der Emittenten oder die der Betroffenen?

Pathetisch gesprochen könnte man sagen: Beim Luftreinhalteplan geht es eigentlich und grundsätzlich um soziale Gerechtigkeit! Denn die von den Verbrennern verursachten Probleme betreffen doch insbesondere die Menschen, die bereits Teil der Lösung sind und nicht das Problem. Nämlich all die Leute, die zwar gar keinen Pkw oder Lkw fahren, aber trotzdem in Düren leben und atmen. Die soll´s ja auch geben. Fußgänger, (zukünftige) Radfahrer, Kinder, Senioren, Behinderte, ÖPNV- und Radpendler usw….

Wenn doch allerseits von „Paradigmenwechsel in der Verkehrsplanung“ die (Sonntags-) Rede ist, ist dies nun vielleicht die neue perspektivische Basis für die Umsetzung von luft- und menschenfreundlichen Maßnahmen? Die Perspektive der Nicht-Motorisierten in der Stadt- und Verkehrsplanung?

Das sollte man vielleicht im Hinterkopf behalten, wenn mal wieder irgendwelche nicht definierten Verhältnismäßigkeiten missbraucht werden. Bspw. als sogenannte Argumente für den Erhalt innerstädtischer Parkplätze, möglichst vieler und breiter Pkw-Fahrspuren, neuer Schmutzstreifen usw…

Ich versuche das mal zu verstehen:

Nach § 47 Abs. 4 BImSchG sind die Maßnahmen entsprechend des Verursacheranteils und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu wählen und gegen alle Emittenten zu richten, die zum Überschreiten der Immissionsgrenzwerte oder in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Abs. 2 BImSchG zu sonstigen schädlichen Umwelteinwirkungen beitragen.

In Düren hatte sich aus Untersuchungen für den vorhergehenden Luftreinhalteplan der Straßenverkehr als Hauptverursacher der NO2-Belastung herauskristallisiert.

Alle folgenden Zitate:: Luftreinhalteplan (Fortschreibung), Entwurf, 19.5.2021, Bezirksregierung Köln

OK, klare Sache. Der (motorisierte!) Verkehr ist Hauptverursacher der schlechten Luft in der Innenstadt. Wer hätte das gedacht? Hauptsächlich müssten sich die Maßnahmen des Luftreinhalteplans also gegen diesen Haupt-Emittenten richten. Klingt logisch.

Alle Maßnahmen sind selbstverständlich unter dem „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ umzusetzen. Damit ist dann wohl wieder alle Klarheit futsch und dem „Weiter so!“ Tür und Tor geöffnet: Alles Interpretationssache der Verhältnismäßigkeit…

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit = Grundsätzliches Relativieren zu Gunsten des Systems „Weiter so!“ ist jederzeit möglich? Oder: Grundsätzliche Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit entsprechen den politischen und gesellschaftlichen und werden konsequent bei jeder Maßnahme vorausgesetzt?

Grundsätzliche Verhältnismäßigkeit?

Zur Erfüllung der Ziele eines wirksamen Luftreinhalteplans sind der zuständigen Bezirksregierung in zwei Bereichen hoheitlich durchsetzbare Instrumente an die Hand gegeben:

Dies sind zum einen denkbare Anordnungen gegenüber industriellen Verursachern, soweit die Zuständigkeit der staatlichen Überwachungsbehörde reicht (§§ 17, 20 und 24 BImSchG), und zum anderen ausführbare Verkehrsbeschränkungen (§ 40 Abs. 1 BImSchG i. V. m. der Straßenverkehrsordnung – StVO). (…)

Das alles ist so wichtig, dass die Bezirksregierung hier hoheitlichen Zugriff hat? Wow! Das kann sogar bis zur Anordnung von Verkehrsbeschränkungen führen? Beeindruckend! Aber schließlich geht es ja auch um die Gesundheit der Bevölkerung. Die sollte einer Kommune selbstredend deutlich wichtiger sein als die unzeitgemäßen Mobilitätsbedürfnisse einer privilegierten Minderheit.

Zur Festlegung straßenverkehrlicher Maßnahmen im Luftreinhalteplan muss die Bezirksregierung das Einvernehmen der zuständigen Straßenbau- bzw. Straßenverkehrsbehörde einholen (§ 47 Abs. 4 S. 2 BImSchG).

Eine Weigerung, das Einvernehmen zu erteilen, kann ausschließlich aus fachlichen (straßenbau- bzw. straßenverkehrlichen) Gründen erfolgen; ökonomische Gesichtspunkte oder kommunal-entwicklungspolitische Gründe sind hierbei unbeachtlich. Schließlich sind die zuständigen Straßenverkehrsbehörden zur Durchsetzung der Maßnahmen entsprechend den Vorgaben des Luftreinhalteplanes verpflichtet.

Alle Maßnahmen im LRP sind also mit der Kommune besprochen worden und wurden von dieser akzeptiert. Naja, wenn ich mir die Maßnahmen so anschaue, sehe ich eigentlich nicht viel Neues bzw ich sehe deutlich weniger als schon längst zu Papier gebracht und beschlossen wurde. Ich sage nur: Konsequente Umsetzung des Klimaschutz-Teilkonzeptes?

Neben hoheitlich durchsetzbaren Maßnahmen können weitere Mittel zur Luftqualitätsverbesserung eingesetzt werden. Die von nachgewiesener Luftschadstoffbelastung betroffene Stadt Düren ist damit nicht frei in ihrer Entscheidung, ob sie Schadstoff mindernde Maßnahmen ergreift oder nicht. Vielmehr ist sie im Rahmen ihrer kommunalen Möglichkeiten verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte führen und zwar unabhängig von der Existenz eines Luftreinhalteplans.

Können kann man viel. Wollen muss man müssen. 😉
Auf jeden Fall liest sich dies wie ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Rathaus: „Zu mehr können/wollen wir Euch an dieser Stelle nicht verpflichten, aber ihr wisst ganz genau, dass ihr eigentlich noch viel viel mehr machen müsstet und könntet, um Eure Stadt lebenswerter zu machen. Ihr wisst schon: Paradigmenwechsel und so!“

Unterlässt es die Kommune, dieser Verpflichtung nachzukommen, entsteht für betroffene Bürgerinnen und Bürger bei gesundheitsrelevanten Grenzwertüberschreitungen ein gerichtlich durchsetzbarer Rechtsanspruch auf das Eingreifen der Kommune. Sie muss dann unter mehreren rechtlich möglichen – geeigneten und verhältnismäßigen – Maßnahmen eine Auswahl treffen.

Nochmal der Hinweis auf die Wichtigkeit der Umsetzung weiterer Maßnahmen neben der im LRP genannten. Es drohen Rechtsansprüche, die selbstverständlich niemals jemals werden geltend gemacht werden können. Seís drum. Auch hier wohl einfach nochmal der dringende Wink mit dem Zaunpfahl samt erhobenem Zeigefinger: „Leute, macht Euch endlich mal auf den Weg und steuert um, sonst fallen Euch die ganzen „Weiter so!“-Fehlplanungen eher früher als später vor die eigenen Füße.“

Natürlich kann man die ganze Geschichte rund um drohende Diesel-Fahrverbote, kranke Kinderlungen usw auch ganz anders sehen. Und schon via Überschrift deutlich Position beziehen. Weiter so!
Stickstoffdioxid halbiert: Trotzdem wird der Luftreinhalteplan Düren verlängert, Dürener Nachrichten, 8.6.2021 (Paywall)


Übrigens…

Zum Thema Öffentlichkeitsbeteiligung und konkrete Maßnahmen ließe sich bestimmt auch noch die eine oder andere Zeile schreiben. Das überlasse ich an dieser Stelle aber Anderen… (Fortsetzung folgt!)


Zum Weiterlesen…

§ 49

Radverkehrsnetze

(1) Die Gemeinden sollen in Abstimmung mit den anderen Trägern der Straßenbaulast darauf hinwirken, daß ein zusammenhängendes Netz für den Radverkehr im Gemeindegebiet geschaffen wird.

(2) In gleicher Weise sollen die Kreise darauf hinwirken, daß ein zusammenhängendes überörtliches Netz für den Radverkehr geschaffen wird.

Straßen- und Wegegesetz des Landes NRW