Aus Radpendler-Sicht sehr fein, was man da so liest… Im niegelnagelneuen Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90 / Die Grünen, Bürger für Düren (BfD) und Bunte Liste (Valentin Veithen (Linke), Gunther Neubert (Piraten) und Dieter Harf (unabhängig)) aka Koalition „Zukunft Düren“. Hört sich nach einem echten verkehrspolitischen Masterplan für die kommenden fünf Jahre an. Den hat man zwar eigentlich schon längst vorliegen und einstimmig im Stadtrat beschlossen (Klimaschutz-Teilkonzept, 2015), aber jetzt soll er dann auch endlich umgesetzt werden. Unter neuer/alter Schirmherrschaft. Und es klingt tatsächlich irgendwie nach „Verkehrswende“.

Nicht mehr nur minimal-invasive Pseudo-Maßnahmen wie die ständigen Straßenmalereien, sondern echter struktureller Wandel? Eine bauliche Umverteilung des Raums (und der Haltung)? Fahrradstraßen, separierte, heutigen Qualitätsstandards genügende Rad- und Fußwege? Ein ganzes Netz davon? Und zuerst nimmt man sich die Haupt-Achse von der Polizei bis Birkesdorf vor? Okay…! Wobei, von Kino bis Birkesdorf war ja eh quasi schon beschlossene Sache.

Ich zweifle irgendwie trotzdem immer noch ein wenig… Da kann sich ProRad ja bald auflösen, wenn das so weitergeht. 😉 Aber lieber erstmal abwarten und genau angucken, was da so passiert. Wie gesagt – vom Klimaschutz-Teilkonzept ist ja bisher radverkehrstechnisch nicht allzu viel umgesetzt worden. Und das war sogar einstimmig beschlossen worden inklusive CDU-Stimmen. Mit neuer Stelle in der Verwaltung und pipapo.


Rückendeckung haben die neuen Koalitionäre auf jeden Fall vom Deutschen Städtetag:


Selbstverständlich tobt auch schon der Shitstorm auf den Facebook-Kanälen. Der lässt ja nie lange auf sich warten. Als ob noch nie irgendwo von Verkehrswende die Rede gewesen sei, wird gegen das „links-grün-versiffte Gesocks“ agitiert, so gut es halt geht, wenn man kaum Argumente zur Verfügung hat.

Und bestimmt formiert sich im Hintergrund *Verschwörungs-Zwinkersmiley* auch schon der ein oder andere Widerstand bei „Dürener Industriellen“ und alten Politik-Verwaltungs-Kadern, denen die neuen Ideen nicht so sehr gefallen. Denn wie wir wissen, bedeuten sichere Rad- und Fußwege sowie weniger Parkzeuge in der Stadt mindestens den sicheren Todesstoß für den lokalen Einzelhandel, wahrscheinlich aber auch den kompletten Untergang des Abendlandes.

Viel innere Überzeugungskraft und Durchhaltevermögen kann man der Koalition der Verkehrswendewilligen da nur wünschen!

Die gesammelten Facebook-Idiotien wären eigentlich mal einen eigenen Beitrag wert. Oder auch nicht…


Screenshot Radio Rur-Facebookseite.
Screenshot Radio Rur-Facebookseite.

Die lokale Verkehrswende

Nochmal ein kurzer Blick auf den Koalitionsvertrag, Stichpunkt „Mobilität“…

Mobilität

Wir wollen den Stadtraum zukunftsgerecht neu verteilen. Fußgänger*innen und Radfahrer*innen brauchen mehr Raum. Daher ist für uns der Ausbau des Radwegenetzes wichtig. Aber auch die Sicherheit der Fußgänger*innen sind für uns oben auf der Agenda.

Sehr gut! Aber was heißt: „Aber auch die Sicherheit der Fußgänger…“? Ich sehe da überhaupt keinen Gegensatz. Mehr Sicherheit durch separierte und breitere Wege für Rad und Fuß schafft doch Sicherheit für Alle (inkl. Autofahrer)!

Ein zurzeit erarbeitetes Gutachten zur fahrradfreundlichen Stadt soll für uns Maßstab neuer Maßnahmen sein. Das Klimaschutzteilkonzept wird konsequent von uns umgesetzt. Wir streben in den nächsten drei Jahren an, Fahrradfreundliche Stadt Düren zu werden.

Hervorragend! Was man so hört und liest, scheint das beauftragte Büro da ja „gewisse Kompetenzen“ zu haben. Schön wäre noch eine angemessene ziviligesellschaftliche Beteiligung bzgl. des Gutachtens. (Ich schätze mit dem Gutachten ist das geplante Radvorrangroutenkonzept gemeint.) Die Umsetzung des Klimaschutz-Teilkonzepts ist auch eine sehr gute Idee. Ich frage mich nur: Warum erst jetzt? Fahrradfreundliche Stadt zu werden ist ebenfalls ein hehres Ziel. Ich gehe davon aus, dass damit die Mitgliedschaft in der AGFS gemeint ist. Super! Und viel Erfolg bei der Umsetzung der dafür notwendigen Aufnahmekriterien!

Alle vierspurigen und überbreiten Straßen sollen auf zwei Fahrspuren für den motorisierten Verkehr für sichere Fahrradwege zurückgebaut werden. Die Achse August-Klotz Straße bis Birkesdorf, die Stürtzstraße und die alte B56 werden zuerst in Angriff genommen.

Super! Siehe oben. Hoffentlich wird das zu einem ersten „Leuchtturmprojekt“, das neue Maßstäbe setzt – und den gewünschten Erfolg erzielt! Ich werde auf jeden Fall ein tagtäglicher Nutzer genau dieser Strecke sein! Vielleicht kommen dann auch noch mehr Schüler auf die Idee, dass es viel mehr Spaß macht (und cooler ist), mit dem Rad zur Schule zu fahren, als von Mama zur Schule gebracht zu werden – oder zur FridaysForFuture-Demo. 😉 Allein die Schüler sind doch schon ein ansehnliches Potenzial – bei den vielen innerstädtischen Schulen in Düren. Hoffentlich ziehen auch die Arbeitgeber mit und schaffen fahrradfreundliche Strukturen in ihren Betrieben. Je runder das ganze Konzept wird, umso besser wird es rollen.

Wir werden vermehrt Fahrradstraßen in der Innenstadt schaffen. Wir wollen in der Innenstadt grundsätzlich Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit wo möglich.

Längst versprochen, nie realisiert die Fahrradstraßen! Das ist jetzt wirklich nix Tolles, das ist reine Bringschuld. Sofort! 😉

Tempo 30 wiederum finde ich an den meisten Stellen echt sinnvoll. Zumal man mit dem Auto meist eh nicht schneller unterwegs sein kann. Im Durchschnitt schon mal gar nicht. Da spalten sich natürlich mal wieder die Geister:
A) Führt zu Stau=Luftverschmutzung
B) Verflüssigt den Verkehr und führt zu mehr Sicherheit
Ich tendiere zu B.
Auch aus Autofahrer-Perspektive hab ich mit Tempo 30 überhaupt kein Problem. Man muss ja nur mal überlegen, über welche Distanzen und Zeitgewinne/verluste wir in der Innenstadt effektiv sprechen. Im Vergleich zu der möglicherweise gewonnenen Sicherheit sind das doch Peanuts. Wenn damit die Unfallzahlen und -folgen sinken (Vision Zero) oder auch nur ein Mensch weniger stirbt, hat es sich doch schon gelohnt. Im Vergleich zu den paar Sekunden, die durch solche Maßnahmen hin- und hergeschoben werden. Wenn überhaupt…

Da ich im gesamten Mobilitäts-Teil nichts (aber auch rein gar nichts!) von der Umwidmung von Pkw-Parkplätzen lese, gehe ich mal davon aus, dass das halt einer der Kompromisse der Koalitionsverhandlungen war. Einigermaßen radikal OK – das musste bei den erstarkten Grünen akzeptiert werden. Aber an das Heiligtum (Parkplätze) traut man sich anscheinend noch nicht so ganz ran. Aber mal abwarten. Wenn die ersten Maßnahmen gute Resonanz erzeugen und man die Spur konsequent mit echter Überzeugung beibehält…

Bis dahin würde ich gerne auch ein paar Schilder wie dieses an passenden Stellen sehen.

Quelle: Screenshot Nationaler Radverkehrsplan

Denn es bleibt nach wie vor sehr eng, wenn der Raum neu verteilt wird, man aber nicht an die Parkplätze ran will. Ohne ein vernünftiges Parkraummanagement könnte das noch zum Problem werden, denke ich.

Wir wollen weiter an einem attraktiven Ticket für den ÖPNV arbeiten und wollen den Linienverkehr zwischen den Stadtteilen verbessern. Wir engagieren uns gemeinsam mit dem Kreis für einen Bahnanschluss Derichsweiler.

Sehr gut! Warum nicht auch hier radikal denken? Kostenloser ÖPNV! Das würde die Straßen bestimmt gut entlasten und wäre mal eine echte Maßnahme. Finanziert bspw. durch eine „geringfügige“ Anpassung der Parkgebühren. Ungefähr auf das Niveau, das den Flächenverbrauch und sämtliche anderen Pkw-Nebenkosten zu Lasten der Allgemeinheit mit einkalkuliert. 😉

Der Bau der B399n soll grundlegend überprüft werden. Die alte Planung entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Alternativen Lösungen zur Erschließung eines zukünftigen Gewerbegebietes ehemalige Zuckerfabrik und alternativen Streckenführungen stehen wir offen gegenüber. Die Entlastung der Stadtteile Birkesdorf und Mariaweiler wollen wir zügig vorantreiben.

Sehr gut! Nichts anderes fordert bspw. ProRad schon länger. Und zu dem Thema habe ich mir eh schon an anderer Stelle die Finger wund getippt. Also: Vernünftige Entscheidung, nicht mehr und nicht weniger.


Natürlich wird das neue „Verkehrskonzept“ (der Teufel steckt im Detail, nix Genaues weiß man ja noch gar nicht) nicht nur auf Facebook diskutiert, sondern auch in der lokalen Presse thematisiert und kommentiert. Hier ein paar Auszüge…

Was meint die Presse?

Die „Zukunfts-Koalition“ will einige Themen anpacken, die nicht nur beim politischen Gegner „nicht unbedingt Begeisterungsstürme auslösen werden“, ist Nietan überzeugt. „Da ist es gut, eine stabile Mehrheit zu haben, ohne zittern zu müssen.“

Paradebeispiel dürfte die neue Verkehrspolitik werden, in der die neue Stadtratsmehrheit ganz im Sinne der Grünen einen Paradigmenwechsel einleiten will, hin zu einer fahrrad- und fußgängerfreundlicheren Stadt, wie Grünen-Sprecher Georg Schmitz ankündigt, mit Maßnahmen, die es in sich haben.

„Neue Mehrheit will in Düren Verkehrswende“, Dürener Nachrichten/Zeitung, 11.11.2020

(…) Der Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik aber wird noch hitzige Diskussion auslösen. Bei nur noch einer Spur in jeder Fahrtrichtung auf den wichtigsten städtischen Verkehrsachsen dürften Staus programmiert sein. Denn so leicht, wie sich die Zukunfts-Koalitionäre das vorstellen, dürfte vielen Autofahrern der Umstieg aufs Zweirad oder den ÖPNV trotz aller Förderung nicht fallen. Und die Stadt ist bekanntlich auf die Pendler aus dem Umland angewiesen.
(…)
Klare politische Signale sind vonnöten, um ansiedlungswilligen Betrieben nicht nur eine Perspektive, sondern geeignete Flächen bieten zu können. Brachen zu nutzen, ist richtig. Zur Nordumgehung B399n aber, die eine ebensolche rund um die frühere Zuckerfabrik erschließen würde, gibt es keine klare Aussage. Das Streitthema haben die alten, neuen Partner (bewusst) ausgeklammert. (…)

Kommentar, Dürener Nachrichten/Zeitung, 11.11.2020

Die Ankündigung, alle vierspurigen und überbreiten Straßen in der Stadt auf zwei Fahrbahnen zu verkleinern, um dem wachsenden Radverkehr sicheren Raum zu geben, ist grundsätzlich überlegenswert. Wenn die Ostumgehung im Februar zur Verfügung steht, lässt sich ohne höhere Mathematik voraussagen, dass sowohl Schoeller-, als auch Euskirchener Straße (stadtauswärts) weniger befahren werden. Hier gibt es also einen Hinweis darauf, dass nur noch zwei Spuren funktionieren könnten. In allen Fällen ist es unerlässlich, die Verkehrsströme mit frischen Zahlen zu berücksichtigen und in eine Abwägung einfließen zu lassen. An einer Stau-Stadt kann niemand Interesse haben. Ein einheitliches Konzept ist dann gut, wenn es gut funktioniert!

Kommentar, Dürener Nachrichten/Zeitung, 14.11.2020

Denn neben der bunten Liste mit dem bisherigen Koalitionspartner Valentin Veithen (Linke) sowie Gunther Neubert (Piraten) und dem parteilosen Dieter Harf wurden auch die Bürger für Düren mit ins Boot genommen. Dies ist sicherlich zu begrüßen, denn damit verfügt die Koalition „Zukunft Düren“ über eine breite Mehrheit im Stadtrat und ist nicht mehr von nur einer Stimme abhängig wie in der vergangenen Legislaturperiode. Niederlagen in geheimer Abstimmung wird es also kaum noch geben. Zumal auch das alte Streitthema Nordumgehung (B 399) geschickt aus dem Koalitionsvertrag gehalten wurde. Dieser trägt einen kaum übersehbaren grünen Stempel. Fahrradfreundlicher soll Düren werden. Statt mit vierspurigen Straßen muss der motorisierte Verkehr mit nur noch zwei Spuren auskommen. Darüber hinaus soll in der Innenstadt Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit werden. Dies wird viele Berufstätige und Pendler, die auf ihr Auto angewiesen sind, nicht gefallen.

Man darf gespannt sein, ob sich dies wirklich so problemlos realisieren lässt, wie sich das die Koalition „Zukunft Düren“ vorstellt.

Zeitung am Sonntag, 15.11.2020

Fortsetzung folgt…